© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/13 / 12. April 2013
Innovationsstandort DDR: Geheiminstitut für
Republikflüchtling Im Jahr 1982 versuchte der DDR-Entwicklungsingenieur Thomas Herzel, in den Westen zu flüchten – wegen akuter beruflicher Unterforderung. Daraufhin startete der Chef der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Siegfried Gehlert, mit dem Segen des Mielke-Stellvertreters Rudi Mittig das bisher unbekannte und wohl einmalige Projekt „Kartell“: Herzel wanderte nicht sang- und klanglos ins Gefängnis, sondern bekam ein Geheiminstitut zur Verfügung gestellt, in dem er und andere qualifizierte Fachleute forschen und Systemlösungen für die DDR-Industrie entwickeln konnten (Horch und Guck 4/2012). Und tatsächlich funktionierte die Einrichtung schnell wie eine große Wundertüte: Der innovativen Software für die Steuerung von Gelenkrobotern folgten deutlich verbesserte Injektionsapparate, EKG-Geräte, Einspritzpumpen, Steuerungen für Kühlschränke und Waschmaschinen, elektronische Schreibmaschinen, Lehr- und Lerncomputer, Textverarbeitungssysteme, regenerierbare Ölfilter usw. Nach einem Bericht der Stasi-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt galt im „Kartell“-Institut die flotte Devise: „Geht nicht – gibt’s nicht!“ Die Folge waren 53 Patente allein im Zeitraum zwischen April 1986 und Oktober 1988. Nach der Wende verschwand das geheime Institut dann mitsamt seiner teuren Spitzentechnik spurlos von der Bildfläche. |