© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Sekt statt Sake
Zollpolitik: Zypern-Krise behinderte Verhandlungen über Freihandelsabkommen EU-Japan / Große Chancen für deutsche Exporte
Albrecht Rothacher

Mit neun Prozent ist der Anteil des Exportvizeweltmeisters Deutschland am globalen Handel fast doppelt so hoch wie der Japans, das aber weiter auf Platz vier der internationalen Vergleichsliste rangiert. Bei den deutschen Einfuhren liegt das hochtechnisierte Inselreich mit seinen 126 Millionen kaufkräftigen Konsumenten auf Rang 13, bei den Ausfuhren aber nur auf Rang 17 aller deutschen Außenhandelspartner. Das zu ändern liegt nicht mehr im Kompetenzbereich der Bundesregierung, sondern der EU.

Der Startschuß erfolgte per Telefonanruf, denn die EU-Präsidenten Herman Van Rompuy und José Manuel Barroso mußten ihren ersten geplanten Gipfel-Flug nach Tokio wegen der Zypern-Krise absagen. So vereinbarten sie wenigstens fernmündlich den Beginn von Freihandelsverhandlungen zwischen beiden Handelsmächten, die zusammen 30 Prozent der Weltwirtschaft darstellen. EU-Handelskommissar Karel De Gucht erwartet nach der Beseitigung aller Zollbarrieren und anderer Handelshindernisse auf dem japanischen Markt eine europäische Exportsteigerung, welche die EU-Wirtschaft um 0,8 Prozent zusätzlich wachsen lassen und 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen soll.

Dies vor allem in der Arznei-, Chemie- und Nahrungsmittelbranche sowie bei Industriedienstleistungen, die bislang die größten Probleme auf dem japanischen Markt haben. Im Gegenzug drängt Tokio auf die Abschaffung der EU-Importzölle für Autos (10 Prozent) und Elektronik (14 Prozent). Die südkoreanische Konkurrenz von Hyundai oder Samsung genießt schon die Zollbefreiung dank eines bilateralen Freihandelsabkommens mit der EU.

Nach dem Scheitern der Doha-Welthandelsrunde, bei der die Schwellenländer Indien, China, Brasilien und Rußland sich in Sabotage ergingen, wird nun das Heil in bilateralen Freihandelsabkommen gesucht. Beim einstigen Angstgegner Japan legten sich zunächst vor allem Frankreich und Italien quer. Sie sorgen sich um ihre an Überkapazitäten leidenden Autohersteller Renault, Peugeot/Citroën und Fiat. Die meisten in der EU verkauften japanischen Autos werden hingegen in Europa selbst oder in Drittländern wie Thailand endgefertigt, sie haben deshalb keine Zollprobleme.

Dagegen gibt es für deutsche und EU-Exporte nach Japan noch jede Menge Hindernisse. Die Importzölle liegen hoch: Bei Butter sind es 35 Prozent, Käse 26 bis 40 Prozent, Süßwaren 25 Prozent oder Fruchtsäften 21 Prozent. Bei Sekt sind 182 Yen (1,40 Euro) pro Liter fällig. Hinzu kommen enge Importquoten für Milchprodukte, Zucker oder Schuhe, enorm schwierige Zulassungsverfahren für importierte Kosmetika, medizinische Geräte, Impfstoffe und Tiermedizin. Beschränkungen gibt es im Frachtgeschäft, Behinderungen bei Baumaterialien durch rigide Bauvorschriften. 46 weltweit zugelassene Nahrungsmittelzusätze sind in Japan verboten. Ausländische Fluglinien müssen durch überhöhte Gebühren am 60 Kilometer von Tokio entfernten Drehkreuz Narita unrentable Provinzflughäfen quersubventionieren. Am Stadtflughafen Tokio-Haneda (wo Boenigs Dreamliner 787 irgendwann wieder gen Frankfurt starten soll, JF 14/13) bekommen sie dagegen kaum Landerechte. Bei Ausschreibungen der japanischen Eisenbahnen sind Ausländer so gut wie chancenlos. Bei Rüstungsgütern und Großflugzeugen kommen dank politischen Drucks und Bündnistreue fast nur die Amerikaner zum Zuge. Seit der Tschernobyl-Katastrophe werden radioaktive Unbedenklichkeitsprüfungen bei europäischen Importen von Wild, Gewürzen, Kräutertees, Beeren und Trockenpilzen verlangt. Es gibt also einiges zu verhandeln.

Da die japanischen Ministerien (Agrar, Gesundheit, Transport und Infrastruktur) Weltmeister in Hinhaltetaktiken sind, um so ihre Klientel vor Importkonkurrenz zu schützen, hat Kommissar De Gucht in sein Verhandlungsmandat einen Bewegungsanreiz eingebaut: Die Verhandlungen werden binnen Jahresfrist abgebrochen, falls sich bei jenen Handelshindernissen zu wenig bewegen sollte. Das sollte auch Premier Shinzō Abe, den am Abkommen interessierten Außen- und Industrieministerien sowie der Auto- und Elektronikindustrie ein Interesse geben, intern den nötigen Druck auszuüben. Ohnehin ist die EU, im Gegensatz zu den USA und Austra-lien, wenig interessiert, Reis oder andere unverarbeitete Grundnahrungsmittel nach Japan zu senden, so daß sich der Widerstand der Agrarlobby bislang nicht gegen das EU-Abkommen, sondern nur gegen das geplante transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) richtet.

Auch wenn sich die Verhandlungen wohl hinziehen werden, haben sich die Beziehungen doch gewandelt. In den siebziger und achtziger Jahren drohten noch Handelskriege. Japan bedrohte mit gezielten Exportoffensiven – nach der weitgehenden Auslöschung der europäischen Uhren-, Kamera- und Motorrad­industrien – nun Kugellager-, Stahl-, Schiffbau-, Auto- und Elektronikindustrien. Gleichzeitig wurde der eigene Markt nach Art der Merkantilisten mit allen Tricks abgeschottet.

In mühsamer Kleinarbeit wurde der japanische Markt dann von US- und EU-Verhandlern geknackt. Inzwischen ist die japanische Industrie – zumindest für die deutschen Firmen – kein Angstgegner mehr. Diese Rolle hat jetzt China – und teilweise Südkorea (JF 10/13) – übernommen. Zwei gereifte Volkswirtschaftsräume haben sich insofern nun als gleichgesinnte Partner neu gefunden.

Erste gemeinsame Erklärung zum Freihandelsabkommen EU-Japan:  europa.eu

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