© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

„Ja, das mußt du tun“
Widerstand gegen Hitler: Ein Nachruf auf Ewald-Heinrich von Kleist / Mit ihm starb der letzte Teilnehmer des 20. Juli 1944
Georg Meyer

Die Absage der für das Jahr 1997 eigentlich vorgesehenen 34. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik löste in der strategisch-sicherheitspolitischen Gemeinschaft diesseits und jenseits des Atlantiks und bei vielen der vielschichtigen Thematik Zugewandten und den zahlreichen interessierten Gästen aus aller Welt mindestens Verwunderung, wenn nicht Verständnislosigkeit aus.

Beim Veranstalter Ewald-Heinrich von Kleist, nach eigener Aussage „nicht übermäßig für Geld, wohl aber für Politik“ interessiert, der diese Zusammenkünfte seit 1963 zunächst auf eigenes Risiko ins Leben gerufen hatte, hielten sich vermutlich Enttäuschung und Verärgerung die Waage. Denn er hatte sich, nun 75jährig, als weiser Hausvater rechtzeitig, wenn auch vergeblich, um die Regelung seiner Nachfolge in dieser Funktion bemüht.

Mit dem damaligen Minister, der zudem auf der Tagung 1995 im Verein mit anderen ein Ende der Nato verkündet und wenigstens ihre grundsätzliche Veränderung angeregt hatte, verband ihn keine Freundschaft. Gar zwei in Aussicht genommene Kandidaten fanden die Schuhe zu groß, in die sie hätten hineinschlüpfen müssen, wie Josef Joffe überliefert.

Kleist war ein Freund klarer Verhältnisse, die er notfalls selber schuf. Blasse Theorie lag ihm fern. Er bevorzugte kurze geistige Anmarschstraßen, weil er rasch das Wesentliche erkannte: Gespräche mit Substanz vor sinnfreiem Gerede, Argumente vor Polemik, Sachverstand anstelle von Wunschgebilden. Alles zusammengenommen, um in den Jahren der Konfrontation Vertrauen wachsen zu lassen, das waren die Grundsätze, von denen Kleist sich bei den von ihm klug moderierten und arrangierten oft kontroversen Münchner Debatten leiten ließ.

Damit wurde dieses Gremium vom Experiment rasch „zur bedeutendsten Tagung ihrer Art in der westlichen Welt“ (Wolfgang Fechner). Daß dieses Forum nun doch weiterhin existiert, gerade auch als willkommene Gelegenheit zu offiziellem Gedankenaustausch, Vorstufe zu Problemlösungen, war dem Initiator gewiß eine Genugtuung.

Diese erstaunliche Lebensleistung, basierend auf seiner großen Begabung, Menschen und Experten unterschiedlichster Prägung sowie aufs erste unversöhnlicher Einstellungen zusammenzuführen, war ihm nicht an der Wiege gesungen. Die Herkunft aus altem pommerschen Adel stattete ihn mit gelegentlich hervortretenden herben Zügen, aber auch mit viel Selbstsicherheit sowie natürlicher Autorität aus – letzteres das Kennzeichen des fürsorglichen Vorgesetzten. Man lese in den Erinnerungen eines seiner zeitweiligen Untergebenen Hans Graf von der Goltz („Unwegsames Gelände“, 1997), die beeindruckende Erzählung, wie sein Rekrutenoffizier Kleist ihm die Skrupel vor dem Eid auf Hitler nahm.

Kleists Höflichkeit gegen jedermann, gepaart mit Klugheit und einem profunden Wissen, ohne daß er es zur Schau trug, konnte auch eine gewisse Distanz zu seiner Umgebung schaffen. Sein Humor kam ohne Sarkasmus aus. Ungeduldig konnte er werden, wenn Gesprächspartner zu weitschweifigen Betrachtungen neigten.

Frühzeitig über sein jugendliches Alter hinaus gereift, bestand er vorbildlich alle Prüfungen, die seinem Jahrgang auferlegt waren. Die vom Vater überkommene Lehre, was richtig, was falsch ist, die Einsicht, was Recht, was Unrecht ist, befähigten ihn dazu, sich wie sein Vater ohne Wenn und Aber gegen Hitlers Herrschaft aufzulehnen – bis hin zur Bereitschaft, sein Leben zu opfern.

Das Gespräch mit dem Vater vor dem Entschuß zum Attentat ist eine moderne Version vom Kapitel 22, erstes Buch Mose – Abraham ist bereit zum Opfer seines Sohnes Isaak, und der entschließt sich zur Hingabe.

Von seiner tatkräftigen Mitwirkung in der Verschwörung gegen Hitler hat er später kein Aufhebens gemacht. Seinen Einsatz in der Bendlerstraße am 20. Juli 1944 spielte er als „Revolvergeschichte, nichts Dramatisches“ herunter. Er sprach auch kaum je davon, wie es ihm in der Haft erging – er wurde gefoltert und fürchtete, nur noch kurze Zeit der verschärften Vernehmung standhalten zu können – und machte mit einiger Berechtigung Schutzengel dafür verantwortlich, daß er und sein Regimentskamerad Georg Sigismund von Oppen einerseits offiziell Ende 1944 vom Oberreichsanwalt außer Verfolgung gesetzt wurden und andererseits wie es ihnen mit Hilfe eines weiteren Regimentskameraden, Victor von Schweinitz, gelang, bis Kriegsende in Italien wieder im Heer unterzutauchen. Dort geriet er auch in US-Kriegsgefangenschaft.

Die zwangsweise gesammelte Lebenserfahrung und viel Menschenkenntnis machten ihn Jahre später, beim Aufbau der Bundeswehr, besonders geeignet dafür, eine heute vergessene, aber sehr heikle und schwierige Aufgabe wahrzunehmen.

Von 1957 bis 1961 war er Sprecher der zivilen Beisitzer einer Sonderprüfungsgruppe im Rahmen der Annahme-Organisation, die die Bewerber aus der ehemaligen Waffen-SS zu begutachten hatte, die eine Verwendung in der Bundeswehr anstrebten. Quantitativ nicht nennenswert, verwandten Kleist und die anderen Beisitzer aus einem breiten politischen Spektrum bei einer hohen Ablehnungsquote viel Zeit und Mühe darauf, vorausschauend möglicherweise eintretenden innen- wie außenpolitischen Schaden abzuwenden. Diese Sonderprüfgruppe unter ihrem markanten Sprecher hat sich um das Gemeinwesen und dessen innere Festigung verdient gemacht.

Beim Blick auf das gegenwärtig dominierende politische Personal jedweder Couleur wird deutlich, welcher Verlust mit dem Tod von Ewald-Heinrich von Kleist eingetreten ist. Wir haben Anlaß, ihm und seinen Zeitgenossen dafür dankbar zu sein, was sie aus der geistigen und materiellen Trümmerlandschaft von 1945 aufgebaut haben.

 

Dr. Georg Meyer ist Historiker und ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Freiburg/Breisgau

 

Ewald-Heinrich von Kleist und der 20. Juli 1944

Ewald-Heinrich von Kleist, Sproß einer pommerschen Gutsbesitzerfamilie und Sohn des im April 1945 wegen Beteiligung am 20. Juli hingerichteten konservativen Hitler-Gegners Ewald von Kleist-Schmenzin, hat aus seiner dezidierten Ablehnung des „nationalsozialistischen Regimes“ und dessen „unerträglicher Unrechtsherrschaft“ keinen Hehl gemacht. Bereits in Kindertagen mußte er erleben, wie sein konservativer Vater wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 zweimal verhaftet wurde. Wie er in einem Gespräch mit der Grünen-Politikerin Antje Vollmer sowie einem Welt-Redakteur im Jahr 2012 unterstrich, waren es vor allem das Elternhaus, sein Vater, seine Großeltern und „natürlich“ sein Infanterie-Regiment 9 in Potsdam sowie „dort besonders Fritz von Schulenburg“, die ihn in seiner Haltung formten. Kleist war dem Traditionsregiment im Jahr 1942 freiwillig beigetreten und kam schnell in Kontakt mit Oberleutnant Werner von Haeften, dem Adjutanten Claus Schenk Graf von Stauffenbergs. Im Februar 1944 trat Stauffenberg dann an Kleist heran und fragte den 21jährigen Leutnant, ob er bereit wäre, sich mit Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Kleist erbat sich Bedenkzeit und hielt Rücksprache mit seinem Vater. „Ja, das mußt du tun“, riet dieser seinem Sohn: „Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben.“ Von Kleist versagte nicht, Hitler brach jedoch den avisierten Termin frühzeitig ab. Am 20. Juli 1944 war Kleist als „Hilfskraft“ für den Bendlerblock abgestellt. Zusammen mit von Haeften stoppte er am Nachmittag mit vorgehaltener Pistole Stauffenbergs Vorgesetzten, Generaloberst Fromm, der den Hitler-Attentäter verhaften lassen wollte. Nach Scheitern der Operation Walküre landete Kleist im Konzentrationslager Ravensbrück. Zu seiner Überraschung wurde Kleist nach knapp sechs Monaten entlassen und konnte mit Hilfe von Freunden in Italien untertauchen.

 

Biographie

10. Juli 1922

Ewald-Heinrich von Kleist wird auf Gut Schmenzin / Pommern geboren

1942

Freiwilliger Eintritt in das Infanterie-Regiment 9 in Potsdam

Februar 1944

Von Kleist erklärt sich zu einem Selbstmordattentat auf Hitler bereit, es mißlingt

20. Juli 1944

Als Ordonanz ist Kleist an den Aktionen im Bendler-Block beteiligt. Anschließend wird er im KZ Ravensbrück inhaftiert, nach sechs Monaten „außer Verfolgung gesetzt und kann sich nach Italien absetzen (siehe Infokasten)

Nach dem Krieg

Ewald-Heinrich von Kleist studiert Jura und Volkswirtschaft und gründet anschließend einen Fachverlag für rechtswissenschaftliche Literatur

1952

Mitbegründer der Gesellschaft für Wehrkunde

1962

Kleist ruft in München die Wehrkundetagung ins Leben und übernimmt deren Vorsitz

30. November 1963

1. Internationale Wehrkundetagung in München. Sie wird 2010 in Münchner Sicherheitskonferenz umbenannt

1998

Kleist gibt den Vorsitz der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik ab. Sein Nachfolger wird der CDU-Politiker Horst Teltschik

Foto: Am 20. Juli 2010 spricht Ewald-Heinrich von Kleist anläßlich eines feierlichen Gelöbnisses mit Rekruten: Ohne Wenn und Aber gegen die Tyrannei und für den Rechtsstaat

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