© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Schlag gegen die Sklavenhaltergesellschaft
Revision in der Kolonialgeschichte: Eine Untersuchung über die Hintergründe des Araberaufstandes 1889 in Deutsch-Ostafrika
Matthias Schneider

Was mit dem Titel eines Romans daherkommt, ist alles andere als das. Vielmehr ist das voluminöse Werk das Ergebnis einer gründlichen Fleißarbeit, die auf zahlreichen Primärquellen, Archivalien und Zeitzeugenberichten basierend, wissenschaftlichen Standards genügt und dank Revision der historischen Fakten und objektiver Aufarbeitung derselben eine Neubewertung der Ereignisse vornimmt, die auch als „Araberaufstand“ bezeichnet in der deutschen Kolonialgeschichte einen festen Platz einnehmen.

Gleich zu Beginn macht die Autorin überzeugend deutlich, daß die heutzutage vorrangige Beurteilung dieser Revolte stark von den ideologischen Zwängen der DDR-Historiographie geprägt ist. Dieses Geschichtsbild, letztlich auch nach der Wende fortgeschrieben, beruht insbesondere auf zwei Prämissen, nämlich erstens, daß sich in besagtem Aufstand die gesamte ostafrikanische Bevölkerung in einer Art Freiheitskampf gegen die imperialistischen Unterdrücker erhoben habe und zweitens, daß der Sklavenhandel in Ostafrika damals unbedeutend war und für die Entscheidungsträger im Reich nur den willkommenen Vorwand lieferte, um die zur Niederschlagung notwendigen Mittel zu begründen. Durch das sorgfältig herausgearbeitete Faktengerüst werden diese Thesen unhaltbar.

Fast die gesamte arabische Bevölkerung Ostafrikas, einschließlich des Sultans von Sansibar und dessen Beamte, waren direkt oder indirekt am Sklavenhandel beteiligt. Dabei waren die Ausmaße so enorm, daß dieser Erwerbszweig noch in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Haupteinnahmequelle des Sultanats darstellte. Durch Ausbreitung der europäischen Kolonialmächte in weiten Teilen Afrikas und die Übernahme der Küstenverwaltung speziell durch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft wurden langsam aber spürbar die Voraussetzungen geschaffen, um den seit langem geächteten Sklavenhandel wirkungsvoll einzudämmen.

Somit sahen sich die betroffenen Kreise mit einer Verschiebung machtpolitischer Faktoren konfrontiert, wodurch sie in absehbarer Zeit ihren wichtigsten Wirtschaftszweiges verlieren würden. Die Sultane Said Bargasch und Said Halifa hatten sich auf Druck Englands den internationalen Verträgen zur Bekämpfung des Sklavenhandels angeschlossen, mußten aber mit Rücksicht auf die maßgeblichen arabischen Kreise und ihre einflußreichen Ratgeber, unter denen der alte Bakaschmar eine führende Position innehatte, ein doppeltes Spiel wagen.

Offiziell waren sie als Vertragspartner zur Bekämpfung des Sklavenhandels und zur Unterstützung der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) verpflichtet, im Verborgenen hintertrieben sie jedoch diese Bestrebungen durch widersprüchliche Geheimbefehle an ihre Verwaltungsbeamten, Verbreitung von Gerüchten, um Angst vor den Europäern zu schüren, und Gewährung mannigfaltiger Unterstützung an die Aufständischen.

Eine ausführliche Untersuchung der zahlreichen in Ostafrika ansässigen Volksgruppen und Stämme hinsichtlich ihrer Aufstandsbeteiligung belegt außerdem, daß es sich keinesfalls um eine nationale Befreiungsbewegung der gesamten Bevölkerung gehandelt hatte. Auch sonstige stereotype Geschichtsbilder, wonach sich die Deutschen wie rücksichtslose Kolonialherren geriert und Reichskommissar Hermann von Wissmann mit seiner Söldnertruppe einen verheerenden Unterdrückungsfeldzug geführt hätte, werden glaubhaft in die Sphären ideologischer Zweckphantasie verwiesen.

Eher beiläufig, aber trotzdem sehr aufschlußreich, sind die abschließenden Kapitel, welche sich mit den von den Emissären der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft angewandten Methoden beim Erwerb von Landrechten bzw. der Ausstellung von Schutzverträgen auseinandersetzt. Auch hier wird deutlich, daß die verbreitete Vorstellung, man habe die Häuptlinge besoffen gemacht, um ihnen ihre Rechte gegen ein paar Glasperlen abzuschwatzen, nicht durch die Realitäten gedeckt ist.

Alles in allem ein couragiertes Buch gegen geschichtliche Mythen, welches trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs durchaus lesbar ist. Es bleibt zu wünschen, daß auch andere Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte einer ähnlich akribischen und faktengesättigten Revision unterzogen werden. Leider ist der hohe Kaufpreis einer weiten Verbreitung nicht förderlich.

Claudia Lederer: Bakaschmars Fluch. Untersuchungen zu Ursache und Hintergründen des „Araberaufstandes“. Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, Saarbrücken 2012, broschiert, 655 Seiten, 128 Euro

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