© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

„Merkel go home“
Zypern-Krise: Viele Bewohner geben der Bundesregierung eine Mitschuld an der Finanzmisere im Land
Hinrich Rohbohm

Wie gebannt schaut der Wirt des Big-Ben-Restaurants in Limassol auf den Fernseher. Seine Gäste scheint er vollkommen zu vergessen. Mit offenem Mund verfolgt er die dramatischen Szenen, die sich auf dem Bildschirm abspielen. Es geht um die Zukunft seines Landes. Zypern. Der Staat ist finanziell schwer angeschlagen. Egal ob Staatsbankrott oder Rettungspaket, das Land steht vor tiefgreifenden Einschnitten. Knapp sechs Milliarden Euro muß der Inselstaat selbst dafür aufbringen, um Hilfe aus Brüssel zu erhalten. Erste Vorschläge sahen dabei unter anderem vor, die Sparguthaben aller Bürger teilweise zu enteignen. Nun sollen nur noch Einlagen über 100.000 belastet werden. EU-Diplomaten sprechen von fast 40 Prozent, die die vermeintlich „Besserverdienenden“ abdrücken sollen.

Der Wirt schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, macht wegwerfende Handbewegungen, läuft in seinem Restaurant auf und ab. „Wer weiß, ob wir nächste Woche überhaupt noch etwas besitzen“, sagt er. Bei ihm stehen seine Frau und seine beiden Töchter. Mit sorgenvollen Mienen starren auch sie auf den Fernseher, auf dem gerade Bilder von Demonstrationen vor dem zyprischen Parlament gezeigt werden. „Ich war gerade erst wieder am Geldautomaten“, sagt die jüngere der beiden Töchter. 260 Euro hatte sie von ihrem Konto abgehoben. Die Höchstsumme, die man auf Zypern derzeit pro Tag abheben kann.Von unserer Familie waren heute schon alle bei der Bank. Genau wie die Tage davor“, erzählt sie. Seit Donnerstag gehe das so.

„Jeder versucht jetzt zu retten, was noch zu retten ist.“ Das Vertrauen ist trotz des nun beschlossenen Rettungspaketes verlorengegangen. Vor den Banken bilden sich teilweise lange Schlangen. „Manchmal haben die Automaten dann kein Geld mehr. Dann warten alle, bis neues gebracht wird.“ Auch die Tochter hatte das bereits miterleben müssen. „Das war am Donnerstag. Da haben dann alle vor der Bank gewartet, bis ein Transporer neues Geld brachte. Alle haben dann schnell mit dem Handy ihre Freunde und Familien angerufen, um Bescheid zu geben, daß die Automaten jetzt wieder Geld haben.“

In den Supermärkten sind zwar noch keine Panikkäufe zu beobachten, doch die Einkaufswagen zahlreicher Konsumenten sind verdächtig voll. Zehn Kartons Waschmittel, sieben Tüten Mehl und eine Fülle von Konservendosen senden eine klare Botschaft: Zyperns Bürger rechnen mit dem Äußersten. Einige Regale sind inzwischen leer, Ware nachzukaufen kostet Geld, daß nun nur begrenzt zur Verfügung steht.

„Wir akzeptieren nur noch Bargeld“, sagt der Verkäufer an der Kasse. Keine Schecks mehr, keine Kreditkarten. In den Restaurants sieht es ähnlich aus, auch im Big Ben. Dessen Wirt schüttelt verzweifelt den Kopf und seufzt. „Zypern ist ein kleines Land, das ist unser Problem.“ Er hofft darauf, daß die Euro-Gruppe sie rettet. Für ihn ist klar: „Geht das hier schief, kann ich mein Restaurant dichtmachen, dann kommt keiner mehr.“ Wie der Wirt haben sich die meisten Zyprioten vor dem Fernseher versammelt, um das dramatische Geschehen um die Zukunft ihres Landes zu verfolgen.

Nur wenige sind am Wochenende vor das Parlamentsgebäude von Nikosia gekommen, um zu demonstrieren. Rund 500 Mitarbeiter der Laiki-Bank sind gekommen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. Ihre Befürchtung: Ein Teil ihres Unternehmens könnte zur „Bad-Bank“ erklärt werden, was für sie zur sicheren Entlassung führen würde. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Genau das sieht der am Montag in Brüssel beschlossene Rettungsplan vor. Ihre Bank wird zur „Bad-Bank“.

Die Polizei hat Barrikaden errichtet, einige Zugangswege gar mit Stacheldraht versperrt, um das Parlamentsgebäude zu sichern. Dort tagen die Abgeordneten fast schon in Dauersitzung. Jeden Tag eine neue Debatte, jeden Tag neue Beschlüsse. „Warum hilft uns Rußland nicht?, ruft ein Bankangestellter einem russischen Journalisten verzweifelt zu und rüttelt dabei frustriert am Absperrgitter. „Der Medienvertreter lächelt freundlich. „Sorry, ich bin nicht die russische Regierung“, entgegnet er.

Diese hatte dem zyprischen Finanzminister deutlich zu verstehen gegeben, daß Rußland dem verschuldeten Inselstaat weitere Finanzhilfen zukommen lassen werde. Obwohl viele vermögende Russen nun um einen Großteil ihres Geldes bangen müssen. Eine junge Frau mit pinkfarbenem Kopftuch sitzt vollkommen entmutigt auf dem vom Regen durchnäßten Asphalt. Sie weint. „Ja, ich arbeite auch für die Laika-Bank“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Unglücklicherweise“, schiebt sie hinterher. „Wenn man uns zur Bad Bank erklärt, dann ist es aus, dann stehen wir auf der Straße“, verdeutlicht sie die Sorgen der Mitarbeiter. Einer von ihnen hat ein Transparent mitgebracht. „Merkel = Faschismus“ steht darauf geschrieben.

Auf einem Spruchband steht „Fuck the Troika, Merkel go home“. Gerade auf die deutsche Regierung sind viele Zyprioten derzeit nicht gut zu sprechen. „Merkel zwingt uns zur Enteignung, das sind Methoden wie früher im Sowjet-Kommunismus“, meint einer der Protestierenden. Vom Dach der deutschen Botschaft in Nikosia wurde bereits die deutsche Flagge heruntergerissen. Auch in einem Bundeswehr-Camp im Hafen von Limassol hatten Unbekannte die Deutschlandflagge entwendet und verbrannt.

Martin Reyer sieht in den Aktionen dennoch keinen reinen Deutschenhaß der Zyprioten. Der 67jährige ist als ehrenamtlicher Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Kirche auf Zypern tätig. „Natürlich sucht man nun einen Sündenbock für die Misere“, sagt er. Doch von einem Deutschenhaß könne keine Rede sein. „Mir ist nicht ein Fall bekannt, wo Deutsche auf Zypern nun wegen der Schuldenkrise angegriffen wurden.“ Auch bei den Diebstählen der Flaggen vermutet er nicht Haß auf Deutschland als Motiv. „Da dürfte es sich wohl eher um Mutproben von Jugendlichen gehandelt haben.Die deutschen Einrichtungen werden jetzt natürlich intensiver bewacht. Das stellt dann für so manchen Halbstarken eine besondere Herausforderung dar.“

Auch Urlauber, die derzeit auf Zypern sind, betonen auf Nachfrage, daß sie diesbezüglich keine Nachteile erfahren haben. „Man ist zu uns freundlich und zuvorkommend wie sonst auch“, sagt ein älteres Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen. „Wir sind verärgert über eure Kanzlerin und eure Regierung, nicht über euch Deutsche allgemein“, versichert auch Anthi, eine 34 Jahre alte Angestellte der Laiki-Bank, die vor dem Parlament demonstriert. Man klammere sich jetzt an jeden Strohhalm. „Das alles ist kein Haß, viele sind einfach nur verzweifelt“, erklärt sie den Unmut ihrer Landsleute.

Daß vor allem die eigenen Politiker ein erhebliches Maß an Schuld auf sich geladen haben, wüßten die Zyprioten. Vor allem einer steht bei ihnen im Fokus der Kritik: Der kommunistische ehemalige Staatspräsident Dimitris Christofias. „Er hat den russischen Oligarchen in die Hände gespielt und jahrelang dafür gesorgt, daß es überhaupt soweit kommen konnte“, schimpft Anthi. „Rußland hat jahrelang von Zyperns Politik profitiert“, meint auch Pfarrer Martin Reyer angesichts der Tatsache, daß die in Zypern lebenden russischen Oligarchen zwar ihre Steuern auf der Mittelmeerinsel abführten, jedoch im Gegenzug hohe Investitionen in Rußland tätigen.

Inzwischen hat Zypern einen neuen Präsidenten gewählt, den sowohl von Merkel als auch von vielen russischen Oligarchen favorisierten konservativen Nicos Anastasiades. Der aus Limassol stammende Politiker, setzte sich bei der im Februar dieses Jahres erfolgten Präsidentschaftswahl gegen seine beiden Kontrahenten, den der „Mitte“ zugerechneten ehemaligen Parlamentsabgeordneten der kommunistischen AKEL und gegen einen von der AKEL selbst aufgestellten parteilosen Kandidaten durch.

Die Hafenstadt Limassol gilt als Hochburg russischer Oligarchen. Allein 50.000 Russen haben hier ihren Wohnsitz. Die Reicheren unter ihnen haben inzwischen die zypriotische Staatsbürgerschaft und damit die Eintrittskarte in die Europäische Union erworben. Auf die Krise angesprochen, reagieren einige von ihnen erstaunlich gelassen. Wie etwa Sergej. Der 42jährige zählt nach eigenen Angaben nicht zu den Oligarchen, hat sich aber „ein kleines Vermögen erarbeitet“, wie er sagt. Wie er dazu gekommen ist und was er genau macht, möchte er nicht sagen. „Die EU blufft doch nur“, ist er überzeugt.

Noch bevor das Rettungspaket abgesegnet wird, ist er sich sicher, daß die Rettungsmilliarden aus Brüssel fließen werden, auch wenn es vielleicht Einschnitte beim Vermögen der Sparer geben wird. Daß es dabei auch die schwerreichen russischen Oligarchen treffen könnte, darüber kann Sergej nur lachen. „Glauben Sie mir, die wissen, wie sie ihr Geld verteidigen.“ Seine Prognose: Da wird es sicher noch ein klärendes Gespräch mit der russischen Regierung geben. Bereits vor der Entscheidung zur Zypern-Rettung hatte es einen starken Geldabfluß aus Zypern gegeben. Und das, obwohl Überweisungen und andere Finanztransaktionen (angeblich) scharf reguliert sind.

Das der Griff auf die Konten zypriotischer Banken ein Nachspiel hat, glaubt auch Martin Reyer. „Der Kuchen ist noch nicht gegessen, da wird es wohl noch Verhandlungen mit Moskau geben“, ist auch er überzeugt. Hart treffe es aber auch deutsche Rentner, die sich in Zypern niedergelassen und ihr meist recht umfangreiches Erspartes auf zyprischen Konten liegen haben. „Für die sieht es wirklich ernst aus“, gibt Reyer die bedrückende Stimmung unter den Betroffenen wieder. Er selbst hat jedoch gerade erst ein persönliches Zeichen des Optimismus gesetzt. „ Mein Vertrag als Pfarrer auf Zypern läuft eigentlich im Juni aus. Ich habe ihn jetzt trotzdem bis ins Jahr 2014 verlängert.“

Vielleicht hatte er auch schon geahnt, daß die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU und Währungsfonds am Ende das Rettungspaket für Zypern doch noch auf den Weg bringt.

 

Rettungsplan für Finanzsektor

In der Nacht zum Montag haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank auf ein Rettungspaket für Zypern geeinigt. Das Land könnte damit bereits im Mai einen Teil der knapp zehn Milliarden Euro erhalten, die es zur Rettung seiner Banken benötigt. Als Gegenleistung muß die Regierung in Nikosia allerdings knapp sechs Milliarden Euro zur Rettung des Landes beitragen. Sahen erste Vorschläge noch eine Beteiligung aller Bankkunden vor, sollen nun nur noch Personen und Firmen haften, die mehr als 100.000 Euro angelegt haben. Wieviel ihres Vermögens enteignet werden soll, steht noch nicht fest. EU-Diplomaten gehen von bis zu 40 Prozent aus. Zudem hat Zypern unter anderem zugesagt, den Banksektor deutlich zu verkleinern. Die bisher zweitgrößte Bank „Laiki“ soll langfristig abgewickelt werden. Durch die Einschnitte in den Bankensektor, der zusammen mit dem Tourismus den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes bildet, droht dem Inselstaat ein starker Wirtschaftseinbruch. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich dennoch zuversichtlich, daß es gelingen werde, das Land zu stabilisieren. Der Bundestag soll voraussichtlich Ende April über den Rettungsplan abstimmen.

Foto: Demonstrant vor dem Parlament in Nikosia: Viele Zyprioten fürchten trotz Rettungsplan einen Kollaps ihres Landes. Knapp sechs Milliarden muß der Inselstaat aufbringen, um Hilfen aus Brüssel zu erhalten.

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