© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

„Nationalstolz ist verboten“
Achtung, hier kommt Tuvia Tenenbom! Er liebt es, keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Zuletzt reiste der amerikanisch-jüdische Autor durch Deutschland und schrieb ein Buch darüber: „Allein unter Deutschen“, eine Abrechnung. Stahlhelm auf und ab in den Keller!
Moritz Schwarz

Herr Tenenbom, wenn Sie Deutscher wären, wären Sie stolz darauf?

Tenenbom: Ich glaube, es ist gesund, stolz auf das zu sein, was man ist. Das gilt für jedermann und jedes Land. Daß die Deutschen diese seltsame Anwandlung haben, nicht stolz sein zu wollen, ist ein ungesunder, ja ein gefährlicher Zustand.

In Ihrem Buch „Allein unter Deutschen“ schildern Sie, wie Sie verzweifelt versuchen, auch nur einen stolzen Deutschen zu finden.

Tenenbom: Sie kennen doch diese intellektuellen Begründungen, wie etwa: „Wie kann man auf etwas stolz sein, was man nicht selbst gemacht hat.“ Ach so? Niemand kann etwas dafür, daß er Grieche, Türke, Franzose oder Jude ist und sie sind alle stolz. Nur den Deutschen will das nicht einleuchten, eigenartig.

Allerdings haben Sie einen Verdacht.

Tenenbom: Es gibt da die Stelle in meinem Buch, als wieder einmal ein Deutscher, ein Professor, meine Frage mit einem empörten „Natürlich nicht!“ zurückweist. Dann trinken wir gemeinsam, er mehr als ich, und ich erzähle ihm diese und jene Geschichte. Wir trinken noch mehr und am Ende gibt er zu: Natürlich sei er stolz.

Woher der Sinneswandel?

Tenenbom: Zum einen hat ihn das Bier ehrlich gemacht. Zum anderen, hatte ich sein Vertrauen gewonnen, er fühlte sich nicht mehr unter Aufsicht.

Irgendwie ist die Episode allerdings recht erbärmlich.

Tenenbom: Ach, die Deutschen sind eben so erzogen worden. Man ist nicht stolz auf seine Nationalität, höchstens heimlich und sogar das gestehen sich viele nicht ein.

Das erinnert an die Episode in Ihrem Buch mit Jens Jessen, Kulturchef der „Zeit“.

Tenenbom: Ich fragte ihn, welches das beste deutsche Medium sei, und er sagt voller Bewunderung: „Der Deutschlandfunk!“ – nicht etwa „Die Zeit“. In den USA undenkbar! Ein leitender Redakteur des Time-Magazine würde nie antworten: „Newsweek ist besser“ – und vice versa. Natürlich ist der eigene Laden der beste! Davon ist man ehrlich überzeugt. Später im Buch folgt die Episode, wie ich ein paar Jurastudenten treffe und sage: „2006 war euer Land doch wie im Rausch. Während der WM wart ihr Deutschen regelrecht verliebt in eure Nationalflagge, mehr als andere Nationen.“

War das so?

Tenenbom: Auf jeden Fall! Diese Zärtlichkeit, mit der sich viele junge Deutsche in ihre Fahnen gehüllt haben, da war wirklich viel Liebe zum Eigenen zu spüren. Ich frage sie also: „Warum macht ihr das nicht auch sonst?“ Die Antwort war nicht etwa: Weil wir das nicht wollen. Sondern: „Weil man uns dann für Nazis hält.“ Na bitte: Eigentlich wünschen sich die Deutschen mehr Nationalstolz, er ist ihnen nur „verboten“.

In der Tat bekommen Sie bei „zuviel“ gezeigtem Nationalstolz in Deutschland schnell Ärger mit „engagierten“ Mitbürgern, der Polizei oder Linksextremisten.

Tenenbom: Ja, in Deutschland habt ihr dieses rabiate Phänomen, daß sich Rechts- und Linksextremisten auf offener Straße bekämpfen. Etwas, was ich so in meiner Heimatstadt New York noch nie gesehen habe. Für euch Deutsche mag das aussehen wie der Kampf zweier Lager – aber ich sage Ihnen: Von außen sieht das aus wie ein Familienstreit! Zu mir sagen beide Seiten: „Mit den anderen darf man nicht reden!“ Ich frage, warum nicht? Redet doch mal miteinander, statt euch zu prügeln! Ihr seid doch eigentlich eine Familie, ihr seid doch alle Deutsche!

In Ihrem Buch schildern Sie Ihre Besuche bei Links- und Rechtsextremisten und stellen verwundert fest: Beide Seiten beanspruchen völlig überzeugt, daß ihr Kampf nur „der Liebe und dem Frieden“ gilt.

Tenenbom: Ja erstaunlich, nicht? In den Darstellungen der Medien werden ja vor allem die Rechten fast ausschließlich als böse Brutale dargestellt. Nun, ich habe sie als freundliche, offenherzige, nette Menschen kennengelernt, die bereit sind, ihrem Gegenüber zu vertrauen.

Sie waren – getarnt als Amerikaner auf der Suche nach seinen deutschen Wurzeln – im Neonazi-„Club 88“ in Neumünster.

Tenenbom: Und der Betreiber, Frank, hat mich ins Herz geschlossen.

Sie schreiben, er habe Ihnen erzählt, daß man alle Juden töten müsse.

Tenenbom: Er wußte ja nicht, daß ich Jude bin. Natürlich sind diese Leute gefährlich, aber die Dämonisierung, die ihr hier in Deutschland mit ihnen betreibt, halte ich für Unsinn.

Inwiefern?

Tenenbom: Hitler war auch kein Dämon, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber das anzuerkennen, ist viel schwieriger, als ihn als Dämon darzustellen. Ja, ich weiß, natürlich haben Links- und Rechtsextremisten schon viele Menschen umgebracht. Ich weiß auch vom NSU und daß er acht Türken und einen Griechen getötet hat. Das ist schlimm. Aber hallo, ihr Deutschen, ich habe Nachrichten von außerhalb für Euch: Es passiert dauernd und überall, daß Menschen getötet werden! Man muß kein NPD-Parteibuch haben, um ein Mörder zu sein. Ja, stellt euch vor: Die meisten Mörder auf der Welt sind nicht Mitglied in eurer NPD! So wie das bei euch in Deutschland gerne dargestellt wird, so läuft das in Wirklichkeit gar nicht ab. Sehen Sie, ich habe vor meinem Besuch im „Club 88“ Ihre Medien rezipiert und glaubte danach, nun komme ich in eine Brutalo-Hölle – und dann traf ich da lauter reizende Menschen.

Wenn Sie so etwas in Deutschland öffentlich sagen, sind Sie ein „Verharmloser“ und „Relativierer“. Möglicherweise selbst ein Nazi-Sympathisant?

Tenenbom: Ja, ich weiß. Aber ich glaube, das liegt daran, daß die Deutschen nicht wissen, was Demokratie wirklich ist.

Was meinen Sie?

Tenenbom: Ich empfinde die deutsche Kultur immer noch als autoritär.

Inwiefern?

Tenenbom: Mein Eindruck ist, in Deutschland hat man nicht begriffen, worum es bei der Demokratie geht.

Jetzt bin ich gespannt.

Tenenbom: Es geht darum, Meinungen zuzulassen und nicht sie auszugrenzen, Gedanken zu teilen und nicht sie zu verbannen. Die deutschen Linken etwa ermahnen uns, man dürfe Hamas und Hisbollah nicht dämonisieren, man müsse mit ihnen sprechen, da auch sie Menschen seien. Nun, ich stimme zu. Und ich frage: „Was ist dann mit euren Nazis? Die sind auch Menschen. Dann sprecht auch mit ihnen.“ „Nein“, so die Antwort, „das ist nicht politisch korrekt!“ Aha – dann habt ihr nichts begriffen!

Man hat Ihnen, wie Sie berichten, im „Club 88“ ins Gesicht gesagt, man sollte die Juden töten. Warum setzen Sie sich dennoch für diese Leute ein?

Tenenbom: Ich versuche eben immer, den Menschen im Menschen zu sehen.

Sehr nobel, aber „Frank“ hat beschlossen, Ihr Volk zu hassen. Sie hätten Grund, sich zumindest nicht um ihn zu kümmern.

Tenenbom: Sie verstehen nicht, was ich Ihnen sagen will. Frank ist ein Neonazi, ja. Aber meine Botschaft ist: Reduzieren Sie ihn nicht darauf. Trotzdem kann er ein netter Mensch sein – ich habe es erlebt. Als Menschen sind wir alle gleich, es ist unsere Kultur, die uns unterschiedlich macht, ja. Aber dennoch kann man jedem Menschen auf einer persönlichen Ebene begegnen, und da kann auch ein Nazi ein guter Mensch sein. In Jordanien habe ich zusammen mit den Palästinensern in der Moschee zu Allah gebetet und „Es ist Zeit, die Juden zu töten!“ gesungen. Und dennoch waren das nette Kerle, wir hatten viel Spaß zusammen.

Sie sind ein so radikaler Humanist, daß es vermutlich selbst eingefleischten Humanisten angst und bange wird.

Tenenbom: Ich nehme nur die Tatsachen zur Kenntnis. Wir wissen, daß selbst die Nazis, die die Juden ermordet haben, ihre Kinder geliebt und ihren Frauen zärtliche Briefe geschrieben haben, es gab also in ihnen einen guten Kern. Die meisten haben nicht gemordet, weil sie böse waren, sondern weil sie die Juden als Ratten gesehen haben – was man ihnen so beigebracht hat. Sie töteten also aus ihrer Sicht keine Menschen, sondern Ungeziefer. Die Juden waren Ungeziefer im eigenen Haus. Nun frage ich Sie, Sie ganz persönlich: Was tun Sie, wenn Sie Ungeziefer im Haus haben?

Nun ...

Tenenbom: Sagen Sie schon!

Ja, nun ... versuchen, es loszuwerden.

Tenenbom: Und wie?

Am besten wohl ...

Tenenbom: Also?

... mit Gift.

Tenenbom: Genau! Jetzt haben Sie die Nazis verstanden! Jetzt sind Sie selbst einer!

Meinen Sie?

Tenenbom: Glauben Sie denn, Sie seien davor gefeit, Böses zu tun?

Ich weiß nicht ...

Tenenbom: Ach was, auch aus Ihnen könnte man leicht einen Killer machen, wenn man Sie entsprechend beeinflußt. Das steckt in jedem von uns. Und wissen Sie was, mir ist ein Mann wie Frank, der mir offen ins Gesicht sagt was er denkt, lieber als Ihre Pseudointellektuellen, die ihren Antisemitismus hinter ihrer „Friedens- und Menschenliebe“ für die Palästinenser verstecken. Ich habe überhaupt schon viele ehrliche Gespräche mit „intoleranten“ Menschen des Nahen Ostens geführt, aber noch kein einziges mit den „toleranten“ Menschen des Westens. Der Grund ist einfach: Die „toleranten“ Menschen des Westens sind die intolerantesten Menschen, die man sich vorstellen kann.

Warum?

Tenenbom: Ihre große Furcht ist, daß ihre innere Leere entlarvt wird. Deshalb wünschen sie sich instinktiv, wenn man mit ihnen diskutieren will, daß man auf der Stelle tot umfallen möge.

Aber viele Deutsche sorgen sich aufrichtig um das Wohl der Palästinenser.

Tenenbom: Glauben Sie? Ich habe nicht einen gefunden, der das wirklich tut. Im Grunde sind die Palästinenser den Deutschen völlig egal.

Woher wissen Sie das?

Tenenbom: Sehr einfach: Ich habe diesen Deutschen von den Palästinensern in Jordanien erzählt. Ich habe ihnen berichtet, wie sie dort leben. Und ich sage Ihnen, im Vergleich dazu ist der Gaza-Streifen – so traurig die Situation dort ist – ein Paradies. Die Palästinenser in Jordanien sind wirklich Verdammte! Sie leben wie Hühner in der Batterie. Aber das interessiert die Deutschen nicht.

Was meinen Sie?

Tenenbom: Na, es interessiert sie nicht. Sie sorgen sich angeblich so sehr um das Wohl der Palästinenser in Gaza, daß sie Israel kritisieren müssen. Aber das Wohl der Palästinenser in Jordanien interessiert sie nicht. Da wird doch dann wohl klar, worum es eigentlich geht. Da bringen die israelischen Gewalttaten einen jungen Studenten in München um den Schlaf, wie ich im Buch schildere, während die Gewalttaten der Russen in Tschetschenien oder das Unglück der Kurden seinen Schlummer nicht stören.

Da fällt mir jetzt kein Gegenargument ein.

Tenenbom: Oh, Sie scheinen ein echter Intellektueller zu sein. Sonst höre ich nämlich nie, daß jemand einräumt, ein Argument hätte auf ihn gewirkt, nun müsse er erst mal darüber nachdenken.

Vielleicht bin ich auch nur schlecht vorbereitet.

Tenenbom: Na gut, vielleicht, auch das.

Sie gehen in Ihrem Buch mitunter sehr hart mit den Deutschen ins Gericht. Hassen Sie uns, was ja einige Medien aus Ihrem Buch geschlossen haben, oder lieben Sie uns?

Tenenbom: Was glauben Sie?

Stellenweise äußern Sie sich geradezu vernichtend – aber eigentlich glaube ich, Sie lieben uns.

Tenenbom: Das haben Sie gut erkannt.

Warum?

Tenenbom: Ich glaube, es liegt daran, daß ihr Deutschen ebenso neurotisch seid wie ich, deshalb fühle ich mich bei Euch so wohl. Und dann natürlich: eure Schnitzel! Da ist es mir wurscht, was ihr über uns Juden denkt. Solange ich solche Schnitzel bei euch genießen kann, sollt ihr Deutschen gesegnet sein!

 

Tuvia Tenenbom, „Der Anarchist, der Deutschland schockiert“ (Stern) und dessen Buch „Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise“ (2012) prompt auf der Spiegel-Bestsellerliste landete, ist eigentlich ein renommierter Dramatiker und Essayist. Tenenbom ist Autor eines knappen Dutzends Theaterstücke, die auch in Deutschland aufgeführt werden. Außerdem schreibt er für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel – regelmäßig unter anderem in der Zeit, dem Corriere della Sera und der Yedioth Ahronoth, der größten israelischen Tageszeitung. Geboren 1957 in Tel Aviv, zog Tenenbom 1981 nach New York, studierte Theaterwissenschaften, Mathematik, Informatik, Islamkunde und Rabbinische Studien. 1994 gründete er das „Jewish Theater of New York“. Sein neues Buch findet weltweit Lob, die Asia Times etwa empfiehlt es, „um die Deutschen zu verstehen“, und die amerikanische National Review schreibt: „Komisch, sarkastisch, beeindruckend, fesselnd, anklagend, wertend – gut! Ein unglaubliches Buch.“

www.jewishtheater.org

Foto: Tuvia Tenenbom: „Eigentlich wünscht ihr Deutschen euch doch mehr Nationalstolz“

 

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