© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

Vernichtung des Vertragsrechts
Bundeswertpapiere: Der deutsche Staat entbindet sich von seiner Vertragstreue / CAC-Klausel ermöglicht Schuldenschnitt bei Euro-Bonds
Wolfgang Philipp

Bundesschatzbriefe waren jahrzehntelang eine sichere Geldanlage. Doch mit der Finanz- und Euro-Krise kamen die Minizinsen – zur Freude des Finanzministers, zum Schaden der Sparer. Zum Jahresende 2012 wurde der Verkauf an Privatkunden „aus Kostengründen“ eingestellt (JF 2/13). Privatanleger könnten jedoch weiter in deutsche Staatsschulden investieren: Mit börsengehandelten Bundeswertpapieren oder den zehn- und dreißigjährigen Bundesanleihen stünde ihnen „weiterhin ein breites Anlagespektrum in sicheren Staatstiteln zur Verfügung“, behauptete ein Sprecher der bundeseigenen Finanzagentur GmbH.

Doch die gewohnte Sicherheit gibt es nicht mehr, denn seit diesem Jahr gilt für alle neuen Papiere mit einer Laufzeit von über zwölf Monaten eine Umschuldungsklausel (Collective Action Clause/CAC, JF 15/03). In einer Veröffentlichung der Finanzagentur wird auf 16 Seiten für Schulden des Bundes der wichtigste Grundsatz zivilisierten Zusammenlebens aufgegeben, daß nämlich Verträge einzuhalten sind. Künftig gilt: „Pacta non sunt servanda.“

Dazu bemüht der Bund nicht einmal ein Gesetz. Alle Neuemissionen enthalten diese neue „Kondition“ als allgemeine Geschäftsbedingung. Betroffen sind nicht nur Direkterwerber, sondern auch Versicherungskunden, deren Assekuranzen aus „Sicherheitsgründen“ Bundesanleihen kaufen. Diese Anleger werden, neben den Steuerzahlern, zu einer „Reservearmee“, welche die durch die Euro-Rettungspolitik zu erwartende gewaltige Belastung Deutschlands refinanzieren soll. Die gleichen „Konditionen“ sind zum Januar auch für alle anderen Euro-Staaten eingeführt worden.

In dieser CAC-Klausel behält sich der Bund unter anderem vor, seine Bundeswertpapiere „wesentlich zu ändern“. Verfahrensmäßig unterscheidet er zwischen „emissionsübergreifenden“ und „einzelnen“ Emissionen. „Wesentliche Änderungen“ sind etwa die Änderung der Fälligkeitstermine, die Verringerung des Betrages der Hauptforderung und der Zinsen, die Verringerung des Rückzahlungspreises und das Recht zur vorzeitigen Kündigung. Solche „Änderungen“ kann der Bund jederzeit mit Wirkung für alle Gläubiger beschließen, ohne daß (wie bei der Entschuldungsaktion in Griechenland) ein nachprüfbarer Anlaß, etwa eine Staatspleite, gegeben sein muß. Der Bund kann sich durch einseitigen Rechtsakt von allen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern ganz oder teilweise lösen. Dazu soll die Zustimmung von „75 Prozent der Anteilsbesitzer“ erforderlich sein. Ein Blick ins Kleingedruckte offenbart weit Schlimmeres.

Richtig ist, daß die Anteilseigner sich an der Beschlußfassung in zwei Formen beteiligen können: Der Bund kann eine Gläubigerversammlung einberufen oder aber es findet eine schriftliche Abstimmung statt. Geht es um „Emissionsübergreifung“, also um mehrere ausstehende Bundeswertpapiere, so bedarf es in der Tat in der Versammlung einer Mehrheit von 75 Prozent: Diese bezieht sich aber nicht auf die ausstehenden Nennwerte, sondern nur auf das bei der Versammlung vertretene Nennkapital. Die Versammlung ist schon beschlußfähig, wenn mindestens 66,67 Prozent der ausstehenden Nennwerte vertreten sind. Bei einer solchen Präsenz sind 75 Prozent der Abstimmenden 49,99 Prozent, also weniger als die Hälfte aller ausstehenden Nennwerte. Noch toller wird es, wenn nur über eine einzelne Emission abgestimmt wird. Dann müssen nicht 75 Prozent, sondern nur mehr als 66,67 Prozent der vertretenen Stimmen erreicht werden. 66,67 Prozent plus eine Stimme der für die Beschlußfähigkeit nötigen Vertretung von 66,67 Prozent ergeben 44 Prozent aller Nennwerte. Fazit: Der Bund kann im Falle der Einberufung einer Versammlung schon mit Hilfe einer Minderheit die Enteignung seiner Gläubiger beschließen.

Bei schriftlicher Abstimmung wird für emissionsübergreifende Beschlußfassung eine Quote von mehr als zwei Dritteln des Nennwertes aller Emissionen verlangt, bei Abstimmung über nur eine einzelne Emission genügen aber schon mehr als 50 Prozent der Nennwerte. Offen ist, wie man sich eine solche Versammlung vorstellen muß, wenn es um Hunderttausende von Betroffenen geht – aber vielleicht reicht das Olympiastadion in Berlin. Es ist zu erwarten, daß der Bund die erforderlichen Mehrheiten mit den Großanlegern (Banken, Hedgefonds) vorher absprechen wird. Für diese ist der an sich auch sie treffende Verlust kein Problem, sie stehen meist als „Konsortialbanken“ mit dem Bund in permanenten Beziehungen, auch waren und sind sie häufig selbst die durch die „Euro-Rettung“ Begünstigten. Schließlich hält der Bund die Banken für „systemrelevant“ und hat versprochen, sie immer zu retten. Die Vernichtung des Vertragsrechts gilt nicht ihnen, sondern privaten Gläubigern und ihren Lebens- und Rentenversicherungen, die in großem Umfang Staatsanleihen in ihren Depots halten.

Daher sind alle neuen Bundeswertpapiere „Unwertpapiere“, juristischer Schrott. Sie sind weder mündelsicher noch für Versicherungen deckungsstockfähig. Wer soll sie kaufen? Wie lange kann sich der Bund noch selbst finanzieren? Oder wird die EZB mit frischem Geld einspringen? Ohne Vertragstreue droht das Faustrecht. Den Anlegern bleibt nur die Flucht in andere Anlagen oder aber die Prüfung, ob diese „allgemeinen Geschäftsbedingungen“ des Bundes nach dem BGB überhaupt zulässig sind. Das wird der Bundesgerichtshof zu entscheiden haben.

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