© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Aufmarsch der deutschen Euro-Advokaten
Symposium der Schleyer-Stiftung: Disput über Auswege aus der Euro-Krise / Regierungsnahe Wissenschaftler zeigen sich uneinsichtig
Christian Dorn

Noch nicht auf der Anklagebank, sondern auf dem Podium des von der Schleyer-Stiftung in Berlin ausgerichteten Symposiums zur Euro-Krise fanden sich letzte Woche zwei Exponenten der vermeintlichen Rettungspolitik: Clemens Fuest, der neue Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, und der Europarechtler Martin Nettesheim von der Uni Tübingen. Letzterer ist ein Advokat, der im „Exekutivparlamentarismus“ ein probates Mittel zur Abwehr eines allzu mächtigen Bundesverfassungsgerichts sieht. Damit die politischen Akteure in Karlsruhe nicht „entmündigt“ werden, vertrat er im aktuellen Verfahren gegen die Rettungsmaßnahmen (ESM, Fiskalpakt & Co.) als Verfahrensberechtigter den Bundestag. Fuest fertigte das Gutachten der Bundesregierung.

So verwunderte es nicht, daß Nettesheim alle Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB) verurteilte und den Vorwurf, daß Deutschland dort unterrepräsentiert sei, als „Polemik“ abtat. Schließlich sei die EZB formal eine unabhängige Institution. Der Staatsbankrott wurde von Nettesheim neu interpretiert: „Wir als Juristen würden nicht von Insolvenz sprechen, wenn ein Staat seine Zahlungen einstellt.“ Auch solle man nicht das „Recht“ zum Maßstab nehmen, da es „nur von acht Richtern“ in Karlsruhe gesprochen wird. Fuest sekundierte mit der These, daß „umstritten“ sei, was eigentlich „Recht“ ist. Er rechtfertigte den Bruch der Maastrichter „No-Bailout“-Klausel mit der Frage, „ob man auch die Welt untergehen läßt, nur um sich an das Recht zu halten“.

Der „Rettungspolitik“ die Leviten las Jürgen von Hagen von der Uni Bonn. Der Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaftspolitik stellte heraus, daß die Währungsunion die Verschuldungskapazität automatisch erhöhe. Ausdruck dessen, so sein Kölner Kollege Achim Wambach, sei die Ausweitung der EZB-Bilanzsumme, die Ende 2012 bei 3,1 Billionen Euro lag. Aktuell betrage sie zwar „nur“ über 2,6 Billionen Euro – tatsächlich liegt sie damit aber mit mehr als einer Billion über der Bilanzsumme von Mai 2010, als die „Rettungsmaßnahmen“ begannen. Für von Hagen führt jede Hilfszahlung zu weiterer Überschuldung, da die betroffenen Schuldnerländer ja keine Möglichkeit zu Abwertung haben. Am Ende werde die Überschuldung zwangsläufig die Gläubigerstaaten der Euro-Zone, also auch Deutschland, heimsuchen. Das Gerede vom Fiskalpakt sei nichts anderes als eine „Überwachungsillusion“.

Tatsächlich werde dadurch die Verschuldung sogar zunehmen, da die Grundlage des Fiskalpaktes nur unrealistische Prognosen seien. Wenn diese aber von der EU akzeptiert worden sind, hätten Defizitsünder durch diesen Akt der Anerkennung einen Rechtsanspruch auf weitere Hilfszahlungen. Dies sei ein Teufelskreislauf, der die Krise lediglich verstetigen und ausweiten würde. Glatter „Unsinn“ sei auch der Vorschlag der „Wirtschaftsweisen“, der einen europäischen Schuldentilgungsfonds analog zu dem Vorgang in der Gründungsphase der USA vorschlug.

Erstens sei die Situation überhaupt nicht vergleichbar und außerdem habe der US-Zentralstaat seither keinem Bundesstaat Geld gegeben. Einziger Ausweg, so von Hagen, sei die staatliche Eigenverantwortung und ein Regelwerk für die Umschuldung oder den Konkurs von Euro-Staaten. Die Forderung nach „mehr Europa“ entbehre jeder Logik, „denn da wächst nichts an Stabilitätskultur, sondern ein Verhalten, bei dem ich jederzeit weiß, daß ich meinem Nachbarn in die Tasche greifen kann“ – daran werde Europa scheitern. Grotesk sei die Leugnung von Staatsinsolvenzen, wie zahlreiche Beispiele auch der jüngsten Geschichte bewiesen. Die EZB sei heute „ein politischer Akteur“ und nicht mehr unabhängig, weil sie für die Geldvergabe politische Vorgaben mache, für die sie gar kein Mandat hat und deren Einhaltung sie gar nicht überwachen kann.

Eine Philippika gegen die Euro-„Retter“ bot auch der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Wirtschaftspolitik, Steffen Roth. Aus seiner Sicht hat in der deutschen Politik niemand ein Interesse daran, die Euro-Problematik ernsthaft zu diskutieren – „mit Ausnahme isolierter Parlamentarier“. Den offiziellen Verlautbarungen zum Trotz tobe die Krise wie noch nie. Der gegenwärtige Prozeß der Euro-„Rettung“ lasse die Völker Europas nicht zusammenwachsen. Wer Kritik an der „Alternativlosigkeit“ dieser Politik äußere, gelte sofort als „europafeindlicher Nationalist“. Von daher sei es gerade nicht die Politik, die uns in Europa zusammenführe. Insofern sei die „Euro-Rettung“ wohl kaum noch ein „Friedensprojekt“.

Fuests Vorgänger beim ZEW, Wolfgang Franz, warnte zwar vor dem „außergewöhnlich gefährlichen Weg“, den die EZB eingeschlagen habe, doch seine These, daß die Euro-Zone erst dadurch eine „schwache Währungsunion“ wäre, wenn überschuldete Länder austräten, entlarvte ihn erneut als Ökonomen, der auch nach seinem Ausscheiden als „Wirtschaftsweiser“ der Politik zu Diensten sein wird. Skurriles steuerte die Moderatorin und taz-Journalistin Ulrike Herrmann bei, die Italien für wirtschaftlich gesund hält. Das war dann selbst Fuest zuviel: Italien sei faktisch insolvent, da es keine Chance habe, seine Schulden je zurückzuzahlen. Insofern sei die „Reaktion der italienischen Wähler höchst rational“. Es sei Italien, das Deutschland unter Druck zu setzen versuche.

Hanns Martin Schleyer-Stiftung: www.schleyer-stiftung.de

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