© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Keine Anhaltspunkte
Boston-Attentat: Das Behördenversagen ängstigt Amerika / Wird die Beteiligung eines Arabers verheimlicht?
Thorsten Brückner/ Ronald Gläser

Während die Menschen noch trauern, die Toten zu Grabe getragen werden und von den über 200 Verletzten zahlreiche künftig mit schweren körperlichen Behinderungen leben müssen, diskutiert Amerika Hintergründe und Konsequenzen des Anschlags.

Die ersten Ermittlungen scheinen dabei Klarheit über Motiv und Organisationsgrad der beiden vor etwa zehn Jahren aus Dagestan eingewanderten Tschetschenen zu geben. Es sieht so aus, als hätten beide allein gehandelt, ohne Kontakte zu einem größeren Netzwerk von Terroristen. Sicher ist das nicht.

Unumstritten ist nur der islamistische Hintergrund. „Mein Bruder wollte den Islam schützen“, kommunizierte der schwerverletzt in einer Bostoner Klinik liegende Dschochar offenbar den Ermittlern. Er kann derzeit aufgrund seiner Verletzungen nicht sprechen. Der 19jährige soll sich mit einem Schuß in den Mund selbst zu töten versucht haben.

Dschochar und Tamerlan (26) waren gut integriert. Tamerlan, der eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis hatte, war mit einer gebürtigen Amerikanerin verheiratet. Sie soll sich durch seinen Einfluß dem Islam zugewandt haben. Laut Medienberichten soll er zweimal im islamischen Zentrum von Boston Predigten gestört haben, die ihm zu moderat waren und in denen aufgefordert wurde, sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren und nationale Feiertage zu begehen.

Bereits im Jahr 2011 war Tamerlan auf ein Ersuchen der russischen Regierung von FBI-Ermittlern wegen dschihadistischer Umtriebe vernommen worden. Die Beamten konnten jedoch keine Anhaltspunkte finden, daß Tamerlan aktiv am Heiligen Krieg arbeite.

Aufnahmen vor ihrem Elternhaus zeigen die 24jährige Witwe Tamerlans mit Kopftuch. Ihr Anwalt berichtet, sie habe 70 bis 80 Stunden pro Woche als medizinische Hausassistentin gearbeitet. Währenddessen habe ihr Mann Tamerlan auf die mittlerweile dreijährige Tochter aufgepaßt. Dschochar, der Student an der University of Massachusetts war, wurde 2012 amerikanischer Staatsbürger – am 11. September, dem Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center.

Unterdessen steht fest, daß Dschochar als „normaler“ Terrorist angeklagt wird und nicht als feindlicher Kämpfer, wie dies zahlreiche republikanische Senatoren gefordert hatten. Senator Lindsey Graham aus South Carolina kritisierte die Entscheidung der Regierung: „Ich glaube, eine solche Entscheidung kommt zu früh. Es ist für uns unmöglich, in so kurzer Zeit soviel Informationen zusammenzutragen, um zu entscheiden, ob der Verdächtige nach dem Kriegsrecht festgehalten werden sollte.“

Im Netz kursierten bereits kurz nach dem Attentat wilde Verschwörungstheorien. Zunächst wurde von Linken auf die mögliche Täterschaft rechtsradikaler Spinner verwiesen. Dann fand die Theorie rasante Verbreitung, eine US-Sicherheitsfirma habe ihre Hände im Spiel gehabt.

Den am wenigsten absurden alternativen Erklärungsansatz lieferte Moderator Glenn Beck mit einigen spektakulären Enthüllungen: Reporter seines Nachrichtensenders The Blaze hätten Belege dafür gefunden, daß ein Araber hinter den Anschlägen stecken könnte.

Nach dieser Theorie waren die Zarnajews keine Einzeltäter. Ein Mann namens Abdul Rahman Ali Al-Harbi war am Montag abend festgenommen worden. Er ist der „dunkelhäutige Verdächtige“, von dem auch deutsche Medien berichtet haben. Er lag verletzt in einem Krankenhaus und wurde dort verhört, seine Wohnung durchsucht. Inzwischen ist er ausgeflogen oder steht kurz davor.

Vorangegangen waren Treffen von Präsident Barack Obama und Außenminister John Kerry mit hohen Vertretern der Saudis, darunter der saudische Außenminister Saud Al-Faisal. Unüblicherweise hinter verschlossenen Türen. Angeblich ist es bei den Gesprächen um Syrien gegangen. Nach der Konferenz wurde Al-Harbi vom Verdächtigen plötzlich zum Zeugen und dann zum Unbeteiligten heruntergestuft.

Seine mögliche Deportation erinnert an die überhastete Ausreise der Mitglieder der Bin-Laden-Familie nach dem 11. September. Der Filmemacher Michael Moore hatte dies in seinem Anti-Bush-Streifen „Fahrenheit 9/11“ thematisiert. Nun liegt der Verdacht auf der Hand, jener Al-Harbi könnte Anstifter der Zarnajews gewesen sein. Damit wären die Attentäter von Boston Teil eines größeren Netzwerks. Für viele Amerikaner eine beunruhigende Vorstellung.

Foto: Ausgangssperre: Im Großraum Boston herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, eine beängstigende und ungewohnte Situation für die USA

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