© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Wider die falschen Propheten
Finanzwissenschaft: Lehren der Österreichischen Schule für die Vermögensanlage / Hortendes Sparen statt hemmungsloser Konsum
Rahim Taghizadegan

Als einer der wenigen Ökonomen der Österreichischen Schule, die heute noch in dieser Tradition forschen und lehren, werde ich oft um Anlageempfehlungen gebeten. Müßte nicht diese Schule, die die aktuellen Dynamiken besser als andere vorhergesehen und beschrieben hat, auch die bessere Glaskugel besitzen? Tatsächlich zeichnet sich die Wiener Schule, wie ich lieber sage, durch den bescheidensten Zugang zur Prognostik aus.

Ökonomische Werte und Preise sind nicht durch die Vergangenheit eindeutig bestimmt, sondern entwickeln sich aus subjektiven Erwartungen über eine ungewisse Zukunft. Daher ist etwa der Blick auf Aktien-Charts so irreführend. Es handelt sich dabei bloß um die graphische Darstellung vergangener Entscheidungen, die wenig über künftige verrät. Einerseits klammern wir uns an die Vergangenheit: Ökonomen sprechen hierbei von der Unfähigkeit, uns von „versunkenen Kosten“ zu lösen.

Andererseits gehen wir falschen Propheten auf den Leim. Eine Untersuchung von 6.500 „Wirtschaftsexperten“-Prognosen zeigte kürzlich, daß die Übereinstimmung mit der Realität im Schnitt bei 48 Prozent lag. „Expertentips“ sind also dem Münzenwerfen unterlegen. Die Aktienempfehlungen von Gurus funktionieren nach dem Muster von Pyramidenspielen: Die Empfehlung selbst führt zur Preissteigerung.

Eine zentrale Einsicht der Wiener Schule besteht darin, relative und nicht absolute Preise zu betrachten. Viele lassen sich von hohen Nominalwerten blenden und unterschätzen die Entwertung des Geldes. Diese Konzentration auf Papiergeldwerte führt zur falschen Perspektive, die steigende Aktienkurse als Indikatoren guter Wirtschaftsentwicklung und als Kaufsignale mißversteht – sonst wäre die Börse von Simbabwe die stärkste der Welt gewesen. Steigende Kurse bedeuten bloß eine Abnahme der Kaufkraft des Geldes, ausgedrückt in Unternehmensanteilen.

Die Spekulation wird durch die Wiener Schule verteidigt: Jedes Handeln ist ungewiß und daher spekulativ. Erfolgreiche Spekulanten gleichen Preisunterschiede aus und helfen, das dezentralisierte Wissen in einer Wirtschaft besser zu verteilen, indem sie Fehler aufdecken. Daß die Spekulation jedoch überhandnimmt und die breite Masse auf die Aktienmärkte lockt, liegt an der künstlichen Aufblähung aller Vermögenswerte. Die Aufblähung der Kredit- und Geldmenge setzt jenen Prozeß in Gang, der einem Pyramidenspiel gleicht: Vermögenswerte werden nicht mehr aufgrund ihres produktiven Ertrages gekauft, sondern in der Erwartung, noch größere Narren zu finden, denen man sie teurer verkaufen kann.

Diese Aufblähung bezeichnete man einst als „Inflation“; heute wird darunter die Teuerung mißverstanden. Doch Teuerung ist ein ungeeignetes Maß für die Entwertung des Geldes: Sie setzt mit großer Verzögerung ein, wird durch Produktivitätsgewinne kompensiert und läßt sich nicht objektiv messen. Die offiziellen „Inflationsraten“ sind geschönte Zahlen auf der Grundlage willkürlicher Methoden und Annahmen, die das wahre Ausmaß der Entwertung verschleiern. Inflation führt nicht nur zur schleichenden Enteignung der Sparer, sondern zu einer laufenden Umverteilung hin zu den Zentren der Geldschöpfung: Staat, Banken, Großkonzerne. Selten verzichteten Machthaber auf diese versteckte Steuer, die zugleich die Wirtschaftsstruktur zum Vorteil ihrer Günstlinge verzerrt. Wie der Fall Zypern drastisch zeigt, besteht eine der wichtigsten Anlageüberlegungen darin, sein Vermögen vor dem Zugriff der Politik zu retten.

Während das Horten meist als wirtschaftsschädigend verunglimpft und das Heil im hemmungslosen Konsum verkündet wird, verteidigt die Wiener Schule dessen Notwendigkeit. Hortendes Sparen ist der erste Aspekt jeder langfristigen Vermögensanlage. Hierbei geht es um den Werterhalt liquider Mittel, die Handlungsfähigkeit gewährleisten. Aufgrund der Ungewißheit ist es notwendig, liquide Mittel zu halten. Sinnvolle Investitionen lassen sich nicht zu jedem Zeitpunkt und in jeder beliebigen Stückelung durchführen. Der Aufbau realer Strukturen der Wertschöpfung erfordert einen Vorrat an Liquidität. Das absatzfähigste Gut ist per Definition Geld; also die Haltung von Barreserven.

Aufgrund der schlechten Qualität heutigen Geldes, das aus nahezu beliebig vermehrbaren Schuldtiteln besteht, wird das Horten zu einer Herausforderung: Selbst Bargeld ist eine hochspekulative Anlageklasse, denn es ist politischer Willkür ausgeliefert – bis hin zu Bargeldverboten. Daher ist zusätzlich die Souveränität der Vermögensklassen zu betrachten, also die relative Unabhängigkeit von Entwertung und Belastung. Historisch haben sich Edelmetalle als relativ souverän erwiesen, souveräner sind nur noch geistige Vermögenswerte wie Talente, Fertigkeiten, Kontakte, Ideen, Wissen.

Gehortetem Geld wird vorgeworfen, es arbeite nicht. Doch heute ist es schon eine Kunst, nur einen Werterhalt zu erreichen, und dieser ist Voraussetzung jeder Investition. Das investive Sparen besteht aus Sicht der Wiener Schule im Kapitalaufbau. Und Kapital ist etwas gänzlich anderes als Geld – ganz im Gegenteil muß Geld ausgegeben werden, um Kapital aufzubauen.

Kapital ist eine filigrane Struktur von Gütern, Wissen, Entscheidungen, Arbeit und Erwartungen. Leider ist durch die Aufblähung im künstlichen Boom die Kapitalstruktur weltweit massiv verzerrt. Das bedeutet, daß viele Investitionen langfristig nicht mit den Präferenzen, Zahlungsbereitschaften und -möglichkeiten der Konsumenten zusammenpassen. Der notwendige Korrekturprozeß wird politisch immer weiter verschoben, was die Lage laufend verschlimmert. So werden Investitionen noch mehr zu einem Hasardspiel, als sie es durch die unvermeidliche Ungewißheit ohnehin wären. Aufgrund der Inflation überschätzen Firmen ihre Gewinne, und die reale Kapitalbasis schwindet.

Doch Kapitalaufbau gelingt am ehesten dort, wo man persönlich einen besseren Einblick hat als die breite Masse, und das ist die eigene Wertschöpfung. Der Fokus auf die aufgeblähten Börsen mit ihrer künstlichen Volatilität führt dabei in die Irre. Investieren bedeutet, die Kapitalstruktur zu vertiefen, um höhere Wertschöpfung zu erzielen. Am ehesten kann dies im eigenen Beruf gelingen. Aber auch wer nicht selbständig ist, kann ins eigene Wertschöpfungspotential investieren.

Aus Sicht der Wiener Schule ist der einzige Weg zu nachhaltigem Kapitalaufbau und damit Wohlstand Sparsamkeit, Werterhalt und das eigenverantwortliche Wagnis, liquide Mittel für Umwege höherer Wertschöpfungspotentiale einzusetzen. Konsum ist nicht die Ursache, sondern die Folge höheren Wohlstandes und damit das Ziel der Wertschöpfung. Bei aller Mühe um den Vermögensaufbau darf man dessen Ziele nicht aus dem Auge verlieren. Schließlich bestimmen unsere Konsumentscheidungen ebenso über die Wirtschaftsstruktur, sie sind daher Teil jeder „Anlagestrategie“.

 

Rahim Taghizadegan ist Leiter des Instituts für Wertewirtschaft und Dozent in Wien. Er schrieb das Buch „Wirtschaft wirklich verstehen – Einführung in die Österreichische Schule der Ökonomie“ (Finanzbuchverlag 2011).

www.wertewirtschaft.org

www.wienerschule.org

 

Österreichische Schule der Ökonomie

Die Österreichische oder besser „Wiener Schule“ der Volkswirtschaftslehre wurde von dem Wiener Ökonomieprofessor Carl Menger (1840–1921) begründet, der von 1873 bis 1903 Ökonomie und Statistik in Wien lehrte. Nachfolger waren seine Studienkollegen Friedrich von Wieser (1851–1926) und Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914). Dessen Schüler Ludwig von Mises (1881–1973) glänzte als Geld- und Konjunkturtheoretiker. Friedrich August von Hayek (1899–1992) ist der wohl bekannteste „Wiener“. Seine später verwässerten antietatistischen Ideen dienten aber leider auch als Feigenblätter für Machtausweitung, Zentralisierung und Klüngelkapitalismus (Stichwort: „Neoliberalismus“). Wesentliche wissenschaftliche Grundlage ist die subjektivistische Wertlehre, also die Anerkennung von Menschen als Subjekten mit Lernfähigkeit und Entscheidungsfreiheit. Ökonomische Werte und Preise entwickeln sich daher aus subjektiven Erwartungen über eine ungewisse Zukunft.

Ludwig von Mises Institut in München: www.misesde.org

Foto: Geld unter der Bettdecke: Werterhalt liquider Mittel, um in Krisen die Handlungsfähigkeit zu gewährleisten

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