© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Das gefährlichste Geschäft der Welt
Euro-Rettungsfonds ESM: Statt Gläubiger Aktionär auf Kredit / Pleitebanken sollen auf Risiko des Steuerzahlers direkt „rekapitalisiert“ werden
Wolfgang Philipp

Zu den zahlreichen Unwörtern der vermeintlichen Euro-Rettungspolitik gehört der neue Begriff der „Rekapitalisierung“ von Finanzinstituten. Der Durchschnittsbürger wird mit diesem Begriff kaum etwas anfangen können. Die Fachleute, die ihn verstehen, hüllen sich darüber überwiegend in Schweigen. Dabei lauert durch den sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hier eine ganz neue Dimension von Risiken für die Steuerzahler. Denn diese werden nun nicht mehr nur wirtschaftlich, sondern auch juristisch existentiell bedroht.

Nach Artikel 15 Absatz 1 des ESM-Vertrages kann der ESM-Gouverneursrat beschließen, „Finanzhilfe mittels Darlehen an ein ESM-Mitglied speziell zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten dieses ESM-Mitgliedes zu gewähren“. Diese Klausel verwendet zwar den ominösen Begriff „Rekapitalisierung“, erlaubt eine solche aber nur mittelbar. Die von dem ESM gezahlten Geldbeträge sind Darlehen, die der ESM dem betreffenden Mitgliedsstaat gewährt. Dieser Staat wird und bleibt Schuldner des ESM, es wird ihm lediglich erlaubt, das Geld nicht zur Sanierung des eigenen Staatshaushaltes, sondern auf eigenes Risiko als Eigenkapital maroden Banken in seinem Hoheitsgebiet zuzuführen.

Die Grundkonzeption des ESM, daß seine Finanzhilfen nur als verzinste und rückzahlbare Darlehen an andere Staaten gewährt werden dürfen, bleibt (noch) erhalten. So ist es etwa auch geschehen, als 2012 Spanien vom ESM einen Kredit über rund 40 Milliarden Euro zum Zwecke der Weiterleitung an spanische Banken erhalten hat (JF 11/13). Schon vor etwa einem Jahr hat aber die Euro-Gruppe durch die in ihr vertretenen Finanzminister beschlossen, anzustreben, daß der ESM marode Banken auch durch direkte „Hilfen“ ohne den Umweg über den Partnerstaat „rekapitalisieren“ darf oder soll. Zwar ist die dann nötige und von den Parlamenten abzusegnende Vertragsänderung noch nicht zustande gekommen, doch wird das gefährliche Ziel weiterverfolgt.

Eine neue Variante zielt gar darauf ab, Tochtergesellschaften des ESM zu gründen, die – refinanziert durch am Markt aufzunehmende Darlehen – dieses „Rekapitalisierungsgeschäft“ betreiben sollen. Wie dem auch sei: Jeder Bürger muß sich darüber im klaren sein, daß die direkte Rekapitalisierung durch den ESM selbst oder dessen noch zu gründende Tochtergesellschaften das Eintauchen in eine völlig andere Finanzwelt bedeutet: „Rekapitalisierung“ heißt, daß die zu rettende Bank nicht etwa Fremdkapital per Darlehen, sondern Eigenkapital auf dem Wege der Kapitalerhöhung erhält.

Der ESM wird bei Direkt-Rekapitalisierung nicht Gläubiger, sondern Aktionär, die Banken brauchen Eigenkapital naturgemäß nicht zurückzuzahlen, das Geld ist also als solches endgültig „weg“. Als „Gegenleistung“ erhält der ESM (oder eine ESM-Tochtergesellschaft) nur junge Aktien der betreffenden in Schwierigkeiten befindlichen Bank. Der Wert der jungen Bankaktien hängt zunächst davon ab, daß ein zutreffender Ausgabekurs gefunden wird.

Dazu kommt vor allem aber, daß es sich jeweils um überschuldete Banken handelt, deren Eigenkapital also negativ ist. Die ESM-Gelder fließen sodann gleich wieder an Gläubiger dieser Banken weiter ab, welche letztlich die eigentlichen Profiteure solcher „Rekapitalisierungsaktionen“ sind. Die Überschuldung der Banken wird zwar verringert, ein positives Eigenkapital kann sich aber erst zeigen, wenn die Überschuldung beseitigt ist.

Es ist also – im Falle Spanien hat sich dies bereits erwiesen – damit zu rechnen, daß dem ESM in Gestalt der Aktien ein „Gegenwert“ zufließt, der kein zusätzliches und sich dann im Aktienkurs widerspiegelndes positives Eigenkapital der Bank schafft, sondern erst einmal stark negative Kapitalkonten ausgleicht. Damit steht fest, daß der ESM sein Geld nicht zurückbekommt, er muß es bei seinen eigenen Gesellschafterstaaten im Wege des Abrufs von Einlagen ersetzen, die Steuerzahler werden unmittelbar belastet. Der ESM hat in seiner kürzlich bekannt gewordenen Jahresbilanz (per 31. Dezember 2012) nach Abzug schon eingezahlter rund 32,8 Milliarden Euro weitere 667,2 Milliarden Euro als Forderungen gegen diese Gesellschafterstaaten ausgewiesen, die er jederzeit abrufen kann. Die von der Bundesregierung verbreitete Behauptung, es handele sich dabei um „Bürgschaften“, ist damit widerlegt: „Bürgschaften“ könnte der ESM nicht als Forderung in seiner Bilanz ausweisen. Daß der Bund seine Einlageverpflichtung gleichwohl als Bürgschaft behandelt und im Bundeshaushalt nicht ausweist, entlarvt eine Fälschung des Bundeshaushalts.

Die Folgen einer solchen Politik reichen aber noch viel weiter: Wenn der ESM oder seine Tochtergesellschaft Aktien erwirbt und auch noch mit Fremdgeld refinanziert (wie es vorgesehen ist), betreibt er das gefährlichste Geschäft, das man im Finanzmarkt betreiben kann: Er erwirbt Aktien auf Kredit. Genau solche Geschäfte haben 1932 die große Bankenkrise in Deutschland herbeigeführt. Es begann mit der Darmstädter und Nationalbank, die in großem Umfang Aktien auf Kredit gekauft hatte, diese Kredite aber nicht mehr zurückzahlen konnte, als die Aktienkurse infolge der Weltwirtschaftskrise zusammenbrachen.

Ein weiterer bisher gar nicht beachteter Gesichtspunkt solcher „Direktrekapitalisierung“ besteht darin, daß der ESM im Laufe der Zeit Mehrheitsaktionär zahlreicher Banken in ganz Europa würde. Es entstünde damit der mächtigste Bankkonzern der Welt, dessen Finanzmacht alle Lebensbereiche beeinflussen würde. Das wäre das Ende der Marktwirtschaft. Selbst die Notenbanken würden angesichts der Macht des entstehenden und bekanntlich totalitär geführten ESM-Konzerns zu „Finanzzwergen“ werden. Deshalb ist es geboten, einer solch fatalen Entwicklung erbitterten Widerstand entgegenzusetzen.

Offizieller ESM-Vertragstext: european-council.europa.eu

Foto: Euro-Vabanquespiel ESM: Rettungsfonds wird Mehrheitsaktionär zahlreicher Banken in ganz Europa

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