© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Das Interesse an den „polnischen Wurzeln“ der Kanzlerin hat immerhin dazu geführt, die Erinnerung an die ehemalige Provinz Posen wiederzubeleben. Daß es die überhaupt einmal gab, ist dem Kollektivgedächtnis noch weiter entschwunden als die Existenz der ostdeutschen Gebiete, die nach 1945 verlorengingen. Immerhin wurde darauf hingewiesen, daß weder der Name – im Fall von Merkels Großvater ein slawischer – noch die Konfession – in diesem Fall unbekannt – hinreichend Klarheit darüber verschaffen, ob der Vorfahr als Deutscher oder als Pole zu deklarieren sei; daß er sich nach der Annexion Posens zur Übersiedlung nach Berlin entschloß, kann wenigstens als Hinweis auf sein persönliches Selbstverständnis gewertet werden. Für Polen mit seinem eher traditionellen Begriff der Nation dürfte das allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Die Begrüßung der wartenden Menge auf dem Petersplatz durch den neugewählten Papst und deren begeisterte Reaktion können auch als Rest der alten Übung betrachtet werden, den zur Einsetzung bestimmten Bischof dem Volk vorzustellen und dann durch Akklamation bestätigen zu lassen; „vox populi – vox dei“.

Es hat einige Zeit gedauert, bis den meisten Kommentatoren aufging, daß die Wahl des Papstnamens programmatisch gemeint war. Und es kann gar kein Zweifel bestehen, daß Franziskus eine andere Auffassung von „franziskanischen“ Idealen hat als die üblich-religionspädagogisch-grün-sentimentale. Man muß sicher nicht die Ansicht Adolf Holls teilen, daß Franz von Assisi „der letzte Christ“ war, aber dessen Vorstellung von radikaler Nachfolge hat doch für den modernen Menschen etwas hochgradig Irritierendes, um nicht zu sagen: Verrücktes.

Die neu aufgeflammte Debatte über „soziale Gerechtigkeit“ beunruhigt. So wie der Neoliberalismus seine Attraktivität vor allem daraus bezog, daß alle vergessen wollten, welche historischen Erfahrungen man mit einer ungebändigten Marktwirtschaft gesammelt hatte, scheint der Neosozialismus in dem Maß Anziehungskraft zu gewinnen, in dem verdrängt wird, welche Konsequenzen dauernde Umverteilung, wachsende Staatsquote und Egalitarismus als Doktrin nach sich ziehen müssen: das ist der „Weg zur Knechtschaft“ (Friedrich August von Hayek)

Ausgeschlossen: Der geplante Anschlag einer Gruppe salafistischer Attentäter auf den Vorsitzenden der islamkritischen Partei Pro NRW hat zu einer breiten Diskussion geführt. Eine spontan gebildete Gruppe von Bundestagsabgeordneten verlangte in einer aktuellen Stunde des Parlaments Auskunft von der Regierung, was sie in Zukunft zu tun gedächte, um ähnliche Vorfälle zu verhindern. Als der Abgeordnete Edathy (SPD) den Vorgang als bedauerlichen Einzelfall deutete und auf die ungleich größere Gefährdung von rechts hinwies, ging seine Rede in tumultuarischem Lärm unter. Es wurden Rufe wie „Verharmloser“, „Moslemflüsterer“, „Inländerfeind“ laut, bis das Präsidium einschritt. Während einer Talkrunde, in der der Bundesinnenminister auf die Maßnahmen der Regierung zur Gefahrenabwehr hinwies und der gleichfalls anwesenden Vorsitzenden der Grünen, Claudia Roth, vorwarf, sie habe durch die von ihrer Partei betriebene Politik ganz wesentlich daran mitgewirkt, die Situation zu verschärfen, mußte er sich von einem gleichfalls anwesenden Redakteur der JUNGEN FREIHEIT sagen lassen, daß es die Union gewesen sei, die die Ideologie des Multikulturalismus in die Mitte der Gesellschaft getragen und hoffähig gemacht habe.

Bildungsbericht in loser Folge XXXVI: Die Nachricht, daß sich die Zahl der Abiturienten mit der Durchschnittsnote 1,0 im Bundesland Nordrhein-Westfalen weiter zügig vermehrt (zwischen 2007 und 2011 von 455 auf 1.000), sollte man im Zusammenhang mit einer zweiten lesen, daß nämlich von seiten der Kultusbürokratien gar nicht mehr geleugnet wird, daß die Lösungen der Prüfungsaufgaben bereits in deren Texten verborgen sind. Die nach wie vor irritierte Lehrerschaft mag der amtliche Hinweis trösten, daß man sich zukünftig anstrengen werde, diesen Sachverhalt besser zu kaschieren.

In Österreich hat man des 75. Jahrestags des „Anschlusses“ von 1938 gedacht. Positiv zu vermerken ist, daß die Vorstellung, das erste Opfer des „Hitler-Faschismus“ gewesen zu sein, allmählich in den Hintergrund tritt, allerdings kaum einer realistischeren Bewertung weicht. Denn weder kann man mit dem Verweis auf einzelne Widerstandsaktionen die Hunderttausende auf dem Wiener Heldenplatz wegdiskutieren, die Hitler einen begeisterten Empfang bereiteten, noch die Unterstützung des katholischen Klerus für den „Anschluß“ (trotz des Kirchenkampfes im Altreich), noch die Aufforderung der Austromarxisten im Exil, für ein „Ja“ zur „Wiedervereinigung“ zu stimmen, da das Ziel der nationalen Geschichte nur Großdeutschland sein könne.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 12. April in der JF-Ausgabe 16/13.

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