© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Das Traumschiff will nicht fliegen
Luftfahrtindustrie: Boeings Probleme mit dem Dreamliner 787 reißen nicht ab / Der größte US-Exporteur gerät in Schwierigkeiten
Markus Brandstetter

Zuerst galt die Titanic als unsinkbar. Als sie dann versunken war, gab es viele Theorien über die Ursache.Bis dann 1998 ein US-Metallkundler nachwies, daß spröde Nieten aus schlechtem Stahl, die noch dazu beim Vernieten nicht heiß genug gewesen waren, dazu geführt hatten, daß die Stahlhülle der Titanic beim Zusammenstoß mit dem Eisberg der Länge nach aufriß wie ein Reißverschluß. In Technik und Wirtschaft können kleine Ursachen schreckliche und teure Folgen haben.

Dies erlebt momentan auch der Airbus-Konkurrent Boeing aus Chicago. Dessen neues Flugzeugmodell 787 fliegt seit Januar nicht mehr in wolkigen Höhen, sondern durch die Schlagzeilen der Weltpresse. Boeings „Dreamliner“ ist ein zweistrahliges Langstrecken-Verkehrsflugzeug, das bequemen Platz für bis zu 300 Passagiere bietet. Bei dieser kompletten Neuentwicklung sollte von Anfang an alles ganz anders sein als bei vergleichbaren Verkehrsmaschinen. Eine unerhört aufwendige Technik in Verbindung mit modernsten Baumaterialien sollte nach dem Willen der Boeing-Ingenieure das energieeffizienteste Flugzeug der Welt ergeben.

Die 787 ist das erste Großraumflugzeug, dessen Rumpf zu einem Großteil aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff besteht. Die sonst in Flugzeugen üblichen Luftdrucksysteme, mit denen eine Vielzahl von automatisierten Abläufen angetrieben wird, wurden durch elektrische Systeme ersetzt – und genau da liegt der Haken. Durch die aufwendige und – wie Kritiker sagen – ausufernde Elektronik verbraucht die 787 doppelt so viel Strom wie ein herkömmliches Flugzeug. Weil all diese elektrische Energie nicht nur produziert, sondern auch gespeichert werden muß, benötigt die 787 auch wesentlich leistungsfähigere Batterien. Boeings Konstrukteure haben sich deshalb für Lithium-Ionen-Akkus (Li-Ion) entschieden. Die grundsätzliche Technologie dahinter wurde 1989 in Deutschland erfunden und patentiert.

Heute verrichten Li-Ion-Speicher in praktisch allen Mobiltelefonen, Fotoapparaten, tragbaren Computern und auch in Autos mit Hybrid- und Elektroantrieb ihren Dienst, obwohl sie eine Vielzahl von Problemen hervorrufen können. Li-Ion-Akkus sind zwar leichter als die bewährten Nickel-Metallhydrid-Akkus und sie können elektrische Energie länger und besser speichern, aber sie überhitzen gerne und fangen dann an zu brennen. Eben das ereignete sich auch mehrfach in der 787. So entzündete sich am 7. Januar ein 787-Akku der Japan Airlines auf dem Flughafen Boston, am 16. Januar mußte eine All Nippon Airways-Maschine auf dem Regionalflughafen Takamatsu notlanden.

Für Boeing sind die Auswirkungen katastrophal. Keine der bislang ausgelieferten fünfzig Maschinen darf seither fliegen, und daran wird sich auf Monate hinaus nichts ändern. Weder Boeing noch seine Zulieferer wissen im Moment, warum die Li-Ion-Akkus überhitzen und sich dann entzünden. Aber auch wenn die Probleme ergründet und gelöst sind, wird es Monate dauern, bis der erste Dreamliner wieder fliegen kann. US-Verkehrsminister Ray LaHood hat angekündigt, daß er „tausend Prozent sicher“ sein müsse, daß von den Akkus keine Gefahr mehr ausginge, um das Startverbot für die 787 aufzuheben.

Im Boeing-Werk in Seattle, wo pro Woche eine 787 produziert wird, stauen sich die weltweit bestellten, aber nicht abgeholten Flugzeuge an den Rändern riesiger Startbahnen. Eine Milliarde Dollar kostet den Flugzeughersteller die Produktion im Stammwerk pro Monat. Der Dreamliner sollte aber jede Woche 220 Millionen Dollar an Umsatz hereinspülen. Diese Planungen hängen nun alle wortwörtlich in der Luft.

Dabei sind die zu erwartenden Schadenersatzklagen der Fluglinien, die die 787 einsetzten wollen, noch nicht mitgerechnet. Auch nicht berücksichtigt sind die etwa 600 Millionen Dollar, die die Entwicklung sicherer Akkus kosten wird. Der größte amerikanische Exporteur, der gleichzeitig der zweitgrößte Rüstungskonzern der USA und – je nach Jahr – der größte Flugzeugbauer der Welt ist, wird seine Umsatz- und Ertragsziele in diesem Jahr deutlich verfehlen. Und die Ursache dafür ist ein läppischer Akku, der keine 1.000 Euro kostet.

Schadensberich der unabhängigen US-Behörde für Transportsicherheit (NTSB): ntsb.gov

Foto : Boeing 787 des japanischen Großkunden ANA: Was kosten die Schadenersatzklagen der Fluglinien?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen