© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Antifaschismus ist die politische Theorie der dummen Kerle.

Moleskine, genauer die Herstellerfirma Moleskine Srl., geht an die Börse. Längst sind die kleinen Notizbücher mit dem „Maulwurfsfell“-Einband, dem Gummi- und dem Leseband, den abgerundeten Ecken, dem genähten Rücken und dem cremefarbenen Papier auch im gewöhnlichen Kaufhaus oder Schreibwarenladen zu haben, hat sich die Breite des Angebotes außerordentlich vergrößert, ist viel dahin vom Eindruck des Exklusiven oder Avantgardistischen. Trotzdem bleibt bemerkenswert (und beruhigend), daß es nach wie vor eine so große Zahl von Menschen gibt, die im Zeitalter digitaler Speicherung zum Stift greift, um auf Papier in ein Heft zu schreiben (auch die erste Fassung dieser Texte nahm solchermaßen Gestalt an).

Bildungsbericht in loser Folge XXXVII: „Bisher konnten sich Eltern darauf verlassen, daß ihre Kinder mit dem Abschluß des Gymnasiums in der Lage waren, ein Studium oder eine qualifizierte Ausbildung zu beginnen. Das Abitur war und ist noch immer der beste Indikator für Studienerfolg. Denn den Gymnasiallehrern ist es trotz einer Schülerschaft aus allen sozialen Schichten und einer größeren Übergangsquote aus der Grundschule gelungen, ein hohes Niveau zu halten. Das ist eine erstaunliche Leistung und hängt mit der hohen Qualität der Ausbildung zum Gymnasiallehrer zusammen.“ Mit diesen Sätzen begann Heike Schmoll einen Leitartikel der FAZ zur Bildungspolitik. Und sie sind alle falsch. Weder konnte in den letzten eineinhalb Jahrzehnten sichergestellt werden, daß ein Abitur die Hochschulreife verbürgt oder die Fähigkeit, eine anspruchsvolle Lehre zu bewältigen, noch ist es an den Oberschulen gelungen, „ein hohes Niveau“ zu halten, und was das Studium und das Referendariat von Gymnasiallehrern angeht, verschlägt einem das Ergebnis oft genug die Sprache. Das alles könnte Heike Schmoll wissen, denn ihr Blatt gehört zu den wenigen, die überhaupt noch in Bericht und Kommentar und Leserbriefen einen halbwegs realistischen Eindruck vom Zustand des Bildungssystems vermitteln. Aber es scheint hier wie stets der bürgerliche Wille übermächtig, sich etwas vorzumachen und ein Sterben auf Raten dem coup de grace vorzuziehen.

Reinhard Mohr – ein bekennender „Altlinker“ – hat sich kritisch mit der „politischen Korrektheit“ auseinandergesetzt und sehr vieles vorgetragen, was man nur uneingeschränkt bejahen kann. Auch gegen den Verweis auf die Tradition des Tugendterrors wäre nichts zu sagen. Nur die bei Mohr stets greifbare Verwunderung, daß derlei auf dem Boden von ’68 wachsen konnte, ist nicht nachvollziehbar. Zu den entscheidenden Einsichten der progressiven Intelligenz gehörte doch die vom Zusammenhang zwischen Sprache und Herrschaft, kombiniert mit der Entschlossenheit, die eigene Herrschaft mittels Sprachregelung durchzusetzen, was immer und von Anfang an auf Denk- und Erwähnungsverbote, Debattenausschluß, Ächtung bei Zuwiderhandlung und laufende wie systematische Denunziation der anderen hinauskam. Daß sich diese Realität nicht gleich in ihrer ganzen Widerlichkeit zeigen konnte, hatte einzig und allein seinen Grund darin, daß es noch ein gewisses Maß an Gegenmacht gab. „Political Correctness“ ist keine Fehlentwicklung, sondern das logische Ergebnis linker Alleinherrschaft auf dem Feld der Ideologie.

Bei dem Skandal um den französischen Finanzminister wird regelmäßig auf die „monarchische“ Struktur der obersten Staatsämter in Frankreich verwiesen, das „monarchische Erbe“ hat man sogar schon ins Feld geführt, um überhaupt die Neigung zu Selbstherrlichkeit und Rechtsbruch zu erklären. Auch das ist ein Beispiel für Geschichtsvergessenheit. Ohne die Mißstände des Ancien régime zu beschönigen, wird man feststellen müssen, daß es die Republik war, die von Anfang an und zu Recht im Ruf der Korruption stand, daß Robespierre seinen Beinamen „der Unbestechliche“ erhielt, weil er die große Ausnahme von der allgemeinen Regel – den korrupten Mirabeau, Danton etc. – war und daß die erste, dritte und vierte Republik nicht nur an der Inkompetenz ihrer Politiker, sondern auch am Widerwillen des Volkes angesichts der Verkommenheit seiner Repräsentanten zugrunde gingen. Das ist auch einer der Gründe, warum der Front National nach den letzten Wahlen ruhiges Blut bewahrte: „À bas les voleurs!“ – „Nieder mit den Dieben!“ war seit je der erfolgreiche Kampfruf der populären Rechten in Frankreich.

Angesichts der außenpolitischen Mißhelligkeiten mit Staaten zweiter und dritter Ordnung fragt man sich, ob noch irgendwo ein Kanonenboot einsatzbereit herumsteht.

Warum hat der Undercut, der sich als neuer Haartrend unter jungen Männern etabliert, die Stets-Wachsamen noch nicht auf den Plan gerufen?

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 26. April in der JF-Ausgabe 18/13.

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