© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Blick in die Medien
Die Geisterbahn auf dem Rummel
Toni Roidl

Britt Hagedorn muß sich ab Juni eine neue Arbeit suchen. Über eine Dekade hat die zweifache Mutter für Sat.1 den täglichen „Talk um eins“ gestemmt. Die Sendung war die Geisterbahn auf dem Rummel der Fernsehprogramme: ein Panoptikum von Freaks, die sich gegenseitig anpöbelten. Verlierer mit kaputten Zähnen und unreiner Haut, die von der Dompteuse distanzlos geduzt und vorgeführt wurden. Das Studiopublikum goß ungehemmt Hohngelächter über die „Gäste“.

Die Zuschauer kriegten von dieser schmuddeligen Sozialpornographie nicht genug. Selbst öffentlich-rechtliche Sender kamen nicht umhin, (deutlich entschärfte) Talkshows zu produzieren.

Doch das krasseste Menschenmaterial hatte Britt: Gepiercte, Prekariats-Muttis und verkorkste Typen wurden dem Publikum vorgeworfen. Der Nachschub war unerschöpflich. Die Kosten pro Sendung waren gering.

Doch so wie die Mode, die Britt dabei präsentierte (Camouflage-Tanktop), war auch das Sendeformat: ein Dinosaurier der späten neunziger Jahre. Nun blieben die Fans offenbar weg: Der Marktanteil in der magischen Zielgruppe der 14- bis 49jährigen ließ dauerhaft zu wünschen übrig. Kein Wunder, wo „Scripted Reality“-Sendungen um Nachbarschaftsstreit noch mehr Krawall und noch kaputtere Honks liefern. Zudem konkurriert das Fernsehen immer stärker mit sozialen Netzwerken im Internet.

Mit der Marktbereinigung bei Sat.1 wird ein ganzes Genre begraben, dessen boomende Blütezeit lange zurückliegt. Zukünftige Chroniken der Fernsehgeschichte werden dieses Kapitel als Kuriosum darstellen. Auf das Geschrei, Geheule und Gezeter in den Sendeformaten werden wir aber ebensowenig verzichten müssen wie vermutlich auf die Pionierin des Unterschichtfernsehens, Britt Hagedorn. Wir sagen leise servus und erinnern daran, daß niemand gezwungen wird, sich diesen Müll anzuschauen.

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