© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Ankunft in der Wirklichkeit
TV-Tip: Die dänische Politserie „Borgen“ zeigt beispielhaft die Abgründe des verlogenen Politbetriebs auf
Christian Vollradt

Normalerweise ist Skepsis angebracht, wenn sich alle Feuilletonisten in ihrem Urteil einig sind. Im Fall der dänischen Politserie „Borgen“ ist das anders: Sie ist wirklich exzellentes Fernsehen, eine spannende Geschichte, so intelligent wie unterhaltsam, mit vorzüglichen Schauspielern. Im vergangenen Jahr sendete Arte bereits die Staffeln 1 und 2 – zu einer weitaus „christlicheren“ Uhrzeit als jetzt das Erste. Doch selbst wenn eine Doppelfolge nun bis jeweils 1.30 Uhr dauert, lohnt sich das Aufbleiben (oder Aufnehmen).

„Borgen“ – der deutsche Titel „Gefährliche Seilschaften“ ist eher irreführend – ist der Spitzname des dänischen Regierungssitzes Christiansborg, Hauptschauplatz der Serie. Im Zentrum der Geschichte steht Birgitte Nyborg, die als Spitzenkandidaten der „Moderaten“, einer (fiktiven) linksliberalen Partei, überraschend erfolgreich aus den Parlamentswahlen hervorgeht und schließlich Premierministerin einer aus mehreren linken Parteien bestehenden Koalition wird.

Nyborg will sich im Stil und den politischen Inhalten bewußt von ihrem Vorgänger, dem rechten Liberalen Lars Hesselboe, der über eine Affäre stürzte, abgrenzen. Auf ihrer Agenda stehen Ökologie und Feminismus, Menschenrechte und Integration, das volle Programm ambitionierter „Gutmenschlichkeit“. Und Birgitte Nyborg ist eine moderne Frau mit einem modernen Mann, der als erfolgreicher Wirtschaftswissenschaftler vereinbarungsgemäß seine Karriere ruhen läßt, damit seine Gattin durchstarten kann.

Doch mit dem Wahlsieg und der Amtsübernahme beginnen erst so richtig die Probleme. Nach und nach muß Nyborg einsehen, daß sie nicht gegen die ungeschriebenen Regeln des parlamentarischen Betriebs regieren kann, und so wird Folge für Folge aus der Moral- eine Realpolitikerin. Parallel dazu zeigt sich, daß auch die privat nicht ohne missionarischen Eifer in Angriff genommene Überwindung klassischer Rollenvorstellungen so einfach nicht funktioniert und das Familienleben mit ihrem Mann und den zwei Kindern erheblichen Belastungen ausgesetzt ist.

Großen Einfluß auf die Premierministerin hat ihr wichtigster Mitarbeiter, der „Spindoktor“ Kasper Juul, ein brillanter Analytiker, ein „Workaholic“ mit einem dunklen Geheimnis aus seiner Kindheit und einem eher mitleiderregenden Privatleben. Juul hat eine mal mehr, mal weniger enge Liaison mit der Fernsehjournalistin Katrine Fønsmark, was wiederum mittelbar eine gewisse Rolle beim unerwarteten Wahlsieg Nyborgs spielte. Andererseits recherchiert Fønsmark an einer Geschichte über Guantanamo-Häftlinge auf der amerikanischen Thule Air Base in Grönland, die Nyborgs Regierung in Schwierigkeiten bringt.

Wie in einem Kammerspiel verdichtet Borgen die „große“ Politik auf einer kleinen Bühne. Den Machern der Serie ist eine geradezu exemplarische Darstellung des Mit- und Gegeneinanders von Parteien, Medien und Wirtschaft gelungen. Anschaulich wird, wie hinter den Kulissen um Posten geschachert, gekungelt und intrigiert wird, wie Politiker um jeden Preis an ihrem Stuhl kleben – und an dem anderer sägen; wie auf Pressekonferenzen die Entscheidungen „kommuniziert“ werden, bei denen zuvor die Fetzen flogen; und wie es bei solchen Verlautbarungen vor allem darauf ankommt, was nicht gesagt werden soll.

Auch die (echten) Mechanismen des Medienbetriebs lassen sich aus der fiktiven Handlung wunderbar herauslesen. Die Verzahnung mit den politischen Protagonisten, das „Geben und Nehmen“, bei dem jeder auf seinen Vorteil bedacht ist, während das Berufsethos schon mal auf der Strecke bleibt; einerseits die Jagd nach der Sensation, andererseits die bange Frage nach der politischen Opportunität.

Warum muß ein solch gelungener Sittenspiegel erst aus unserem nördlichen Nachbarland importiert werden? Mag sein, daß sich Dänemark als relativ überschaubare Einheit einfach besser für eine derartige Politserie eignet. Aber ein, wenn nicht das entscheidende Qualitätsmerkmal ist wohl der für Fernsehdeutschland ungewöhnliche Verzicht auf jegliche Schwarzweißmalerei; obwohl – oder gerade weil? – die wesentlichen Protagonisten der Serie eher im linken Milieu verankert sind. Doch die dargestellten Politiker sind allesamt Typen, aber eben jeder auf seine Weise differenziert und durchaus widersprüchlich; keiner ist Nur-Schurke oder Nur-Held. Das gilt für den grünen Hoffnungsträger mit Migrationshintergrund, der sich privat weit weniger ökologisch verhält, als er vorgibt, genauso wie für den Vorsitzenden der Rechtspopulisten, dem durchaus sympathische Züge und Äußerungen zugedacht worden sind. Etwa wenn er das politisch korrekte Getue der Konkurrenten, die seine Partei gern zum Paria stempeln, als scheinheilig entlarvt.

„Borgen“ kommt insgesamt ohne schlichte Kategorisierungen, ohne aufdringliche Belehrungen aus, stattdessen wird Folge für Folge eine spannende Geschichte erzählt. So einfach ist das, und deswegen wohl so schwer.

Borgen. Ab 5. April, 23.30 Uhr, immer freitags in der ARD eine Doppelfolge

Foto: Wahlkampf: Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen), Chefin der fiktiven linken „Partei der Moderaten“

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