© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Lieblingskrimis ohne Murks
Wiedersehen mit einer untergegangenen Welt: Surrende Wählscheiben, zupackende Ermittler und Räuber, die verknackt wurden
Toni Roidl

Das Auto blinkt, dann biegt es um die Ecke und parkt. Die Polizisten steigen aus, schlagen die Wagentüren zu und schließen das Auto ab. Mit dem Schlüssel, nicht per Funkverriegelung. Dann klingeln sie am Gartentor, warten, melden sich durch die Gegensprechanlage, öffnen das Tor und schließen es hinter sich wieder. Sie gehen zum Haus, der Kies knirscht unter ihren Schuhsohlen. An der Haustür klingeln sie nochmals. Bis dahin sind bereits drei Minuten vergangen, in denen nichts Wesentliches passiert ist: Alte Krimiserien schauen ist meditatives Fernsehen.

Youtube ermöglicht Zeitreisen zu den Lieblingsserien aus Kindertagen: „Derrick“, „Wanninger“, „Auf Achse“, „Der Fahnder“, „Der Alte“ – Hunderte Folgen aus den Jahren 1965 bis 1985 sind auf dem Videoportal abrufbar. Ein Wiedersehen mit einer längst untergegangenen Welt. Doch es sind nicht die fehlenden Internetanschlüsse und Mobiltelefone, die die Handlungen so anachronistisch aussehen lassen: Obwohl der Zeitabstand von drei, vier Jahrzehnten ja nun auch kein Rückgriff in die Vorkriegsära ist, zeigen gerade die kleinen Details, wie radikal sich unsere Gesellschaft in dieser Spanne verändert hat.

Das fängt beim Rauchen an: Ob Kneipe, Wohnzimmer, Kantine – die Aschenbecher sind immer voll. Ob Kommissar, Täter oder Opfer: Alle qualmen pausenlos und ohne schlechtes Gewissen. Wenn der Verdächtige dem Inspektor am hellichten Tag selbstverständlich einen Cognac anbietet, sagt dieser natürlich nicht nein. Heute wäre das nicht nur unerlaubte Vorteilsnahme, sondern gleich Alkoholismus im Dienst.

Die Frisuren sind „voll retro“, und die Wohnungen ein Traum in Beige und Grün. Was heute besonders auffällt: Selbst Charaktere aus prekären Milieus bewohnten damals riesige Altbauwohnungen mit Flügeltüren und hohen Decken. Doch angesagt war der Jugendstil-Charme nicht. Die Besserverdiener leben in futuristischen Bungalows oder Appartementhäusern.

Zum langsamen Schnitt, der die Szenen endlos dehnt, kommt die ungewohnt spärliche Musikuntermalung. Musik ist im Grunde nur zu hören, wenn in der Handlung ein Radio läuft oder eine Liveband spielt. Ansonsten hört man Dielenknarzen, Kiesknirschen – und ein Geräusch, das die heutige Generation gar nicht mehr erkennt: das Rotieren von Telefonwählscheiben.

Die Autos sind nicht nur Design-Kunstwerke, sondern werden auch zum Selbstzweck gefahren: „Ich bin mit meinem Wagen spazierengefahren“, sagt der Verdächtige, um sich ein Alibi zu geben. Heute wäre allein das ein Haftgrund, wegen Klima und so.

Die Drehbuchautoren hatten damals Unterhaltung im Sinn, keine Volkserziehung. Die Verbrecher sehen wie Verbrecher aus, und ihr Schicksal ist unausweichlich – sie werden alle überführt, verhaftet und – so darf der Zuschauer getrost annehmen – auch verurteilt. Kein Mensch interessiert sich für ihre Kindheitstraumata. Ein offenes Ende wäre den Serienschreibern nicht in den Sinn gekommen und von den Zuschauern auch nicht akzeptiert worden. Nur „Tatort“-Autoren von heute trauen sich, dem Publikum so einen Murks vorzusetzen.

Mit dem Privatleben der Polizisten wird man kaum belästigt. Wozu auch? Und wenn doch, ist es zwar etwas spartanisch, aber doch ganz solide. Jedenfalls kein Vergleich zu den verkorksten Scheidungstypen von heute. Wie sollen die auch noch anständig Ganoven jagen, wenn sie dauernd irgendeinen Sozialstreß haben?

Daß die Ermittler bei besonders fiesen Verdächtigen auch mal aus der Haut fahren, sie hart anfassen, am Kragen packen und anschnauzen, gehört in alten Serien zum guten Ton. Und keiner wird deshalb vor einen Untersuchungsausschuß gezerrt. Selbst dem für seine Contenance berühmten Derrick, die Sozialdemokratie in Person, rutscht gelegentlich die Hand aus.

Auch die Strafmaße lassen aufhorchen: „Kannst du dich an den Fall Berger erinnern?“ „Ja, er wurde damals wegen Raubes zu acht Jahren verurteilt.“ Heute ginge der Dialog so: „Ja, er wurde damals wegen Raubes zu zwei Jahren Bewährung verurteilt und hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich dagegen geklagt.“

Die Aufrufzahlen und begeisterten Kommentare müßten den Autoren von heute eigentlich sagen, daß sie etwas falsch machen. Doch weit gefehlt: Die Schreiber in den Öffentlich-Rechtlichen sind so selbstzufrieden wie Regietheater-Regisseure und produzieren lieber weiterhin „Tatort“-Folgen, in denen böse Deutsche arme Ausländer drangsalieren.

Wer davon Erholung sucht, findet in der westdeutschen Fernsehunterhaltung vor 1989 eine Welt, die so reaktionär war, daß sie heute schon wieder revolutionär ist.

Foto: Szenenfotos aus Wanninger- und Derrick-Krimis der 1960er und 1970er Jahre: Zeitreise in herrlich reaktionäre Männergesellschaften

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