© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Pankraz,
Arno Holz und der Spiegeldämon Natur

Mal was ganz Germanistisches: Vor 150 Jahren, am 26. April 1863, wurde im ostpreußischen Rastenburg der spätere Dichter, Lyriker und Dramatiker Arno Holz geboren, der als „der größte Sprach-Naturalist aller Zeiten“ (K. Turley) in die (deutsche) Literaturgeschichte eingegangen ist. Seine Familie zog kurz nach seiner Geburt nach Berlin, und so ist er dort aufgewachsen und auch sein ganzes Leben lang wohnen geblieben; er starb am 17. Oktober 1929. Gottfried Benn legte ihm im Auftrag der Deutschen Akademie der Dichtung einen Kranz aufs Grab. Warum, weiß niemand mehr so recht.

Wie gesagt, Holz war Anhänger des „Naturalismus“, das war damals, um 1900, eine mächtige künstlerische Strömung, der sich auch viele literarische Koryphäen zurechneten (oder zurechnen ließen), von Zola bis Strindberg, von Gerhart Hauptmann bis Peter Hille, von Ludwig Anzengruber bis Max Halbe. Aber nur Holz nahm den Titel ungeheuer ernst, stellte all sein Schaffen total in dessen Dienst, wollte „Naturalist“ sein und nichts anderes, mit jeder Faser seiner Existenz und besonders in seiner Lyrik.

Sein monumentaler, seinerzeit sehr berühmter Lyrikband „Phantasus“ von 1898 legt davon beredtes Zeugnis ab (weshalb man ihn heute auch nur noch als monumentale Karikatur seiner selbst goutieren kann). Ein Gedicht heißt etwa „Schönes, grünes, weiches Gras“ und geht so: „Schönes, grünes, weiches Gras. / Drin liege ich. / Mitten zwischen Butterblumen! // Ueber mir, / warm, / der Himmel: / ein weites, zitterndes Weiss, / das mir die Augen langsam, ganz langsam /schließt. // Wehende Luft, (...) ein zartes Summen. // Nun bin ich fern / von jeder Welt, / ein sanftes Roth erfüllt mich ganz.“

Ein anderes heißt „Durch die Friedrichstraße“ (gemeint ist die Friedrichstraße in Berlin-Mitte) und hat folgenden Wortlaut: „Durch die Friedrichstrasse / – die Laternen brennen nur noch halb, / der trübe Wintermorgen dämmert schon – / bummle ich nach Hause. // In mir, langsam, steigt ein Bild auf. // Ein grüner Wiesenplan, / ein lachender Frühlingshimmel, / ein weisses Schloß mit weißen Nymphen. // Davor ein riesiger Kastanienbaum, / der seine roten Blütenkerzen / in einem stillen Wasser spiegelt.“

Alle übrigen Gedichte des „Phantasus“ (und es sind Hunderte) haben die genau gleiche Struktur. Es sind bloße Seh- und Hörbeschreibungen, durchzogen von gewissen Gemütsregungen und Assoziationen, die aber – höchst angestrengt – ebenfalls nur „bloße Natur“ sein wollen, um Himmels willen kein spontanes Fortspinnen des Wahrgenommenen oder gar – horribile dictu! – eine „Denkübung“, welche ja sofort eine Dazwischenkunft des Autors voraussetzen würde, durch die die „natürliche Authentizität“ zerstört wäre.

Um es kurz zu machen: Jede Neulektüre des „Phantasus“ mündet in der reinen Katastrophe. Man schmeißt das Buch unwillig in die Sofaecke und wundert sich, daß dergleichen vor hundert Jahren überhaupt von jemand ernst genommen werden konnte. Und nicht viel besser ergeht es den anderen Büchern von Holz, insbesondere seiner zusammen mit Johannes Schlaf 1886 verfaßten Programmschrift „Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze“, in der der „konsequente Naturalismus“ gewissermaßen seine theoretische Salbung erfahren sollte.

Die Formel, die sich die beiden ausgedacht hatten, lautete: „Kunst = Natur minus x“, wobei keineswegs die Natur als mögliche Variable eingesetzt war, sondern das x. Je kleiner dieses x gehalten wurde, um so besser für die Kunst, einerlei ob es nun aus bildlichen Farben und Formen, musikalischen Melodien oder sprachlichen Wörtern bestand. „Natur statt Kultur“ lautete die Devise.

Für sich genommen nimmt sich diese Devise sehr merkwürdig aus, um das mindeste zu sagen. Andererseits war sie zu einem nicht geringen Teil durchaus dem damaligen Zeitgeist geschuldet, welcher auf strikte Verwissenschaftlichung, „exakte Milieuschilderung“ und entschiedenstes soziales Engagement hinauslief. Holzens Forderung, die Literatur müsse „unter allen Umständen“ eine genaue Wiedergabe der Realität sein, fand größten Widerhall, weit über Berlin hinaus.

Holz selbst schrieb sozialkritische Theaterstücke, die auch aufgeführt wurden und manchmal sogar recht witzig waren; man denke an die seinerzeit viel gespielten „Sozialaristokraten“ 1897 im Berliner Central-Theater. Freilich stand der Mann sein Leben lang tief im Schatten Gerhart Hauptmanns, der ihn um Haupteslängen überragte und sich zudem nie auf daseinsferne künstlerische Dogmatismen einließ.

Wie gräßlich sich solche Dogmen auf lebendiges künstlerisches Schaffen auswirken können, zeigt in fast klinischer Reinheit der „Phantasus“. Das Gedicht könnte sehr gut als eindrückliches Warnsignal für heutige Lyriker und Erzähler dienen, von denen ja ebenfalls viele zur Zeit sichtlich in der naturalistischen Versuchung stehen. Sie haben die Nase voll von gutmenschlichen Vorschriftenmachern und Platzanweisern, und nun glauben sie, man müsse nur einfach drauflos erzählen und gleichsam die private Sau herauslassen, um zu anständigen literarischen Ehren zu kommen.

Bei Arno Holz im „Phantasus“ können sie lernen, daß sich – vielleicht – Natur gerade noch mit Pinsel oder Meißel abbilden (genauer: nachahmen) läßt, nie und nimmer aber mit Sprache, am allerwenigsten mit poetischer Sprache. Poetisches Sprechen ist kein simpel widerspiegelndes Medium, es zielt nicht auf die Spiegelung natürlicher Dinge, sondern begibt sich auf die Suche nach ihrem Wesen. Und, wie es der Barockdichter Opitz einst formulierte: „Die Spiegel sind ganz falsch, / Denn wenn sie richtig wären, / Du würdest, Dich zu sehn, / in keinem nicht begehren.“

Arno Holz hat das übrigens selbst genau erahnt. In seinen späten „Liedern auf einer alten Laute“ versuchte er, sich Opitz und anderen Barockdichtern regelrecht anzuverwandeln. Reinhard Piper hat das Buch verlegt. Es wurde ein seriöser, auch finanziell großer Erfolg.

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