© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Der Flaneur
Ein Vogel über Afrika
Josef Gottfried

Bist du der Marcel und fährst nach Dresden?“ – „Ja.“ – „Ah, super.“ – „Hast du was Zerbrechliches in deiner Tasche? Wir holen auf der Strecke noch jemanden ab, könnte eng werden im Kofferraum.“ – „Nee, das paßt schon. Du wolltest 20 Euro für die Fahrt haben, ne?“ – „Jepp.“

Ich habe eine Mitfahrgelegenheit über eine Internetbörse gebucht und fahre mit einem halbwegs Fremden – Name, Gesicht, Auto, Nummer sind mir ja bekannt – von hier nach dort. 450 Kilometer, eine Solidargemeinschaft für knapp fünf Stunden also. „Und was machst du so in Dresden?“ Meine Antwort ist standardisiert und nach einiger Erfahrung so ausgelegt, daß sie wenig Anlaß für weitere Fragen bietet. Die Frage nach dem Beruf ist der zweite Anknüpfungsversuch, dann kann ich das Gespräch mit dem Fahrer, der nicht einmal unsympathisch ist, abbrechen.

Ich starre auf einen Taschenatlas und lerne die Staaten Afrikas auswendig. Weil ich verspielt bin, werden Gambia und Lesotho zu meinen Lieblingsländern, ich ermüde und schlafe ein.

Ein breitschultriger, bierbäuchiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht erklärt mir den Weg und die richtige Reihenfolge der Fahrzeuge derer, die diesen Weg zu absolvieren haben. Sein tiefes Bayrisch, ich möchte es unbedingt „tellurisch“ nennen, riecht angenehm nach Weißbier, das laute Lachen über die eigenen Witzchen läßt ebensowenig Zweifel an seiner Kraft wie die behaarten Unterarme. Er zündet sich eine Zigarette an: „Und wissen’s, wos das Beeste da doran is?“ – „Nein?“ – „Guad, ich erklär’s Eana.“

Es ist immer dasselbe mit Träumen, die Pointe erfolgt nicht. Wir halten an einem Rastplatz, Toilettengang, rauchen, „coffee to go“. Alles verbunden mit dem Zwang zur Konversation. „Was willst du denn mit diesen afrikanischen Ländern?“ fragt Marcel. „Als Vogel betrachten“, sage ich.

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