© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Wahrheiten, die keiner hören will
Verteilungspolitik: Eine Vermögensstudie der Europäischen Zentralbank birgt politischen Sprengstoff / Kanzlerin Merkel wiegelt ab
Michael Wiesberg

Statistisch sind Länder wie Spanien, Zypern oder Griechenland pro Haushalt reicher als wir. Aber Vorsicht, die Statistik ist verzerrt: In diesen Ländern besitzen viel mehr Menschen Häuser und Wohnungen“, entgegnete Angela Merkel in einem Bild-Interview auf Zahlen aus einer Vermögensstudie der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Vermögen der Deutschen sähen nur „kleiner aus als sie sind“ – denn: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Auf diese Formel kann auch ein Gutteil der Reaktionen auf jene EZB-Studie komprimiert werden, die erbrachte, daß das Nettovermögen der deutschen Privathaushalte 2010 (also zu Beginn der Euro-Krise) niedriger war als in fast jedem anderen Euro-Land. Schon vor der Merkel-Intervention wurden diverse Versuche gestartet, das EZB-Zahlenwerk in Frage zu stellen. Zu unglaublich klang das, was offenkundig ist: Der Medianwert (Mittelwert für Verteilungen in der Statistik) der Privatvermögen im Euro-Raum beträgt 109.000 Euro; in Deutschland sind es nur 51.400 Euro.

Brisant ist, daß Zypern der Spitzenreiter ist: Hier lag der Median bei 266.900 Euro. Und der Abstand zwischen dem Medianwert und dem Nettodurchschnittsvermögen (670.000 Euro) ist auf der Pleiteinsel sehr ausgeprägt, was sich nur durch ein beträchtliches Vermögen der oberen Schichten erklären läßt. Übertroffen wird dieses lediglich von Luxemburg (710.000 Euro). An dritter und vierter Stelle liegen Malta (366.600 Euro) und Belgien (338.600 Euro).

An der Studie haben Forscher der nationalen Notenbanken zweieinhalb Jahre gearbeitet; über 62.000 Haushalte in 15 Euro-Staaten wurden befragt. Die EZB erhoffte ursprünglich, Aufschluß darüber zu erhalten, wie sich wirtschaftliche Schocks auf die privaten Haushalte und ihr Verhalten auswirken. Bereits die Ergebnisse, die die Bundesbank Ende März vorlegte, hatten für Irritationen bei denjenigen gesorgt, die Deutschland mit der Behauptung, es profitiere am meisten vom Euro, in der Zahlmeisterrolle sehen.

Die Bundesbank stellte fest, daß die Deutschen „weniger Vermögen haben als die Haushalte der kriselnden südeuropäischen Staaten wie etwa Spanien und Italien“. In vorauseilendem Gehorsam bemühten sich die Frankfurter aber – ganz im Merkel-Stil – um Relativierung: Nicht „alle Vermögensansprüche der privaten Haushalte“ seien erfaßt worden, deshalb nur „eingeschränkt Rückschlüsse“ bei „internationalen Vergleichen“ möglich. Auch die Wiedervereinigung wird von manchen als Erklärung der deutschen Vermögensarmut bemüht, liegt doch der „alte Westen“ mit 78.900 Euro weit über dem deutschen Durchschnitt von 51.400 Euro. Doch selbst dieser Wert würde Deutschland lediglich vier Ränge nach oben bringen – zwischen die ebenfalls als Euro-Nettozahler gebeutelten Finnen und Österreicher. Griechenland und der potentielle Pleitekandidat Slowenien haben mit jeweils über 100.000 Euro über ein Fünftel mehr pro Haushalt.

Eine besonders perfide Begründung für den letzten Platz Deutschlands im Vermögensranking lieferte vorige Woche die Welt: Mit ihrer Vorliebe für „das Sparbuch mit seinen Mini-Zinsen“ würden die Deutschen im EZB-Vermögensranking auf absehbare Zeit kaum aufholen. Sprich: Wären die Deutschen in finanziellen Fragen „flexibler“, würden sie in der Vermögensverteilung im Euro-Raum auch besser dastehen. Daß gerade die Euro-krisenbedingte Niedrigzinspolitik der EZB Sparer (sowie Lebens- und Riester-Versicherte) schamlos enteignet, verschweigen die Schönredner.

Der Cicero hielt sich in seinem Beitrag über die „Mär vom armen Deutschen“ gar nicht erst mit Details auf, sondern behauptete, mit dem Zahlenwerk wolle sich Deutschland bloß der „Solidarität“ in der Euro-Zone entziehen – nach dem Motto: „Wir sind die Ärmsten, zahlen am meisten und werden dafür auch noch verhöhnt“, schrieb der „Weltbürger und überzeugte Europäer“ Eric Bonse aus Brüssel. Dies sei „das Selbstbild, das der deutsche Michel im Jahr vier der Euro-Krise pflegt“. Die EZB habe offenbar „um den typisch deutschen Hang zum Selbstmitleid“ gewußt und deshalb die „brisante Studie“ bis nach der „Rettung“ Zyperns hinausgezögert.

Zudem sei es „schlicht nicht zulässig, den absoluten finanziellen Beitrag eines Landes zur Euro-Rettung mit dem mittleren, also relativen Vermögen der Bürger zu vergleichen“, so der Politikwissenschaftler Bonse, der sich seine ersten journalistischen Meriten mit Berichten über „Modenschauen, Musen und Museen“ verdiente. Warum das nicht zulässig sein soll, liegt auf der Hand: Es kommen dann Interpretationen heraus, wie sie zum Beispiel in der ökonomisch sicherlich kompetenteren Wirtschaftswoche angestellt worden sind: Der Euro sei „der größte nicht aufgezwungene Umverteilungsmechanismus, der je zu Lasten eines Landes“ – nämlich Deutschlands – „installiert worden ist“.

Die deutsche Euro-Kanzlerin Merkel ficht das alles nicht an. Denn eine interessante Frage von Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, aus der FAS mußte die CDU-Chefin den freundlichen Bild-Interviewern selbstverständlich nicht antworten: „Wenn es große Vermögen in den Euro-Krisenländern gibt, warum werden sie dann nicht besteuert, um die Schulden des Staates zu begleichen?“

EZB-Vermögensstudie zur Euro-Zone: www.ecb.int/

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen