© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Das Schicksal zwingt uns zur Gemeinschaft
Die deutsch-französische Freundschaft für Europa: Stark im Rückblick, gediegen in der Analyse – Armin Fuhrer und Norman Haß präsentieren ein Lehrbuch geschichtsbewußter Politik
Jürgen Liminski

Es gibt wohl heute keinen ernstzunehmenden Politiker in Deutschland und Frankreich, der nicht die Einheit Europas wollte. Aber die Frage ist: Welches Europa? Die mental-psychologischen Schatten der Geschichte sind lang, auf beiden Seiten. So wie Frankreich und natürlich ganz Südeuropa möchte Deutschland auch Schulden vergemeinschaften, aber einige denken in Deutschland da eher an die moralische Schuld nach dem Krieg, die man europäisch auflösen möchte, die anderen sehen profaner und praktischer die monetären Schulden.

Man kann darüber lächeln, aber dieser Unterschied könnte das EU-Europa der demnächst 28 oder zumindest das Euro-Europa der 17 sprengen. Die mentalen Unterschiede mit Blick auf Geld und Wirtschaft sind bei aller Schicksalhaftigkeit oder auch Selbstverständlichkeit der Nachbarschaft eine Realität, die in dem halben Jahrhundert seit dem Elysee-Vertrag nicht überwunden wurde. Das ist die Schwäche in dem ansonsten großartigen Buch von Armin Fuhrer und Norman Haß, daß dieser fundamentale Unterschied in der „Freundschaft für Europa“ nicht überwunden und auch nicht herausgearbeitet wurde.

Das war sicher auch nicht ihr Anliegen. Der Untertitel heißt: Der lange Weg zum Elysee-Vertrag. Das Buch beschreibt dicht und detailfreudig diesen Weg und fängt auch richtig bei Versailles an. Wohltuend hebt es sich ab von den Glorifizierungen heutiger Rückblicke. Es ging um Haß und Rivalität zwischen den Kriegen und kurz nach der Katastrophe. Und nur wer die Umstände und die Herkunft der Schlüsselfiguren kennt, kann ermessen, wie historisch bedeutsam dieser Vertrag nicht nur für Deutschland und Frankreich, sondern für Europa und die Welt ist. Aber in der Schlußphase und vor allem beim Ausblick hätte man sich gewünscht, daß der Unterschied im Finanz- und Wirtschaftsdenken etwas stärker hervorgehoben worden wäre. Denn er bestimmt die Zukunft und es ist symptomatisch, daß der Elysee-Vertrag den Bereich Wirtschaft nur nebenbei und als Unterpunkt unter der Außenpolitik erwähnt.

Das Buch ist aber auch ohne diesen Punkt ein Lehrbuch über praktische Politik. Nicht nur die fundierte und belegte Arbeitsweise – als Primärquellen dienen vor allem die Erinnerungen von Konrad Adenauer und die Memoiren Charles de Gaulles – machen es lesenswert, sondern vor allem die gelungenen Porträtskizzen der Schlüsselfiguren (in der ersten Phase Robert Schuman, Jean Monnet sowie der Kabinettschef Schumans, Bernard Clappier, und in der zweiten Adenauer und de Gaulle) und ihre Einbettung in die geschichtlichen Abläufe.

Wer weiß heute noch, daß der erste Impuls für dieses Projekt von dem amerikanischen Außenminister Dean Acheson ausging, der bewußt den Franzosen Schuman aufforderte, „Vorschläge zu machen, ein Projekt zur Zukunft Deutschlands zu erstellen“ und der angesichts des konkreten Projekts dann die Unterzeichnung des Vertrags als einen „der schwärzesten Tage der Nachkriegszeit“ bezeichnete? Überhaupt gelingt es dem Autorenduo glänzend, das angelsächsische imperiale Denken dieser Zeit einzufangen und einzuordnen, etwa in den Reaktionen nach dem 22. Januar 1963.

Das kontrastierte mit dem ideellen Gedanken der vorangegangenen Schuman-Monnet-Pläne, dem Adenauer die größte Bedeutung beimaß: „Dieser ideelle Gedanke lag darin, eine Gemeinschaft der europäischen Länder zu schaffen, auf dem Boden völliger Gleichberechtigung.“ Es war dieser Grundgedanke, der die Freundschaft zum Fundament, zum Haus der Wiederkehr, zum ebenso festen wie nachhaltigen Bündnis der beiden karolingischen Kernstaaten machte. Alle Versuche späterer Kanzler (insbesondere Gerhard Schröder) und Staatspräsidenten (vor allem François Mitterrand während der Wiedervereinigungsphase und heute François Hollande mit dem Blick auf Südeuropa), die deutsch-französische Achse nach London, Warschau oder Rom zu verlängern, scheiterten an der besonderen Freundschaft, der entente élémentaire, dem Kernbündnis Europas.

Die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland ist eine Konstante geworden, unabhängig von der politischen Couleur der Machthaber an Spree und Seine. Die Alternative dazu ist der Konflikt. Die Altvorderen von Merkel und Hollande, für die noch ein ganz anderes Denken selbstverständlich war, haben das erkannt und – entsprechend etwas dramatischer – von einer „Schicksalsgemeinschaft“ gesprochen. Nüchternes Kalkül bewegte sie dazu. General de Gaulle sagte es in Zeiten des Kalten Krieges offen: „Die Deutschen werden immer in Europa sein, die Amerikaner nur vielleicht.“ Seine Umarmung der Deutschen war logisch und auch ehrlich. Seine Nachfolger folgten der Logik, für sie galt auch: Die Deutschen sind da. Auch für das Duo Merkel-Hollande bleibt, wie Bismarck es formulierte, die Geographie die einzige Konstante der Außenpolitik. Dem trägt der Vertrag Rechnung und das vielleicht größte Verdienst der Autoren ist es, diese Erkenntnis in den 320 Seiten mit nüchternem Stil und zügigem Duktus geradezu sichtbar zu machen.

Ein Vorschlag am Rand: Der Vertrag, das Sujet des Werks, ist so kurz, gerade mal ein halbes Dutzend Seiten, daß man ihn als Anhang hätte dokumentieren sollen. Schon um zu zeigen, daß Verträge dieser Zeit noch lesbar waren im Gegensatz zu den vielen hundert Seiten starken Volumina von Maastricht oder Lissabon. Das ist ein Schönheitsfehler, den man bei einer zweiten Auflage, die dem Werk zu wünschen ist, korrigieren sollte.

Armin Fuhrer, Norman Haß: Eine Freundschaft für Europa. Der lange Weg zum Élysée-Vertrag. Olzog Verlag, München 2013, gebunden, 320 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Foto: Deutsch-französisches Volksfest in Berlin 1999: „Die Deut-schen werden immer in Europa sein, die Amerikaner nur vielleicht“

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