© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Das mächtige Narrativ der Natürlichkeit
Ein Münchner Diskurs über Nutzen und Nachteil grüner Gentechnik / Protestantisch-katholische Scheidelinie?
Axel Niemann

Gentechnik auf dem Acker, so schätzt Jürgen Soll, Münchner Ordinarius für Biochemie und Pflanzenphysiologie, werde es in Deutschland zumindest in den nächsten zehn Jahren nicht geben. Für seinen Kollegen, den Soziologen Bernhard Gill, der mit Soll im Beirat eines Forschungsschwerpunktes zur „Grünen Gentechnik“ am Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München sitzt, sind das beruhigende Zukunftsaussichten. Denn in einer liberalen Marktordnung habe der Verbraucher, wie Gill im Diskurs mit Soll über Nutzen und Nachteil gentechnisch veränderter Pflanzen argumentiert (Einsichten, 2/12), ein Recht auf transgenfreie Nahrungsmittel.

Hauptstreitpunkt zwischen beiden Wissenschaftlern ist die „Gefährlichkeit“ gentechnisch manipulierter Nahrungsmittel. Soll kann gegenüber dem eher übliche Antipathien gegen die Agroindustrie signalisierenden Gill auf so umfangreiche wie teure deutsche Untersuchungen verweisen, die durchweg zum Ergebnis führten, eine Gefahr für Mensch und Umwelt bestünde bei diesen Erzeugnissen nicht. Trotzdem gebe es etwa – trotz EU-weiter Zulassung – ein deutsches Anbauverbot für den genveränderten Bt-Mais des US-Konzerns Monsanto, der ein Bakteriengen trage, das einen Giftstoff gegen den Schädling Maiszünsler produziere.

Nicht verständlicher erscheine dieses Verbot, wenn man wisse, daß dasselbe, „für Mensch und Tier absolut ungiftige“ Toxin gegen den Maiszünsler im strikt kontrollierten und angeblich höchsten ökologischen Standards entsprechenden Anbau des Bio-Verbandes Demeter „großflächig gespritzt“ wird. Keine Bedenken errege auch der hohe Import von transgenem Pflanzenmaterial, das man hauptsächlich in der Tiermast verarbeitet. 75 Kilo Sojabohnen entfielen pro Jahr und pro Kopf auf den hier ökologisch eigenartig dickfelligen Bundesbürger.

Anders als es Kampagnen „gegen Genmais“ suggerieren, „nehmen biologische Vielfalt und Nachhaltigkeit beim Anbau von Bt-Mais im Vergleich zum klassischen Maisfeld zu, weil der Landwirt nicht mehr so viel spritzen muß“, meint Soll. Das schone sogar Fauna und Flora. Die öffentliche Aversion, die zur Verlagerung der Forschungslabore großer Firmen wie BASF in die USA und zur Einstellung aller Freilandversuche in Deutschland geführt habe, sei daher „rein politisch motiviert“. Hier richte die Politik ähnlichen Schaden an wie bei der per Energiewende forcierten Biosprit-Erzeugung (E10 & Co.), denn, so ätzt der Pflanzenphysiologe Soll, Bioäthanol sei „ehrlich gesagt ziemlicher Blödsinn“. Aber die Politik habe sich EU-weit darauf festgelegt, das lasse sich nicht mehr so leicht umdrehen.

Solls wissenschaftlich-rationale Erörterung grüner Gentechnik wird unerschütterliche und kulturell determinierte Verbraucherpräferenzen ebenfalls kaum ins Wanken bringen, denn „ausgerechnet die Industrie, die der Nahrung eigentlich ihre Natürlichkeit nimmt, bewirbt sie schon seit hundert Jahren als natürlich“, so Gill. In den USA, Nordeuropa und vor allem den Niederlanden spiele „das Narrativ der Natürlichkeit keine so prominente Rolle, anders als etwa in Südeuropa und den deutschsprachigen Ländern“. Bei Lebensmitteln „Natur einzufordern“, habe hierzulande eine lange Tradition. Selbst zwischen Nord- und Süddeutschland spiele die protestantisch-katholische Scheidelinie offenbar eine größere Rolle, denn südlich des Mains sei der Widerstand gegen die Gentechnik auf dem Acker verbreiteter als in Nord- und Mitteldeutschland.

„Einsichten – Das Forschungsmagazin der Uni München“ 2/12: uni-muenchen.de/

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