© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Gegen die Macht der Kirche
Humanistische Union: Nicht die Bürgerrechte stehen im Fokus der Lobbygruppe, sondern der Kampf gegen Kirchenprivilegien, Rassismus und Polizeigewalt
Sverre Schacht

Der Humanismus wird als politischer Begriff in Deutschland vielerorts beansprucht. Neben der „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“ Giordano-Bruno-Stiftung, dem Humanistischen Verband Deutschlands (siehe Infokasten) oder dem Humanistischen Pressedienst tritt vor allem die Humanistische Union (HU) mit ihrem Eintreten für das „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ und „gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft oder Kirchen“ hervor.

Dem nicht genug. Auch der Kampf gegen den „staatlichen und alltäglichen Rassismus“, die „Gängelung und Beeinträchtigung von antirassistischen Initiativen“ oder die Kritik an der „unzureichenden Aufklärung rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ stehen im Fokus der HU-Interessen.

Die HU ist die erste Bürgerrechtsbewegung der Bundesrepublik. Für sie begann alles mit einem Bühnenbild: 1961 sorgte in Augsburg eine Aufführung von Mozarts Figaro für Aufsehen. Dort „waren verschnörkelt auf einen Plafond gemalte Putten, eher skizzenhaft“ zu sehen, so der HU-Weggefährte und Mozartforscher Volkmar Braunbehrens rückblickend. Die Inszenierung mit freizügiger Barockdame und Liebhaber wurde wegen des „unsittlichen“ Bühnenbildes bald abgesetzt. Für den Ostpreußen und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk Gerhard Sczcesny (1918–2002) ist damit das Maß voll. Widmete sich der Philosoph bis dato einem intellektuellen Nischenpublikum, beschließt er mit dem Gründungsaufruf zu einer neuen Vereinigung einen Gegenakzent zu setzen: „Wir sind zu Mitläufern einer Verschwörung geworden, die unsere Entmündung und Gleichschaltung diesmal im Namen der christlichen Heilslehre verlangt.“

Sczcesny versammelt in jenem Sommer in München zusammen mit dem Richter Fritz Bauer Gleichgesinnte um sich. Bauer wird ab 1963 als Wegbereiter der Frankfurter Auschwitzprozesse von sich reden machen. In der so entstandenen Gruppe, „einem der merkwürdigsten Vereine Nachkriegsdeutschlands“, wie der Spiegel 1967 urteilen wird, finden sich Freigeister, Liberale, Atheisten, aber auch Wegbereiter der späteren sozialliberalen Koalition.

In der Folgezeit kristallisiert sich freidenkend, doch nicht frei von Vereinsmeierei, eine auch nach innen streitbare Lobbygruppe heraus: „Sie kämpfen gegen Männer mit NS-Vergangenheit in Amt und Würden, gleichwohl gehören zu ihnen NPD-Mitglieder und ehemalige Nationalsozialisten“, ätzt jener Spiegel-Beitrag. Sczcesny verliert die Führung nach internem Streit, in dem seine Gegenspieler deutliche HU-Strukturen durchsetzen, schon 1967, 1968 dann auch den Vorsitz.

Die Humanistische Union ist heute „eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation, die sich, so die Eigenbeschreibung, seit ihrer Gründung 1961 für den „Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte“ einsetzt. Bei einem Mitgliedsbeitrag von 90 Euro im Jahr veranstaltet die als gemeinnützig anerkannte Gruppe in ganz Deutschland Diskussionen und Vorträge für ihre rund 1.200 Mitglieder (Stand 2010), aber auch für Außenstehende. In den Anfangsjahren zählte die Organisation teils über 4.000 Mitglieder. Über die viermal jährlich erscheinende Zeitschrift für Aufklärung und Bürgerrechte und die jährlich erscheinenden Bände „Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ festigt sie den Kontakt unter den Mitgliedern.

Doch die Ziele der HU sind auch nach dem Zerwürfnis mit dem Gründervater spannungsreich geblieben. Nicht nur in den zentralen Anliegen wie der „größtmöglichen Verwirklichung von Menschenrechten und Freiheit“ hat sich viel von der verflogenen Aufbruchsstimmung der Achtundsechziger-Generation konserviert: So inszeniert sich die HU mit staatstragenden Fragen und tritt doch gegen staatliche Bevormundung auf, ist philosophisch geprägt und gibt sich antiklerikal.

Schon der Gründungsaufruf „ist geprägt vom Pathos der Aufklärungstradition“, so Zeitzeuge Braunbehrens. Zu den selbstgesteckten Zielen gehört heute die „Abschaffung des geheimdienstlichen Verfassungsschutzes“ und „staatlicher Kirchenprivilegien“, ausdrücklich auch des Religionsunterrichts zugunsten von Ethikunterricht.

Entsprechend war die HU im Verbund mit SPD, Linkspartei, den Bündnisgrünen sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine der Wortführerinnen im Kampf für den Erhalt des verpflichtenden – weltanschaulich neutralen – Ethikunterrichtes und gegen die Einführung eines nach Konfessionen getrennten Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion in Berlin im Jahr 2009. Im Anschluß jubelte HU-Bundesvorstand Johann-Albrecht Haupt über das „klägliche“ Scheitern des „Pro Reli“-Volksbegehrens.

Aktuell macht sich die Humanistische Union für das Ende staatlicher Unterstützung der christlichen Konfessionen stark: „Bei den Staatsleistungen handelt es sich um allgemeine, nicht zweckgebundene Zuwendungen der Länder an die beiden großen christlichen Kirchen in Höhe von rund 481 Millionen Euro jährlich.“ Diese Forderung sei sogar Gegenstand von Artikel 140 des Grundgesetzes, argumentiert die HU. Zu der kirchenkritischen Stoßrichtung treten Betätigungsfelder in speziell bürgerrechtlicher Tradition. Hierzu zählen der Einsatz für Minderheiten und die stete Liberalisierung des Strafrechts.

Diese Programmatik lockte von Anfang an auffällig viele Anwälte, Ärzte, Kriminologen, Psychologen und Sozialforscher in die Reihen der HU. Darunter Personen, die Wissenschaftsgeschichte schrieben. Für eine derart einseitige Prägung durch bürgerliche Bildungseliten stehen neben Bauer der Politikwissenschaftler Jürgen Seifert (1928–2005), der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908–1982) und der Rechtswissensschaftler Rudolf Wassermann (1925–2008). Der Schriftsteller Walter Jens steht der HU nahe, ebenso der derzeitige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar. Die einstige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, stellte bereits den Grundrechtereport der HU vor. Mitherausgeber des jährlichen Berichts sind die Gustav-Heinemann-Initiative, Pro Asyl und Juristengruppen wie die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen.

Enge Bindungen zu den Medien bestehen über das langjährige HU-Beiratsmitglied Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, und die Journalistin Daniela Dahn. Auch zahlreiche Politiker gehören den wichtigen Gremien Beirat und Vorstand an. Die Liste liest sich wie ein Wer-ist-wer linksliberaler Politik: Otto Schily (Grüne) saß im Vorstand. Parteifreundin Renate Künast ist bis heute im Beirat. Ebenso sind die Grünen-Bundespolitiker Claudia Roth und Volker Beck dort ehrenamtlich tätig. Neben Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger setzt sich der FDP-Politiker Burkhard Hirsch für die HU ein.

Manche aus den Anfangsjahren stammende Wissenschaftsmode formt bis heute den Kurs der Institution. So sitzt der Nestor der Reformpädagogik, Hartmut von Hentig, bis heute im Beirat. Als Lebensgefährte des 2010 verstorbenen langjährigen Leiters der Odenwaldschule, Gerold Becker, schweigt Hentig bis heute über sein Wissen über den systematischen Mißbrauch von Schülern durch Lehrer an jener Schule. Kontakte pflegte die HU zudem zu der „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität“ (AHS). Die AHS setzt sich dafür ein, daß das Thema der „sexuellen Selbstbestimmung“ – auch bei Kindern oder „bestimmten sexuellen ‘Minderheiten’“ – nicht aus der öffentlichen Diskussion verschwindet.

Erst im August 2004 zog die HU die Reißleine und ließ verlauten, daß sie „ausdrücklich nicht“ die innerhalb der AHS „vertretene Auffassung, daß sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Kindern unter bestimmten Umständen straffrei sein sollten“, teile.

Doch nicht nur mit der langjährigen Zusammenarbeit mit der AHS, auch mit der „Erklärung des Bundesvorstandes der HU zum Sexualstrafrecht“ offenbarte der HU-Vorstand noch im Juni 2000 eine mehr als unklare Haltung zur Pädophilenproblematik, indem er lapidar darstellte, daß in der Strafrechtspolitik, insbesondere mit der Rechtfertigung des „Schutzes der Kinder“ eine „Dämonisierung von bestimmten Tätern und Tätergruppen“ erzeugt wurde. Der Soziologe Rüdiger Lautmann, Autor des nicht unumstrittenen Buches „Die Lust am Kind“ sitzt ebenfalls nach wie vor im HU-Beirat. Jüngste Kritik von Leutheusser-Schnarrenberger an der katholischen Kirche wegen dortiger Mißbrauchsvorfälle brachte ihr entsprechend den Vorwurf der Doppelmoral ein.

Weit mehr als solche Kritik setzt der HU heute der Wandel politischer Protestformen zu. So mahnte der Verband Kassel jüngst in „Zeiten des Umbruchs“ „eine stärkere Orientierung der Humanistischen Union auf Aktionen und Kampagnen“ an. Kampagnennetzwerke und kurzfristige Aktionen laufen dem behäbigen Bürgerrechtstanker den Rang ab.

Die einstige SED-Juristin Rosemarie Will, seit 2005 Bundesvorsitzende der HU und Professorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität Berlin, erreicht die junge, virtuell orientierte Protestgeneration kaum. Und auch intern kriselt es: Im Februar traten rund drei Viertel der Mitglieder des besonders aktiven Ortsverbandes Frankfurt am Main aus. Sie wollen so gegen eine ihrer Ansicht nach veränderte Kirchen- und Religionspolitik der Bundesgeschäftsführung protestieren. Die Frankfurter beharren nach eigenem Bekunden darauf, im Geist des HU-Gründers Sczcesny fortzufahren. Sie stehen nun der Bundesspitze gegenüber, von der mancher der Alt-Säkularisten sich neuerdings als „Säkularisationsstalinist und Atheismustaliban“ angefeindet sieht. Das jedenfalls beklagt Vorstandsmitglied Peter Menne und beruft sich auf entsprechende E-Post an die HU-Bundesführung.

www.humanistische-union.de

 

Humanistischer Verband (HVD)

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) ist mit knapp 20.000 Mitgliedern der größte humanistische Lobbyverband. Ähnlich der Humanistischen Union vertritt er eine säkulare Auffassung, ist aber weniger politisch-ideologisiert. Ziel des HVD ist die Gleichbehandlung, heißt, er verlangt, daß ihm die gleichen organisatorischen und finanziellen Rechte eingeräumt werden wie den Kirchen. In Berlin ist der HVD Träger des Humanistischen Lebenskundeunterrichts. Hier nahmen im Schuljahr 2010 insgesamt 164.569 Schüler am freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterricht teil. Der größte Anteil entfiel mit 80.393 Teilnehmern auf den evangelischen Religionsunterricht, gefolgt von 49.813 Teilnehmern am humanistischen Lebenskundeunterricht und 25.021 Teilnehmern am katholischen Religionsunterricht.

Foto: Aufruf zum Kirchenaustritt am Gründonnerstag 2012 am Mainzer Standesamt: Humanismus ante portas

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