© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Im Gewand der Heimatliebe
Poetischer Realismus als Weltliteratur: Die thüringische Stadt Eisfeld erinnert mit einer Ausstellung und Veranstaltungen an den Schriftsteller Otto Ludwig
Sebastian Henig

Der Literaturwissenschaftler Arthur Eloesser bezeichnete Otto Ludwig als den „ersten und letzten Dichter von Bedeutung, den Thüringen hervorgebracht hat“. Und in der Tat ist der Anteil thüringischer Kinderstuben an den großen Dichtern Deutschlands deutlich geringer als in den Ländern Sachsen, Schwaben oder Schlesien. Zuweilen hat Otto Ludwig trotzig damit kokettiert, indem er sich „Otto Ludwig aus Eisfeld“ nannte. Der Zwiespalt zwischen naheliegendem volkstümlichem Stoff und dessen überragender literarischer Formung tritt in seinem Werk und Leben besonders deutlich zutage.

Davon kündet jetzt auch die Festschrift, welche Helga Schmidt, die Vorsitzende des Vereins Freunde von Kirche und Schloß zu Eisfeld, im Salier-Verlag herausgegeben hat. Und der Eisfelder Museumsleiter Heiko Haine gestaltete zum 200. Geburtstag des „größten Thüringer Dichters“ (A. Bartels) eine würdige Ausstellung im Schloß. Ein Rahmenprogramm mit Filmvorführungen, Lesungen und Konzerten führt durch das Festjahr.

Auf dem unteren Teil der Sonderausstellungsfläche wird die Eisfelder Jugendzeit des Schriftstellers vorgestellt. In einem Privatdruck von 1995 faßt Henning Kluger zusammen: „Otto Ludwig ist nie mehr nach Eisfeld zurückgekehrt. Sein Lebensglück fand er in Meißen, seine großen künstlerischen Erfolge hat er in Dresden gefeiert.“ Mit Eduard Devrient hatte er in Dresden einen getreuen Freund am Theater. 1850 führte der Otto Ludwigs Tragödie „Der Erbförster“ zum Erfolg. In der selbstzerstörerischen Prinzipientreue des Försters spiegelt sich das Wesen des Vaters wieder. Das Stück hielt sich viele Jahrzehnte auf den Spielplänen der deutschen Bühnen.

In der zweiten Etage des Schlosses empfängt den Besucher am Eingang ein gigantisches Foto von den Rängen der Dresdner Semperoper. Dieser Blick aus der Bühnenperspektive in das festliche Haus läßt nachempfinden, was der scheue Dichter fühlen mußte, als ihm die Ovationen der verwöhnten Besucher des königlichen Hoftheaters entgegenbrandeten. Otto Ludwig blieb es versagt, die Früchte seiner Popularität in dauerhaften Wohlstand zu wenden. Zu Lebzeiten reichten die Einkünfte Ludwigs kaum zur Ernährung der Familie (Gattin, drei Kinder). Er versuchte, dem Beispiel Berthold Auerbachs folgend, mit dem Verfassen von Heimatgeschichten eine Änderung der Misere zu bewirken.

Die Erzählung „Die Heiterethei“ ist heute das lebendigste Werk des Autors: Eine beherzte alleinerziehende junge Frau muß ihre Selbständigkeit gegen die bigotten Frauenzimmer und die zudringlichen Mannsbilder der Kleinstadt Luckenbach verteidigen. Mit dem Schreinermeister Holder’s Fritz bildet sie zuletzt ein herrliches Paar. Eine Erzählung über die Liebe zwischen den Menschen im Gewand der gemeinsamen Liebe zu ihrer Heimat. Daß der Autor für seine thüringisch-fränkische Heimatgeschichte auch im Meißnischen genug Lokalkolorit vorfand, beweist seine Bemerkung: „Luckenbach ist ein Typus einer kleinen Ökonomiestadt, so wie es auch hier welche gibt, z. B. Wilsdruff nahe bei Dresden.“

Der deutschnationale Germanist Adolf Bartels prägte am bevorzugten Beispiel des Sachsen Wilhelm von Polenz und des Thüringers Otto Ludwig den Begriff der „Heimatkunst“ und brachte ihn gegen „die jüdische Dekadenzliteratur“ in Stellung. Ein Stellungskrieg, der seltsamerweise mit Phantomgegnern in umgekehrter Richtung weitergeführt wird, wenn einige heutige Kollegen von Bartels meinen, die schönsten Werke unserer Nationalliteratur als Ausdruck einer Ideologie von Blut und Boden abqualifizieren zu können.

Doch das Kind war vor dem Bade da, das sie ausschütten. Sie fechten damit einen der sprachmächtigsten Erzähler eines poetischen Realismus an. Kein Tscheche würde Božena Němcovás „Babička“ aus solchen Gründen beiseite legen. So wie sie in „Großmutter“, so können wir in dem von Tolstoi bewunderten Roman des Wilhelm von Polenz „Der Büttnerbauer“ und Ludwigs „Die Heiterethei“ unserer Abkunft nachgehen und die Gegenwärtigkeit des Vergangenen im Ausdruck überlegener künstlerischer Gestaltung kosten.

Bemerkungen wie „So etwas liest heute keiner mehr“ sind wohlfeil. Denn jedes Buch steht solange ungelesen im Regal, bis es jemand zur Hand nimmt und sich von ihm mitnehmen läßt. Das kommt immer wieder vor, zuweilen aber will es auch provoziert sein: In einer außergewöhnlichen Literaturstunde für Schüler der Eisfelder Regelschule „Otto Ludwig“ im Gartenhaus des Dichters verteilte Museumsleiter Haine an drei Knaben und ein Mädchen die Rollen aus „Die Heiterethei“. Die jungen Leute wurden hingerissen von der Szene, und die Burschen begehrten schließlich zu wissen, wo man dieses Buch erhalten kann, in dem sie sich derart wiedergefunden hatten.

Die Ausstellung „Jedes Blättchen ist mir wie ein Bruder“ im Otto-Ludwig-Museum der Stadt Eisfeld, Markt 2, ist bis zum 26. Mai täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. ab 13 Uhr, zu sehen.

Veranstaltungen zum Otto-Ludwig-Festjahr bis in den Spätsommer: www.stadt-eisfeld.de

Helga Schmidt (Hrsg.): Und Wahrheit ging mir von jeher über alle Schönheit. Otto Ludwig neu entdecken. Salier Verlag, Leipzig 2012, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 15 Euro

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