© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Mehr Licht als Schatten
Elsaß: Trotz des Scheiterns einer ehrgeizigen Gebietsreform zeigen sich die „elsassischen“ Sprachschützer kämpferisch
Taras Maygutiak

Die Stimmung ist heute nicht gut“, bekennt Bénédicte Keck beim Besuch der JUNGEN FREIHEIT im Elsassischen Sprochàmt in Straßburg, daß sie und ihre acht Kollegen ziemlich geknickt sind. Der Grund ist der Ausgang der Volksabstimmung am vergangenen Sonntag über einen Zusammenschluß der zwei Départements Haut-Rhin (Oberland) und Bas-Rhin (Unterland) mit dem übergeordneten Regionalrat.

Im gesamten Elsaß stimmten 57,7 Prozent mit Ja, im Unterland waren es sogar 67,5 Prozent gewesen, sagt Keck. Allerdings war die Wahlbeteiligung zu gering. Es wurde mit 22,9 Prozent nicht die erforderliche Mindestzustimmung von 25 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht.

Die konservative UMP hatte sich für einen solchen Zusammenschluß ausgesprochen, die Linke war in ihrer Meinung zu einem solchen Schritt gespalten. Der Front National setzte sich dagegen für ein „Nein“ ein, verdächtigte die Elsässer „deutscher Tendenzen“. Hinter dem Argument der Befürworter verberge sich in Wahrheit ein „trinationales“ Projekt. Der Vorwurf lautete: Das Elsaß wolle näher an das nahe deutsche Bundesland Baden-Württemberg und an das schweizerische Basel heranrücken.

Die leidenschaftliche Verfechterin des Elsässerditsch Bénédicte Keck (29) erklärt, weshalb man über den Ausgang des Referendums enttäuscht ist: Ziel sei es, im Elsaß flächendeckend zweisprachigen Unterricht in Französisch und Deutsch einzuführen. Eigentlich dreisprachig, meint sie: „Den Dialekt-Teil darf man dabei nicht vergessen.“

Es gibt im Elsaß zwar einige zweisprachige Schulen für deutsche und französische Kinder – eine übrigens auch im badischen Kappel-Grafenhausen –, „das ist aber viel zuwenig“, urteilt Keck. Durch das Auftreten einer starken Region Elsaß versprach man sich, in Paris mehr Gehör zu bekommen. Denn die Regionen, in denen Minderheitensprachen gesprochen werden, werden seit je her stiefmütterlich von Paris behandelt, wenn es um die Sprache geht.

„Der französische Staat stellt kein Geld zur Verfügung“, winkt Keck ab. Den Bretonen im Norden Frankreichs, den Katalanen und Basken im Südwesten der Republik gehe es da nicht besser. Das jährliche Budget von 800.000 Euro für das Elsassische Sprochàmt, das an allen Fronten kämpft, das Elsässerditsch wieder mehr zu verbreiten, stammt vom Regionalrat in Straßburg.

Um die Frankophonie in den ehemaligen Kolonien beizubehalten, „machen sie alles, aber nichts für die Regionalsprachen“, kritisiert Keck in Richtung Paris. Beinahe schon als Hohn empfindet sie, mit welch unkonkreten Worten 2008 die Sprachen der Minderheiten in den unwichtigeren Artikeln weiter hinten in der Verfassung hineingeschrieben wurden: „Die Regionalsprachen gehören zum französischen Erbgut.“ „Französisch“ stehe gleich vorne in den wichtigen Artikeln der Verfassung: „Französisch ist die Sprache der Republik“, erläutert Keck.

Was der engagierten Elsässerin heute in der Verbreitung des Elsässerditsch noch viel zu wenig ist, war vor einigen Jahren noch gar nicht denkbar. Deutschunterricht war im Elsaß erst in den siebziger Jahren möglich, verrät Keck. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren wurde man bestraft, wenn man in der Schule oder auf dem Schulhof Elsässisch oder Deutsch sprach. Man impfte den Elsässern ein: „Du bist kein guter Franzose, wenn du Elsässisch sprichst“, beschreibt Keck die Situation damals. Und heute sei es immer noch so: „Elsässisch und Deutsch sind Fremdsprachen in ihrer historischen Region geworden.“

Doch etwas Anlaß zum Optimismus geben die Zahlen, die Keck aus einer Studie von 2012 wiedergibt, dennoch. Daraus geht hervor, daß 43 Prozent der 1,8 Millionen Elsässer angeben, Elsässisch zu reden. 88 Prozent stimmen zu, daß das Elsaß an Identität verlieren würde, würde die Sprache verschwinden. 70 Prozent der Elsässer wünschen sich laut der Studie Deutsch als erste Fremdsprache.

Die alltägliche Kärrnerarbeit, das Elsässerditsch wieder salonfähig zu machen, ist vielfältig: Das Sprochàmt gibt immer wieder in den unterschiedlichsten Bereichen Broschüren, in denen die Vokabeln dreisprachig aufgelistet sind heraus – sei es für die Krankenhäuser, das Handwerk, über Natur oder über die Fischerei. Hinzu kommen jede Menge Kinderbücher.

Straßenschilder dürfen heute elsässische Bürgermeister übrigens eigenmächtig in Elsässerditsch anbringen lassen. Die Kosten werden zu 70 Prozent vom Regionalrat getragen. Ortsschilder in der heimischen Sprache werden geduldet – das ist längst nicht überall so in Minderheitenregionen in Europa. An einem Strang zieht das Sprochàmt mit dem Verein „E Friehjohr fer unseri Sproch“ (Ein Frühjahr für unsere Sprache), der alle Jahre wieder 500 Veranstaltungen zur Sprache im Elsaß organisiert.

Wer sich zum Elsässisch bekennt, kann sich die goldene Schwalbe des Vereins, das „Friehjohrschwälmele“ ans Revers heften. Die Post im Elsaß hat gemeinsam mit der Region kürzlich zudem beschlossen, daß man sich an allen Schaltern im Dialekt an das Personal wenden können soll. Schalterbedienstete und Briefträger, die selbst Dialekt sprechen, tragen demnach nun das „Schwälmele“ als Erkennungsmerkmal am Revers.

www.olcalsace.org

www.friehjohr.com

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