© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Die Lust zum Streit
Malerei: Eine Ausstellung in Berlin zeigt Werke von Honoré Daumier
Fabian Schmidt-Ahmad

Honoré Daumier, der Maler, Zeichner, Bildhauer. Als Gesamtkünstler bewunderten ihn seine Kollegen, von Eugène Delacroix über Henri de Toulouse-Lautrec bis Max Liebermann. Als der zweifelsohne bedeutendste Karikaturist Frankreichs kennt man ihn. Aber Daumier als Gesamtkünstler? Diesen vollständigen Daumier dem deutschen Publikum ins Bewußstein zu rufen ist Verdienst einer Ausstellung der Stiftung Brandenburger Tor im Max-Liebermann-Haus.

Rasch wird der Besucher feststellen, bisher im Irrtum gewesen zu sein: Es gibt diesen anderen Daumier nicht, den Gesamtkünstler neben dem Karikaturisten. Denn sie beide, der ausdrucksstarke Meister wie der gnadenlose Spötter, sie sind ein und derselbe Mensch. In unserer konsensverliebten Gesellschaft übersieht man leicht, daß nicht das größtmögliche Harmoniestreben die Vitalität einer Republik ausmacht, sondern ihre Lust zum Streit. Lust zum Streit, der künstlerische Ausdruck des Streits, und die Bereitschaft, sich über diesen Streit zu amüsieren, das aber ist Daumier.

Die hohe Stellung, welche die politische Karikatur in Frankreich genießt, ist für Deutsche schwer nachzuvollziehen. Und verwunderlich mag die Bewunderung erscheinen, die Daumier auch zu Lebzeiten entgegenschlug, gleichwohl man ihn im wesentlichen nur durch die ungeheure Zahl der Karikaturen kannte, welche Tag für Tag die Druckpressen verließen. Denn der Geist der Republik, das war nicht der antikisierende Heroismus, der in seiner Bewunderung für Rom verdeckte, daß die Politik längst auf dem Weg war, sich neue Cäsaren zu züchten. Das war vor allem der Spott gegen die sich Etablierenden.

Daumier, Jahrgang 1808, war hier das Ventil. Sein Vater, ein Glasbläser aus Marseille, zog mit der Familie nach Paris, um mit einer neuen Karriere als Dichter Schiffbruch zu erleiden. Daumier, der sich als Laufbursche für Gerichte verdingen mußte, behielt diesen Blick der tragisch Gescheiterten auf die große Theaterbühne der Politik bei. Bereits eine seiner ersten Karikaturen, die Darstellung des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe I. als Riese Nimmersatt, dessen Ausscheidungen all die Prädikate und Diplome waren, die zu besitzen größter Wunsch der arrivierten Bürger war, adelte den Republikaner mit einer Gefängnisstrafe. Hinzu kam eine Verwundung durch Barrikadenkämpfe.

Dieses Kämpferische, immer im Augenblick aufs Ganze gehend, durchzieht Daumiers Gesamtwerk. Die stillen Momente, die sich in seinen Bildern finden lassen, sie sind nicht von langer Dauer. Die wenigen Ölgemälde Daumiers – fast alle kleinformatig, fast alle unvollendet –, man spürt förmlich die Ungeduld des Künstlers. Eine Ausnahme stellt der einzige ausgeführte Staatsauftrag Daumiers dar, eine Darstellung des Heiligen Sebastian, in welchem jener seine Unrast tatsächlich einmal zügeln mußte. Ansonsten bleibt ihm nur wenig Zeit, das künstlerisch Wahrgenommene festzuhalten. Stift, Papier, eine kurze Farbskizze – schon geht es weiter im Rhythmus der Presse.

Doch gerade hier wächst Daumier zu voller Größe. „Frau mit Kind“, ein kurzer Moment, mit wenigen Bewegungen in Farbe und Form festgehalten, er verweist auf eine neue Zeit. Formauflösung zugunsten einer impressionistischen Farbwirkung, Flächigkeit des Jugendstils, alles das und mehr kann man hier bei Daumier angedeutet herauslesen. Wie stilbildend die konturierte Zeichnung des Lithographen, die überzeichneten Gesichtszüge des Karikaturisten auch heute noch wirken, läßt sich vor allem an den Modellköpfen erkennen. Sie sehen aus wie einem Comic von André Franquin entsprungen.

Von seinen Kollegen, vor allem den Nachwachsenden zwar als Gesamtkünstler hoch geehrt, blieb Daumier in den Augen des Publikums weiterhin der Lithograph, der ihnen einen Spiegel vorhielt. Erst kurz vor seinem Tod 1879, verarmt und beinahe völlig erblindet, würdigte man ihn in einer Gesamtschau.

Die Ausstellung „Daumier ist ungeheuer!“ ist bis zum 2. Juni im Berliner Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7, täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 22 63 30 30

Der Katalog (Nicolai Verlag Berlin) mit 256 Seiten und 200 Abbildungen kostet in der Ausstellung 28 Euro

www.brandenburgertor.de

Foto: Honoré Daumier, Frau mit Kind (Femme portant son enfant), Öl auf Leinwand, um 1873: Das Bild verweist auf eine neue Zeit. Formauflösung zugunsten einer impressionistischen Farbwirkung, Flächigkeit des Jugendstils, alles das und mehr kann man hier bei Daumier angedeutet herauslesen.

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