© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

„Hürriyet“ auf die Überholspur?
NSU-Prozeß: Es waren zuerst deutsche Journalisten, nicht türkische, die die Platzvergabe des Münchner Gerichts problematisierten
Ronald Gläser

Die Regeln, die jeder Journalist kennt, sind ganz einfach: Bei Konferenzen oder im Gericht ist zeitiges Erscheinen Trumpf, um nicht stehen zu müssen oder gar abgewiesen zu werden. Das wissen auch die türkischen Kollegen, die an dem NSU-Prozeß teilnehmen wollen, sich aber nicht pünktlich angemeldet haben. Längst ist das Vergabeverfahren zu einem politischen Skandal geworden, der zu deutsch-türkischen Verstimmungen geführt hat.

Es waren allerdings deutsche Medien, die als erste das Akkreditierungsverfahren als Diskriminierung geißelten, allen voran die taz. Dort erschien am 25. März der Artikel „NSU-Prozeß ohne türkische Medien“. Sofort legte Spiegel online nach und berichtete: „Türkische Medien gehen bei Platzvergabe leer aus.“

Erst am darauffolgenden Tag erschien die türkische Tageszeitung Hürriyet mit ihrer deutschen Titelzeile „Türkische Medien nicht erwünscht“. Sogar die Bundesregierung mischte sich daraufhin ein und heizte den Streit zusätzlich an.

Das OLG München blieb jedoch dabei und bekräftigte noch einmal am Dienstag: Eine Neuvergabe kommt nicht in Frage. Wer auf der Warteliste ist, so wie übrigens auch die JUNGE FREIHEIT (Platz 103), wird nicht bevorzugt behandelt. Und so ruderten einige Politiker nach einer Woche Hühnerhaufen wieder zurück. Ruprecht Polenz etwa, der zu den ersten Kritikern der Platzvergabe gehört hatte. Er bemängelte die harschen Worte aus Ankara: Das Gericht sei in der Lage, den Prozeß „vernünftig, fair und zielgerichtet zu bewältigen“, so Polenz in der Berliner Zeitung.

Trotzdem laufen Überlegungen, wie den türkischen Medien dennoch Zugang zum Prozeß gewährt werden kann. Das Neue Deutschland, Bild und sechs öffentlich-rechtliche Rundfunksender hatten türkischen Kollegen ihren Platz angeboten. In diesem Fall würden die Plätze jedoch an diejenigen vergeben, die als erste erschienen sind. In der Tagesschau wurde daher eine Überholspur für türkische Journalisten diskutiert, weil sie sonst „um sechs Uhr aufstehen müssen“, um als erste da zu sein. Ganz ohne Pünktlichkeit geht es also doch nicht.

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