© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Pankraz,
J.-L. David und die häßliche Revolution

Glorioser Augenschein, mißratener Titel. Im Städel-Museum in Frankfurt am Main ist zur Zeit eine üppige Ausstellung mit deutscher und französischer Kunst des sogenannten „Klassizismus“ zwischen 1770 und 1820 zu besichtigen, mit zentralen Gemälden und Skulpturen von Mengs, Canova, David, Thorwaldson, Schadow, Ingres. Alles ist fein arrangiert – aber verkauft wird die Schau unter dem Titel „Schönheit & Revolution“. Der Besucher ist irritiert. Was soll das denn? Was versteht man hier unter Schönheit? Und was hat das Ganze mit Revolution zu tun?

Natürlich sind die gezeigten Werke durch die Bank „schön“, aber in einem völlig herkömmlichen, geradezu konterrevolutionären Sinne. Sie erfüllen einen jahrtausendealten Kanon, nämlich den der klassischen Antike aus dem vierten und dritten Jahrhundert v. Chr., eifern mit größtem Bemühen den Phidias und Polyklet, Praxiteles, Skopas und Lysippos nach. Da ist nirgends weder expressives Gezappel noch introvertierte Symbolik, überall nur „edle Einfalt, stille Größe“, Realismus mit idealisiertem Faltenwurf.

Alle im Städel zu sehenden Künstler hatten in ihrer Jugend nur ein einziges Ziel: so schnell wie möglich nach Rom zu kommen, um dort mit aller Sorgfalt die klassischen Überreste und ihre seit der Renaissance geschaffenen Nachahmungen (Donatello, Michelangelo) zu studieren und nachzuahmen. Sie wurden darin von durchweg allen Fürstlichkeiten und Patriziaten des 18. Jahrhunderts unterstützt, erhielten Stipendien und teure Aufträge, wurden umschmeichelt und hoch dekoriert. Von Revolution keine Spur.

Selbst der einzige der gezeigten Künstler, der sich später mit der Revolution von 1789 einließ, Jacques-Louis David (1748–1825), paßte zunächst voll in das Schema. Er war offizieller Hofmaler des französischen Königshauses, erhielt 1774 den hochdotierten „Prix de Rome“ und zog nach Rom, wo er eifrig Michelangelo und Raffael kopierte. 1781 nach Paris zurückgekehrt, malte er im Auftrag des Königs eine trauernde Andromache, welche ihm die Aufnahme in die „Académie royal de peinture et de sculpture“ verschaffte. Er war der Freund König Ludwigs XVI., so wie er dann der enge Freund Robes-pierres wurde.

Das Schicksal Davids, des „ersten Revolutionsmalers der Moderne“, demonstriert sehr deutlich, daß nicht nur klassische Kunst und Revolution wenig zusammenpassen, sondern bildende Kunst und Revolution überhaupt. Nicht nur, daß David, nachdem er sich pathetisch „der neuen Zeit angeschlossen“ hatte, zum bloßen Illustrator laufender Ereignisse (Ermordung Marats, Aufstieg Napoleon Bonapartes) abstieg, nein, er mußte sich auch noch dazu hergeben, die Zerstörung tausender herrlichster Kunstwerke, wie sie die Revolution betrieb, zu billigen oder wenigstens wohlwollend zu beschweigen.

Revolutionen mögen die Literatur beflügeln, zumindest die Tagespublizistik, indem sie sie mit aufgeregtem oder rechthaberischem Geschwätz vollstopfen – für die bildende Kunst sind sie ein Verhängnis. Denn die Kunst ist auf Dauer gestellt, die Revolution aber will abräumen, sie ist von Natur aus ikonoklastisch, bilderfeindlich, alle Revolutionen werden von wüsten Bilderstürmen begleitet, Statuen werden umgestürzt und zersplittert, Gemälde abgehängt und zerstört, Fassaden kahl gekratzt, Köpfe abgehackt unterm Triumphgeschrei entfesselter Trikoteusen.

Und was anschließend, falls die Revolutionäre siegen, an die Stelle des Weggehackten gesetzt wird, ist das Material nicht wert, aus dem es gemacht ist: ein einziger Sieg des Geschwätzes über die Gestalt. Allenfalls deren Gerippe bleibt übrig, Giacometti statt Polyklet. Schlimmstenfalls – siehe die Revolution der russischen Bolschewiken – werden unter der Parole eines „Sozialistischen Realismus“ Vollfiguren präsentiert, die, natürlich ungewollt, ihre eigene Karikatur sind und erst heute, im nachhinein, einigen Spaß bereiten, da man ihre ungewollte Spaßigkeit offen belächeln darf.

Von Schönheit jedenfalls keine Spur, am wenigsten von der Schönheit jenes Klassizismus, der in Frankfurt zu besichtigen ist. Pankraz fragt sich kopfschüttelnd, was sich die beiden Kuratorinnen, Frau Dr. Eva Mongi-Vollmer (Städel-Museum) und Frau Dr. Maraike Bückling (Liebieghaus Skulpturensammlung) gedacht haben mögen, als sie ihre Schau ausgerechnet unter den Titel „Schönheit & Revolution“ stellten. Wahrscheinlich war es nichts weiter als modische Kurzdenkerei. Der aktuelle Wutbürger ist bekanntlich äußerst revolutionär gestimmt, und so müssen eben auch Klassiker unbedingt irgendwie revolutionär sein.

Im Katalog der Schau ist zu lesen: „Die große Überblicksausstellung zum Klassizismus gewährt erstmals in Deutschland einen umfassenden Einblick in die Vielfalt der unterschiedlichen und zuweilen sogar widersprüchlichen Facetten dieses Stils und zeigt die Verbindungen und Impulse zur Kunst der Romantik auf.“ Das ist schön, doch leider fällt die Verbindung zur Romantik etwas knapp aus, und so fehlt auch das einzige Gemälde dieser Richtung, das wirklich revolutionär und trotzdem schön ist, das berühmte „Die Freiheit führt das Volk“ von Delacroix aus dem Jahr 1830.

Doch selbst wenn es da wäre – den Titel der Schau würde es nicht rechtfertigen. Es ist als ganzes ein eher grausig-komisches Bild. Vorn liegen einige schrecklich zugerichtete Leichen, flankiert von einem kleinen Jungen, der mit zwei Revolvern herumfuchtelt, und einem Herrn in Gehrock und Zylinder, der eine Flinte in der Hand hält. Im Mittelpunkt aber jenes anstürmende Mädchen, das die französische Trikolore schwenkt und dabei seinen Busen offen darbietet. Einzig und allein dieses Mädchen ist schön, und es wäre noch schöner, wenn es Leichen, Revolver und Zylinder nicht gäbe.

Eugène Delacroix sprach übrigens nicht gern über dieses Bild, war eher stolz auf seinen „Sardanapal“ oder auf „Das Massaker von Chios“. Politisch und theologisch bewunderte er aber den Islam und reiste gern in Nordafrika.

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