© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Israel als Staatsräson
Der ARD-Journalist Werner Sonne über pikante Details des deutschisraelischen Verhältnisses nvon Adenauer bis zu Angela Merkel
Thorsten Hinz

Im vergangenen Jahr stand Israel kurz davor, die Atomanlagen im Iran zu bombardieren. Die Bundesregierung war nicht weniger besorgt als Günter Grass, der angesichts eines drohenden Krieges das Gedicht „Was gesagt werden muß“ veröffentlichte. Für die Kanzlerin wäre es zum Schwur gekommen, hatte sie doch 2008 vor dem israelischen Parlament erklärt, wegen der „besonderen historischen Verantwortung“ sei „die Sicherheit Israels“ ein „Teil der Staatsräson“ Deutschlands.

Werner Sonne, langjähriger Auslandskorrespondent und Studioleiter der ARD, will die Hinter- und Beweggründe in den deutsch-israelischen Beziehungen erhellen. Er hat Politiker, Diplomaten, Geheimdienstleute aus dem In- und Ausland befragt und sich in Archiven umgesehen. Er schlägt den Bogen zurück bis Konrad Adenauer, der 1953 das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel schloß. Für Adenauer ging es um aufrichtige Sühne und zugleich um die politische Rehabilitierung Deutschlands. Die Zahlungen an Israel waren für ihn eine materielle und moralische Leistung, mit der er der staatlichen Souveränität näherkommen wollte.

Zahlreiche Leistungen sollten noch folgen, oft heimlich und am Gesetz vorbei. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß versorgte die Israelis mit Waffen, in anderen Fällen beglich die Bundesrepublik die Rechnungen für militärisches Gerät. Sie beteiligte sich auch an der Finanzierung der israelischen Nuklearforschung, weil das, wie das Auswärtige Amt 1965 meinte, seinen „Eindruck auf das Weltjudentum nicht verfehlen“ würde.

Eine neue Qualität erreichte die militärtechnische Unterstützung Israels infolge des Golfkriegs 1990/91. Der irakische Diktator Saddam Hussein beantwortete die Nato-Intervention, indem er Scud-Raketen auf Israel abfeuerte. Diese waren mit deutscher Unterstützung gefertigt worden, zu einer Zeit allerdings, in der Saddam Hussein dem Westen als Feind des Iran hoch willkommen war. Den Aufruhr, der entstand, stellt Sonne leider nur verkürzt dar. So wurde damals lanciert, daß die Raketen Giftgas – „deutsches Gas auf Israel“ – transportieren könnten. Demonstranten marschierten mit Gasmasken vor der deutschen Botschaft auf.

Die Kampagne brachte das gewünschte Ergebnis. Bonn verlor die Nerven, Außenminister Hans-Dietrich Genscher kehrte „schreckensbleich“ von einem Israelbesuch zurück. Unmittelbar danach beschloß die Regierung, den Israelis die gewünschten Dolphin-U-Boote zu liefern, die auch atomar bestückt werden können. Deutschland übernahm zudem die Finanzierung. Während die Minister im Kanzler-Bungalow berieten, wartete nebenan im Kanzleramt ungeduldig eine israelische Regierungsdelegation auf die Entscheidung.

Die Israelis stellen üblicherweise den Koch, die Deutschen den Kellner. Das gilt auch im Verhältnis zwischen dem BND und dem Mossad. Der ehemalige Geheimdienstchef und Außenminister Klaus Kinkel räumt ein: „Insgesamt war es schon so, daß die Israelis selbstbewußt aufgetreten sind und auch fordernd und wir eben auch im Hinblick auf die Vergangenheit getan haben, was wir konnten.“ Ein anderer Ex-BND-Mann wird deutlicher. Die Israelis nehmen „weder auf Hierarchien noch auf den deutschen Rechtsstaat“ Rücksicht. Mossad-Vertreter werden im Kanzleramt oder bei den Landesämtern für Verfassungsschutz vorstellig. Seit jeher bewegt der Mossad sich „auf deutschem Boden ziemlich frei“ bis hin zu Mordanschlägen auf deutsche Staatsbürger. Sein Risiko ist gering, denn „im Zweifelsfall wird in Deutschland zugunsten Israels entschieden“.

Sonne reiht die Fakten, Schilderungen und Äußerungen aneinander, analysiert sie aber kaum. Das ist eine Schwäche des Buches. Vor allem bleibt die Frage ungeklärt, was unter diesen Umständen die Rede über die deutsche „Staatsräson“ überhaupt noch bedeutet. Der Staat ist die politische Existenzform eines Volkes; unter Staatsräson wird seine Fähigkeit verstanden, die zum Selbsterhalt nötigen Entschlüsse zu fassen. Macht ein Staat die Sicherheitsinteressen eines anderen Staates zum Bestandteil seiner Selbstdefinition, gibt er das Definitionsrecht über sich ganz oder teilweise auf.

Umgekehrt denkt Israel gar nicht daran, Berlin ein Mitspracherecht über seine Belange zu gewähren. Die „besondere moralische Verantwortung“ bedeutet ins Politische übertragen, daß die deutschen den strategischen Interessen Israels untergeordnet werden. Adenauers Plan, durch die Unterstützung Israels souverän zu werden, hat sich ins Gegenteil verkehrt.

Sonnes Bemühungen, von Regierungs- und Oppositionspolitikern eine Präzisierung des Merkel-Ausspruchs zu erhalten, liefen ins Leere. Erkennbar ist aber ein allgemeines Unbehagen über den törichten Satz. Die Konsequenz daraus könnte nämlich sein, daß deutsche Soldaten auf Anforderung von Ministerpräsident Netanjahu – mit dem Merkel, wie Sonne weiß, sich „angiftet“ – ihren Kopf für dessen bankrotte Politik hinhalten. Dabei sind die deutsch-israelischen Beziehungen schlecht wie nie. Nur noch 33 Prozent der Deutschen wollen von einer „besonderen Verantwortung“ für Israel etwas wissen. Selbst in der politischen Klasse Deutschlands ist die Geduld mit der israelischen Führung, die eine politische Lösung des Palästina-Problems sabotiert, „aufgebraucht“.

Sonne benennt, was sonst höchstens zwischen den Zeilen oder versteckt in Kurzmeldungen zu lesen ist. Er bestätigt manches, das gewöhnlich als „rechte Verschwörungstheorie“ abgetan wird. Das Buch bietet Anknüpfungspunkte für weitere Recherchen und Stoff für vertiefende Analysen. Es geht nicht nur um das israelische, es geht um das Existenzrecht Deutschlands.

Werner Sonne: Staatsräson? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet. Propyläen Verlag, Verlin 2013, gebunden, 245 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Angela Merkel und Benjamin Netanjahu: Die Israelis stellen den Koch, die Deutschen den Kellner

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen