© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Ab in den Westen
Thüringen: Drei Landkreise drohen damit, sich Niedersachsen und Bayern anzuschließen
Paul Leonhard

Löst sich der Freistaat Thüringen auf? Die Drohung von drei Landkreisen, sich einem anderen Bundesland anzuschließen, falls die Landesregierung in Erfurt wie geplant eine Gebietsreform umsetzt, ist nicht aus der Luft gegriffen. Sollten Bürgerbewegungen die Argumentation der Landräte aufgreifen, könnte sich in absehbarer Zeit das Eichsfeld Niedersachsen anschließen und die Landkreise Sonneberg und Hildburghausen Bayern. Und in diesem Zuge könnte die Idee eines mitteldeutschen Bundeslandes Sachsen-Thüringen wieder auf die politische Tagesordnung rücken. Denn es ist nicht die erste Drohung dieser Art. Schon vor zwei Jahren hatten Politiker im Altenburger Land laut darüber nachgedacht, nach Sachsen zu wechseln.

Ursache für die aktuelle Aufregung ist ein Gutachten der Landesregierung zur Gebietsreform. Dieses sieht vor, aus den bisher bestehenden 17 Landkreisen acht Großkreise zu bilden. Und aus ihrer Sicht haben die Experten der Kommission alles richtig gemacht: Auf dem Papier wurden größere und effizientere Verwaltungsstrukturen geschaffen. Die „Republik der Landräte“ sollte aufgelöst werden, indem die Zahl der Landkreise halbiert und die Zahl der kreisfreien Städte von derzeit sechs auf drei reduziert wird. Angenommen wurde dabei – bei einer weiter abnehmenden Bevölkerungszahl – eine Mindestkreisgröße von 150.000 Einwohnern im Jahr 2050.

Auf die Wirtschaftskraft auch kleiner Kreise und insbesondere regionale Besonderheiten wurde keine Rücksicht genommen. Das dämmert inzwischen sogar Finanzminister Wolfgang Voß (CDU). Der aus Sachsen nach Thüringen gewechselte westdeutsche Politiker hat in Dresden lange Jahre Erfahrung mit (sächsischer) Identität gemacht und räumte gegenüber der Osterländer Volkszeitung ein: „Wir können Thüringen nicht nach Schablonen reformieren.“ Die Gebietsreform sei zwar wichtig, aber es gehe nicht nur um die idealen Größen aus Sicht von Verwaltungsexperten, sondern „auch um die Frage der Identität Thüringens“: Die Dinge müßten zu den Empfindungen der Menschen passen. Verfolgt man indes die Diskussionen im Internet, scheint es gar keine thüringische Identität zu geben, was wiederum in der Geschichte begründet ist.

Das politische Gebilde namens Thüringen ist relativ jung, denn seit Jahrhunderten hat hier Kleinteiligkeit Tradition. So verloren die Ernestiner, die noch in der Leipziger Teilung der wettinischen Lande 1485 die Kurfürstenwürde zugesprochen bekommen hatten, diese letztlich durch eine immer weitere Aufsplitterung ihres territorialen Besitzes an die in Sachsen regierenden Albertiner. Erst 1920 wurde das Land Thüringen aus sieben Freistaaten gebildet. Nur die Coburger wollten nicht. Die schlossen sich schon damals aus wirtschaftlichen Gründen Bayern an.

1945 wurde das Land um preußische Gebiete erweitert, dann sieben Jahre später in die drei Bezirke Erfurt, Gera und Suhl zerschlagen, und nach der friedlichen Revolution wieder zusammengefügt. Damals kamen die Kreise Schmölln und Altenburg und der Kreis Artern dazu. Wie es allerdings um die Einheit des Freistaates bestellt war, zeigte schon die Suche nach einer Landeshauptstadt. Mit Erfurt, Gera, Jena, Weimar und Nordhausen bewarben sich gleich fünf Städte um den Regierungssitz.

„Man kann eben international wie regional keine künstlichen Identitäten schaffen“, schreibt ein Leser zur Diskussion im Internet: Leider würden die Politiker nicht begreifen, daß „normale Menschen so etwas wie eine Heimat“ haben. „Thüringen brauchen wir nicht“, faßt ein anderer“ zusammen. Thüringen habe es in den vergangenen 20 Jahren nicht geschafft, aus eigener Kraft existenzfähig zu sein, schreibt ein dritter: Das Land sei vielmehr zu „einer Versorgungsanstalt für abgehalfterte Westpolitiker, Beamtenversager und Wendehälse verkommen, die auf allen Verwaltungsebenen gut versorgt dem Untergang entgegendösen“. Und ein anderer schreibt: „Ich bin dafür. Willkommen in Franken, liebe Süd-Thüringer.“

Allerdings scheint auch in Franken nicht alles zum besten bestellt sein. Die Süddeutsche Zeitung erinnerte daran, daß der Bürgermeister von Nordhalben im Frankenwald 2006 mit vier Gemeinden gedroht hatte, nach Thüringen zu wechseln, weil dort die Förderbedingungen besser seien. Gegenüber der Zeitung räumte er nun ein, daß er damals nur auf Abwanderung, Arbeitslosigkeit und leere Kassen aufmerksam machen wollte.

Die derzeitige Diskussion ist aber ernster zu nehmen als diese Bürgermeister-Drohung. Zumindest für den Fall, daß die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten tatsächlich von den Betroffenen aufgegriffen werden. Ein Landeswechsel sei „grundsätzlich möglich“, versicherte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU). Allerdings müßten Staatsverträge abgeschlossen oder das Volk befragt werden. Auch die Jenaer Staatsrechtlerin Anna Leisner-Egensperger hält einen Übertritt der beiden Landkreise nach Bayern juristisch „in keiner Weise für abwegig und auch für begründ- und machbar“.

In Thüringen tat die alarmierte Landesregierung inzwischen das, was Politiker immer tun, die Aktivitäten des Volkes fürchten. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) versicherte, eine Reform werde nicht mehr in der derzeitigen Legislaturperiode erfolgen. Und vorsichtshalber wurde gleich noch eine neue Kommission gebildet, die die Vorschläge der anderen noch einmal prüft.

Würde allerdings Sonneberg tatsächlich Bestandteil Bayerns werden, dürfte es zumindest kulinarisch ein neues Problem geben. Denn es soll ein Pfarrer aus Effelder bei Sonneberg gewesen sein, der als erster eine Kartoffelmasse zu etwas formte, was heute als Thüringer Klöße bekannt ist. Die kämen dann künftig aus Franken.

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