© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Entscheidungen mit Frieden und Trauer
In Form eines Romans beschreibt die britische Journalistin Lucy Hay die Alternativen nach dem Entschluß einer jungen Schwangeren für und gegen das neue Leben
Friederike Hoffmann-Klein

Volltreffer“ – Lizzie kann es nicht fassen, als ihr der Schwangerschaftstest die beiden blauen Striche anzeigt. Gleich beim ersten Mal schwanger. Eine Woche vor ihrem 18. Geburtstag macht sie den Test, in einer öffentlichen Toilette. Die Welt verschwimmt vor ihren Augen. Sie weiß nicht mehr, was sie tun soll, nicht einmal, was sie fühlen soll. Sie fürchtet die Reaktionen ihrer Familie. „So viele Leute werden mich verurteilen – Leute, die mir etwas bedeuten.“ Nicht aus moralischen Gründen. Die Gewichte haben sich verschoben. Oberster Maßstab ist jetzt die Selbstbestimmung. Auch gegen ihre Forderungen kann man verstoßen. Sie stellt sich die Reaktionen ihrer Familie vor, ihrer Schwestern insbesondere. Sie werden enttäuscht sein. Enttäuscht? Sie, die so ehrgeizige Ziele hatte, die raus wollte aus dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Und nun – schwanger? Das scheint nicht zusammenzupassen. Das Gegenteil von Selbstbestimmung. Auf den ersten Blick.

Sie will sich die Zukunft nicht verbauen. Sie will ein selbstbestimmtes Leben, ein Leben, das sie sich vorgestellt hat. Das sind berechtigte Wünsche. Ihre Entscheidung gegen das Baby ist gefallen. In diesem ersten Teil des Romans zieht sie die Entscheidung durch, aber in ihr wächst ein Gefühl der Trauer.

Der Roman von Lucy Hay, „Bauchentscheidung“, skizziert in sechs Kapiteln die verschiedenen Wege, die eine Frau in dieser Situation, nach dem positiven Schwangerschaftstest einschlagen kann. Jeder ist anders. In der zweiten Variante handelt Lizzie radikal anders. Sie gibt alles auf, sogar ihren Studienplatz. Zur Uni kann sie später immer noch. Dennoch beschleicht sie manchmal das Gefühl: Was wird aus ihr?

Gibt es eine Alternative? Auch die Persönlichkeit von Lizzie selbst legt dies nahe. Da spricht kein unerfahrener, fremdbestimmter Teenager, sondern eine reife junge Frau. Eine Frau, die, in der zweiten Variante, eine der tiefgreifendsten Erfahrungen des Lebens macht. „Ich humple zur Tür, das Baby im Arm. Nicht mal zehn Schritte würde ich ohne es gehen.“ Lizzie ist noch so jung, aber sie ist klug, souverän, reflektiert.

Die Schwäche des Buches besteht darin, daß die Berechtigung zur Abtreibung nie in Frage gestellt wird. Es geht nur darum, daß Lizzie noch nicht weiß, ob sie eine Abtreibung will. Der Gedanke, daß Frauen in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft vor der Entscheidung stehen, zur Entscheidung aufgerufen sind, entspricht dem Zeitgeist. Jede Entscheidung ist also gleich gut? Das geht nur, wenn man einen Teil der Wirklichkeit ausblendet. Von diesem Standpunkt aus, an den wir uns gewöhnt haben, hat der Roman recht.

Aber es gibt noch eine andere Person, das ungeborene Kind. Die erzählten Varianten der Geschichte Lizzies, in denen das Kind geboren wird, zeigen mit aller Deutlichkeit, um was es geht, um das Leben. Sie sprechen für sich selbst. „Ich möchte ihr sagen, daß sich mein ganzes Leben verändert hat“, will sie der Freundin zurufen, die sich mit einer Spur von Mitleid und Herablassung nach ihr erkundigt. Unbeabsichtigt gibt der Roman damit doch eine, wenn auch leisere Wertung ab.

Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben, eine klare, erfrischende Sprache. Man liest ihn mit Spannung. Daß er seinem Anspruch, „vollkommen bewertungsfrei“ zu vermitteln, „daß jede Entscheidung in der betreffenden Situation die richtige sein kann“, letztlich nicht gerecht wird, liegt nicht an der guten Konzeption, sondern ist in der Sache selbst begründet. Der Versuch einer wertfreien Beschreibung mißlingt, muß letztlich mißlingen.

Es ist der richtige Weg, weiß Lizzie in der Variante, in der sie sich mit der Unterstützung ihrer Familie für das Kind entscheidet. Frieden erfüllt sie. Kann es das auch für sie geben bei einer Entscheidung gegen das Kind? Frieden auf der einen Seite, Trauer auf der anderen. Daß der Roman damit seinem eigenen Anspruch letztlich nicht gerecht wird, ist nicht der Fehler der in Südengland lebenden Autorin, die den Roman hervorragend konzipiert hat.

Lucy Hay: Bauchentscheidung. Übersetzt von Christiane Steen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, broschiert, 244 Seiten, 8,99 Euro

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