© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Macht und Ohnmacht des Imaginativen
Ein neues Handbuch gibt Auskunft über die politischen Inhalte der Ikonographie
Felix Dirsch

In der unmittelbaren Gegenwart tritt die Relevanz der Bilder für politisches Handeln unübersehbar zutage. Wer könnte die Macht des Ikonischen leugnen, wenn man an die Übertragung der zerstörten Twin-Towers vom 11. September 2001 denkt oder an die suggestive Kraft der medialen Darstellung des Atomunfalls von Fukushima im letzten Jahr? Die immensen politischen Konsequenzen dieser Präsentationen brauchen kaum erwähnt werden. Folgerichtig beschäftigte sich 2012 eine vielbesuchte Münchner Ausstellung („Bild-gegen-Bild“) mit dem Einsatz elektrovisueller Medien in kriegerischen Auseinandersetzungen nach 1989/90 (JF 35/12)

Doch die „Macht der Bilder“ reicht bis in die Antike zurück, wie besonders die wichtige Studie des Archäologen Paul Zanker über das Zeitalter des Augustus zeigt. Um so unverständlicher ist es, wenn über die politischen Implikationen von Bildern zwar viele Detailstudien vorliegen, eine zusammenfassende Synthese jedoch bislang fehlte. Selbst Handbücher und Lexika geben über diese Zusammenhänge kaum systematisch Auskunft.

Ein ambitioniertes Projekt unter der Leitung dreier bekannter Kunsthistoriker (Uwe Fleckner, Martin Warnke, Hendrik Ziegler) versucht nun, diese Lücke schließen. Über 140 Stichworte und über 1.000 Abbildungen bietet das Handbuch der politischen Ikonographie in zwei Bänden (von Abdankung bis Huldigung, von Imperator bis Zwerg). Viele Autoren konnten auf die Bestände des Hamburger Warburg-Hauses zurückgreifen, das über Hunderttausende von Bildkarten verfügt. Unzählige Gemälde, Denkmäler, Flugschriften, Filme, Plakate und Fotografien werden im Hinblick auf ihre politische Bedeutsamkeit untersucht.

Die Strukturierung des Werks ist einleuchtend. Jedes Stichwort enthält mehrere Aufnahmen, auf die sich der Text sinnvollerweise bezieht. Exemplarisch sei das erste Stichwort („Abdankung“) genannt. Das erste Bild dieses Artikels stammt aus der Zeit zwischen 1450 und 1475 und präsentiert eine Szene, in der Richard II. Krone und Zepter an Henry von Lancaster übergibt. Die achte und letzte Fotografie dieses Beitrags zeigt die Abdankung der niederländischen Königin Juliana zugunsten ihrer Tochter Beatrix 1980.

War der Amtsverzicht des Herrschers vor Jahrhunderten noch ein politisches Ereignis ersten Ranges, so interessierte sich 1980 weithin nur noch die Regenbogenpresse für den Wechsel. Auf diese Weise werden ikonographische Entwicklungen sichtbar, weshalb eine solche methodische Vorgehensweise der Verfasser zu begrüßen ist. Es dürfte jedoch kaum erstaunen, daß den Autoren die Deutung der vielen Abbildungen in sehr unterschiedlicher Art und Weise gelingt.

Ein großes Problem bei einer derartigen Unternehmung stellt die Auswahl sowohl der Stichworte als auch des Bildmaterials aus der großen Fülle der Bestände dar. Die Herausgeber geben keine Kriterien für die Auswahl an. Warum das eine Stichwort und das andere nicht? Zwar findet sich ein Stichwort „Fortschritt“. Das passende Pendant wie „konservativ“ oder „rechts“ fehlt jedoch. Hier hätten die Autoren auf diverse Publikationen des Historikers und Symbolkenners Karlheinz Weißmann rekurrieren können. Warum „Politikerin“, aber nicht „Politiker“? Schwierigkeiten dieser Art lassen sich bei einem solchen Werk kaum vermeiden. Am Ende jedes Beitrages finden sich Fußnoten, die ein systematisches Literaturverzeichnis bzw. eine annotierte Auswahlbibliographie (mehr ist schließlich bei der Zahl der Monographien kaum möglich) ersetzen.

Bildnachweis und Namensregister runden die Veröffentlichung ab. Der interessierte Rezipient wird für die vielen anregenden Hinweise, die er in den Büchern findet, dankbar sein. Eine wichtige Schneise in ein nahezu undurchdringliches Dickicht ist geschlagen. Welcher Stellenwert dem Werk besonders auf dem Gebiet der Politologie zukommen dürfte, verdeutlicht ein Satz aus dem Vorwort des letzten, gerade erst erschienenen Bandes von Henning Ottmanns neunbändiger „Geschichte des politischen Denkens“. Dort heißt es: „Eine politische Ikonologie hat Zukunft, und sie wird vermutlich mehr und mehr beachtet werden.“ Für die Rezeption des Handbuches dürfte sich das denkbar positiv auswirken.

Uwe Fleckner, Martin Warnke, Hendrik Ziegler (Hrsg.): Handbuch der politischen Ikonographie, 2 Bände. Verlag C.H. Beck, München 2012, gebunden, zus. 1137 Seiten, 98 Euro

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