© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Vegetarischer Blattschuß
Landwirtschaft: Grundeigentümer mit ethischen Bedenken müssen Jagd nicht mehr dulden
Christian Baumann

Nun ist es amtlich: Nach einem ungewöhnlich kurzen Politikdiskurs in Berlin, dem ein 2012 gefälltes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (ECHR) vorausgegangen war, müssen Landbesitzer in Deutschland die Jagd auf ihrem Grund und Boden nicht mehr hinnehmen. Bundestag und Bundesrat stimmten mit großer Mehrheit unter anderem für die Einfügung des neuen Paragraphen 6a ins Bundesjagdgesetz, der die „Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen“ ermöglicht. Damit können Grundstückseigentümer den Ausschluß ihrer Flächen von jeglichen jagdlichen Aktivitäten erwirken – sofern sie ihre moralische Aversion gegen das Töten von Tieren auf eigenem Besitztum glaubhaft machen können.

Im Grunde genommen war eine solche Rechtssetzung angesichts der grassierenden politischen Korrektheit längst überfällig: Warum sollte ein überzeugter Tierschützer, Vegetarier oder sogar Veganer, der zudem ein Stück Wald oder Flur sein eigen nennt, das Erlegen eines freilebenden Wildtieres – auch wenn es noch so waidgerecht erfolgt – dulden? Man könnte im Grundsatz einen solchen Entscheid gutheißen – hätte die neue deutsche Gesetzgebung nicht einschneidende Auswirkungen auf das Jagd- und Jagdgenossenschaftswesen.

Doch wenn ein Grundstücksbesitzer rechtmäßig seine Fläche der Jagdausübung entziehen darf, wird die bislang gesetzlich verankerte Pflichtmitgliedschaft in den Jagdgenossenschaften ausgehebelt. Dadurch geht eines der ursprünglichen Motive der Jagdgenossenschaft, kleinere Flächen zu wildbiologisch sinnvollen Flächeneinheiten zu bündeln, verloren. Das wiederum steht der Zielsetzung der Bejagung, einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten, wie auch Wildschäden in der Forst- und Landwirtschaft zu vermeiden, entgegen. Denn zurückziehendes Wild auf „befriedeten Flächen“, auf denen die Jagd ruht, entzieht sich der Bestandsregulierung in dem umliegenden Jagdbogen mit der Folge erhöhter Wilddichten inklusive potentieller Wildschäden sowohl auf der befriedeten Fläche als auch auf den umliegenden Arealen. Eine „Disharmonie“ zwischen den beteiligten Grundstücksnachbarn ist also vorprogrammiert.

Daneben muß sich eine Jagdgenossenschaft darauf einstellen, daß ihre zu verpachtende Fläche abhängig von dem Ausmaß zukünftig befriedeter Flächen entsprechend an Wert verliert. Eine „verinselte“ Jagdpachtfläche mit schwer regulierbarem Wildbestand, nicht handhabbarer Wildschadenssituation und erschwerter praktischer Jagdausübung etwa bei Drückjagden, Nachsuche verletzten Wildes, effizienter Plazierung von Jagdeinrichtungen ist nur noch – wenn überhaupt – begrenzt verpachtungsfähig. Gleichwohl wird ein solches Szenario nicht von heute auf morgen eintreten. Nach der voraussichtlichen Gesetzesinterpretation tritt in der Regel eine Befriedung erst mit Ende eines Jagdpachtvertrages, also praktisch nach neun oder zwölf Jahren, in Kraft.

Zudem mutmaßt der Gesetzgeber in hellseherischen Fähigkeiten, daß bundesweit höchstens 300 Anträge auf Austritt aus der Jagdgenossenschaft gestellt werden. Vielleicht wird der Befriedungsgedanke sogar erst über Generationen populärer, wenn naturferne Erben von Land- und Waldflächen ihren ethischen Rigorismus über diesen Weg ausleben. Gleichwohl steht durch die aktuelle Gesetzesänderung fest: Das Jagdsystem in Deutschland, dessen Ursprung bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht, wird sich – wenn auch schleichend – grundlegend ändern.

Info-Portal des Bayerischen Jagdverbands: jagd-bayern.de

Urteil des ECHR vom 26. Juni 2012 – 9300/07: dejure.org

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