© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Der liebe Gott war immer präsent
Bekenntnis: Detlef Kühn markiert den verschollenen Begriff „gottgläubig“ für sich
Detlef Kühn

Karlheinz Weißmann bescherte mir zu Weihnachten die Wiederbegegnung mit einem Begriff, der mich in meiner Jugend durchaus beschäftigt hat, der mir aber in den vergangenen Jahrzehnten nur noch sehr selten aufgefallen ist. In seiner Kolumne „Gegenaufklärung“ behandelt Weißmann den „Unitarismus,“ eine monotheistische, die Trinität ablehnende (christliche?) Theologie. In Deutschland sei sie nach 1945 „zum Auffangbecken für viele ‘Gottgläubige’, die nicht in die alten Kirchen zurückkehren wollten,“ geworden (JF 52/12–1/13).

„Gottgläubig“ – das bin ich doch auch! Wenn ich als Junge meinen Eltern erzählte, irgend jemand habe mich gefragt, ob wir evangelisch oder katholisch seien, meinten sie: „Sag einfach, wir sind gottgläubig.“ Das tat ich denn auch, und meistens waren die Fragesteller damit zufrieden. Noch 1961, als ich in Berlin als Referendar vereidigt und dabei nach meinem „Glaubensbekenntnis“ gefragt wurde, wurde meine Auskunft „gottgläubig“ kommentarlos zur Kenntnis genommen und aktenkundig gemacht. Eidesleistungen habe ich seitdem stets mit dem Gottesbezug bekräftigt. Danach wurde ich nie mehr von Amts wegen nach meinem Glaubensbekenntnis gefragt.

Allerdings war mir schon als Student vor Augen geführt worden, daß die Dinge möglicherweise doch nicht so einfach lagen, wie ich gedacht hatte. Als ich für eine Nebentätigkeit eine Lohnsteuerkarte benötigte, händigte man mir im Rathaus eine solche mit dem (für die Kirchensteuer relevanten) Vermerk „evangelisch“ aus. Als ich protestierte und darauf beharrte, ich sei „gottgläubig,“ erhielt ich von dem freundlichen Sachbearbeiter die Auskunft, so etwas gebe es nicht. Ich erklärte mit der Autorität eines Jurastudenten im zweiten Semester, das könne ich doch wohl selbst am besten beurteilen. Schließlich bewies er mir anhand seiner Vorschriften, daß in einem solchen Falle nichts anderes übrigblieb, als einen langen Strich in die Rubrik zu setzen; nicht ohne sich noch den Hinweis zu erlauben, auf manche Arbeitgeber mache das einen schlechten Eindruck. Heute ist so etwas wohl kaum noch in dieser Form denkbar.

Bereits als Studienanfänger hatte ich mich mit den rechtlichen und religiös-philosophischen Grundlagen dieses Glaubens beschäftigt. Was die Rechtslage anbelangte, stieß ich bald auf den Erlaß des Reichsministers des Innern vom 26. November 1936, mit dem die Möglichkeit geschaffen wurde, die Beschreibung als Dissident, Atheist, Agnostiker oder Glaubensloser in Personenstandsunterlagen zu vermeiden, wenn man an ein wie auch immer geartetes göttliches Wirken glaubte, ohne einer der anerkannten christlichen Kirchen anzugehören. Dieser Erlaß scheint nach 1945 nicht aufgehoben worden zu sein. Allerdings steht er heute, wie alles, was im Dritten Reich geregelt wurde, erst einmal unter Generalverdacht.

Inhaltlich stellte ich fest, daß „gottgläubig“ alles andere als eine Erfindung der Nationalsozialisten war. Theologisch gab es das Phänomen in der Form des Deismus zur Zeit der Aufklärung bereits seit dem 17. Jahrhundert. Und auch organisatorisch haben sich entsprechend religiös Interessierte seit dem 19. Jahrhundert in Freikirchen oder als Unitarische Freie Religionsgemeinde zusammengeschlossen.

Was mich persönlich anbelangt, so bin ich (Jahrgang 1936) bald nach meiner Geburt in der Erlöser-Kirche in Potsdam evangelisch getauft worden. Bereits die Vorfahren meines Vaters wie die meiner Mutter waren jeweils fest im Protestantismus verankert. Väterlicherseits dominierten beruflich die Theologen, mütterlicherseits Salzburger Bauern, die 1732 vom Erzbischof Firmian wegen ihres Glaubens nach Ostpreußen vertrieben worden waren. Dennoch entschlossen sich 1937, nur wenige Monate nach meiner Taufe, meine Eltern, aus der Kirche auszutreten – „zugleich für ihren minderjährigen Sohn Detlef,“ wie es in der entsprechenden Erklärung heißt.

Ein Beispiel könnte eine Tante meines Vaters, die Philosophin und konservative Frauenrechtlerin Lenore Kühn (1878–1955), gegeben haben, die sich in diesen Jahren der Deutschen Glaubensbewegung des Tübinger Religionsgeschichtlers und Indologen Jakob Wilhelm Hauer angeschlossen hatte. In einem Fragebogen der Reichskulturkammer bezeichnete sie sich Ende 1936 als „deutschgläubig (früher evangelisch).“

Wahrscheinlich spielten auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche eine Rolle. In der Erlöser-Gemeinde dominierten meines Wissens die Vertreter der Bekennenden Kirche, denen sich meine Eltern sicherlich nicht besonders verbunden fühlten.

Für meine religiöse Erziehung war das alles damals nicht besonders wichtig. Der „liebe Gott“ war immer präsent. Ich wurde angehalten zu beten. Während des Krieges bat ich ihn vor allem, meinen Vater an der Front zu beschützen, was, Gott sei Dank, auch geschah. Weihnachten und Ostern wurden in der üblichen Weise begangen. Allerdings gingen wir selten in die Kirche, was aber auch daran lag, daß meine Mutter durch Kinderlähmung auf einen Rollstuhl angewiesen war.

Als Erwachsener habe ich mich immer für religiöse Fragen interessiert und aus meinem politischen Engagement heraus auch die Entwicklungen in den beiden dominierenden Kirchen verfolgt. Dem christlichen Glaubensbekenntnis gegenüber hatte ich erhebliche Vorbehalte. Nachdem ich eine evangelische Buchhändlerin geheiratet hatte, beschlossen wir, die Taufe unserer Tochter bis zu ihrer Konfirmation zu verschieben, um ihr eine eigenständige Entscheidung zu ermöglichen. Bis dahin nahm sie aber, obwohl sie ein katholisches Gymnasium in Bonn besuchte, stets am evangelischen Religions- und später auch Konfirmandenunterricht teil.

Trotz meiner Glaubenszweifel erwog ich gelegentlich den Wiedereintritt in die evangelische Kirche, weil ich aus staatspolitischen Gründen eine kirchliche Verankerung der Bevölkerung für prinzipiell wünschenswert erachtete und dies immer noch tue. Letztlich unterblieb der Schritt aber, weil der nicht zu übersehende Linkskurs der Kirche mich stets daran hinderte.

So lebe ich denn als gottgläubiger, älterer Mann mit meinem Glauben relativ ruhig und gelassen. In absehbarer Zeit werde ich wissen, ob der liebe Gott meine Entscheidungen billigt oder nicht. Allerdings bin ich der Auffassung, daß es gerade in der heutigen Krise des christlichen Glaubens in Europa und angesichts ihrer Auswirkungen auf die Kirchen als Organisationen zweckmäßig sein könnte, auch den Gottgläubigen eine gesellschaftliche Aufwertung zu ermöglichen. Man wird sie bei den unvermeidlichen Auseinandersetzungen etwa mit dem Islam vielleicht noch benötigen.

 

Detlef Kühn, Jahrgang 1936, war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn und von 1992 bis 1998 Direktor der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) in Dresden.

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