© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Schwierige Auswahl
Führungsstreit: Nach dem „Focus“ scheitert nun auch eine Doppelspitze beim „Spiegel“ / Nachfolge ungeklärt
Christian Schreiber

Eigentlich sollte Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag, am vergangenen Montag während der Redaktionskonferenz zu den Verantwortlichen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel sprechen. Doch auf Bitten des Magazins wurde Gysis Auftritt am Sonntag kurzfristig abgesagt. Nun ist klar, warum. Die gleichberechtigten Chefredakteure Mathias Müller von Blumencron (54) und Georg Mascolo (49) müssen gehen.

Zuvor hatten die Verantwortlichen noch beharrlich zu entsprechenden Medienberichten geschwiegen. Die Verlagsleitung um Spiegel-Geschäftsführer Ove Saffe teilte mit, Grund seien „unterschiedliche Auffassungen zur strategischen Ausrichtung“. Bis auf weiteres werde die Redaktion des Spiegel geführt von den beiden stellvertretenden Chefredakteuren Klaus Brinkbäumer und Martin Doerry. Rüdiger Ditz, Chefredakteur von Spiegel Online, verantwortet das Nachrichtenangebot im Internet, hieß in einer Erklärung des Verlages weiter.

Damit hat die atemberaubende Talfahrt des einstmals geachteten und gefürchteten Enthüllungsmagazins („Im Zweifel links“) einen neuen Tiefpunkt erreicht.

2008 trennte sich der Verlag überraschend von dem langjährigen Chefredakteur Stefan Aust, einem Schwergewicht des deutschen Journalismus. Nach zähem Ringen einigten sich die Herausgeber schließlich auf die Installation der beiden Redakteure, die zuvor bereits lange Jahre für den Spiegel gearbeitet hatten. Doch die Chemie zwischen Mascolo und Müller von Blumencron stimmte von Beginn an nicht. Die gemeinsame Führung der Redaktion mißlang, vor rund zwei Jahren wurde von Blumencron als Verantwortlicher für die Internetausgabe Spiegel Online regelrecht „weggelobt“, Mascolo sollte die schwindsüchtige Printausgabe alleine leiten.

Doch auch mit dieser Aufgabenteilung konnte der innerbetriebliche Frieden nicht mehr hergestellt werden. Medienberichten zufolge soll es zwischen beiden permanente Auseinandersetzungen um die „Paid-Content-Strategie“ gegeben haben. Darunter wird der kostenpflichtige Vertrieb von elektronischen Medieninhalten verstanden. Im Endeffekt ging es darum, ob Spiegel Online kostenpflichtig werden soll. Die Seite genießt in der Branche aufgrund des breiten Angebots einen guten Ruf, gilt aber auch als schwer zu finanzieren.

Printchef Mascolo soll sich für die kostenpflichtige Lösung eingesetzt haben. Müller von Blumencron war dagegen und fürchtete, daß Spiegel Online dann seinen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz einbüßen werde. Außerdem konnte er damit kontern, daß sich das Online-Angebot hoher Nutzerzahlen erfreue, während die Printausgabe immer tiefer in die Krise geriet. Denn unter Chefredakteur Mascolo ist die Auflage massiv eingebrochen. Die Auflage sank zuletzt von 1.050.000 auf 891.000 Exemplare, und auch am Kiosk war die Entwicklung dramatisch, fanden doch die zehn schwächsten Verkäufe aller Zeiten in den Jahren 2012 und 2013 statt.

Intern wurde Mascolo seit längerem vorgeworfen, keine eigenen Themen mehr zu setzen und bei der Auswahl der Titelgeschichten häufig danebenzuliegen. Als in der vergangenen Woche die Enttarnung von Steuersündern bundesweit für einen Paukenschlag sorgte, berichteten Süddeutsche Zeitung und der Norddeutsche Rundfunk exklusiv. Der Spiegel war außen vor, was früher ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

Nun stehen die Gesellschafter vor einer schweren Aufgabe. Durchgesickert ist immerhin, daß es mit der Doppelspitze vorbei ist. Die Chefredaktion werde künftig wieder von einer Person geführt. Angesichts der komplexen Besitzverhältnisse dürfte die Auswahl schwierig werden. Eigentümer sind unter anderem die Erbengemeinschaft Augstein, der Verlag Gruner + Jahr sowie die Mitarbeiter-Beteiligungsgesellschaft. Kein Wunder, daß relativ schnell der Name Jakob Augstein fiel. Der Stiefsohn des Verlagsgründers leitet derzeit die Wochenzeitung Der Freitag.

Der 45jährige vertritt die Erbengemeinschaft in der Gesellschafterversammlung, könnte sich also selbst zum Chef küren. Gegen Augstein spricht allerdings die Tatsache, daß er bisher wenig Erfahrung mit medialen Großprojekten hat. Und die Aufgaben bei dem einstigen Flaggschiff der deutschen Nachkriegspublizistik sind gigantisch. Einmal gilt es, die Printausgabe auf Vordermann zu bringen. Zum anderen wird die Frage nach Art und Weise des künftigen Online-Auftritts entscheidend für die weitere Zukunft des Magazins sein.

In Journalisten-Foren wurde daher eifrig über einen Wechsel von Wolfgang Büchner, dem Chefredakteur der Nachrichtenagentur DPA spekuliert, der vor Jahren für den Aufbau des Online-Auftritts des Spiegels verantwortlich war. Der vorzeitige Abschied der beiden in Ungnade gefallenen Chefredakteure kommt den Verlag im übrigen nicht sonderlich teuer zu stehen. Beide Verträge waren jeweils zum Jahresende kündbar. Beobachter sehen darin einen Beweis, daß man von vornherein skeptisch gegenüber der „Tandemlösung“ gewesen sei.

Foto: Auflagenrückgang: Die beiden Ex-„Spiegel“-Chefs Mathias Müller von Blumencron (links) und Georg Mascolo

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