© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Erwachsene: „Was schaust du dir an?“ Das Kind vor dem Bildschirm: „Was, das schlau macht.“ Der Erwachsene: „Der Mann ist der, der die dummen Fragen stellt?“ Das Kind: „Ja.“ Der Erwachsene: „Die Frau ist die, die immer die Antwort weiß?“ Das Kind: „Ja.“ Der Erwachsene: „Könnte es auch umgekehrt sein?“ Das Kind: „Nein.“ Der Erwachsene: „Warum nicht?“ Das Kind: „Wäre frauenfeindlich.“ Der Erwachsene: „Der dumme Mann ist weiß, die kluge Frau schwarz.“ Das Kind: „Stimmt.“ Der Erwachsene wartet. Das Kind, allmählich ungeduldig: „Kann auch nicht andersrum sein. Wäre rassistisch.“

„Das verschwammte Herz eines Kosmopoliten ist eine Hütte für niemand.“ (Johann Gottfried Herder)

Die Feigheit findet immer Gründe, der Mut nicht.

Der Erfolg der Romane Martin Walkers ist erklärungsbedürftig. Sie spielen bevorzugt in der französischen Provinz, genauer im Périgord, dieser gesegneten Ecke mit Trüffeln und Gänseleber und einer Landschaft, so schön, daß sich bereits der Cro-Magnon dort niedergelassen hat. Die Hauptfigur – der Polizist des fiktiven Ortes Saint-Dénis – tritt wie die Kriminalgeschichte in den Hintergrund angesichts der liebevollen Art, wie Walker die Gegend, die Skurrilität ihrer Einwohner, die Bräuche und die Rezepte behandelt. Leser findet das vornehmlich in Deutschland, kaum in Walkers britischer Heimat, und in Frankreich erscheinen die Bücher erst neuerdings in Übersetzung. Wahrscheinlich kann man das nur unter Hinweis auf die Besonderheiten der deutschen Frankophilie verstehen, für die ein angelsächsischer Autor als Vermittler dient, fremd gegenüber dem Gegenstand der Zuneigung, die einen wie der andere, aber enthusiastisch.

Wenn sie durch Neukölln gehe, senke sie selbstverständlich den Blick, sagt die junge Frau – und lächelt.

Es verwundert den bürgerlichen Menschen, aber manche Speise muß er genauso heiß herunterbringen, wie sie gekocht wurde.

Die Äußerung des britischen Sängers Steven Morrissey, man könnte alle Kriege beenden, wenn alle Männer schwul wären, Schwule und Frauen seien von Natur aus friedfertig, hat eine gewisse Aufmerksamkeit und Widerspruch gefunden. Allerdings berühren die vorgetragenen Gegenargumente – vermeintlich schwule Heerführer von Alexander bis Friedrich, Amazonen, militante Königinnen nach dem Muster der ersten Margarethe oder der ersten Elisabeth – kaum den entscheidenden Punkt. Der liegt vielmehr im strukturellen Zusammenhang zwischen Gewalt, Männerbund und Homosexualität. Das Spektrum denkbarer Beispiele ist breit und reicht von der Päderastie in archaischen Jagd- und Lebensgemeinschaften auf Papua-Neuguinea über die „dorische Knabenliebe“ und die „Liebe des Samurai“ zu seinem Knappen bis zu den unappetitlichen Varianten des Soldatenstrichs in den deutschen Großstädten der Zwischenkriegszeit oder Mishimas „Schildgesellschaft“. Die Spartaner opferten vor der Schlacht auch dem Eros, und über die „Heilige Schar“ des antiken Theben hieß es, daß ihre Krieger so unerbittlich kämpften, weil sie sich vor dem neben ihnen stehenden Geliebten auszeichnen wollten; Philipp von Makedonien soll nach seinem Sieg bei Chaironeia bewundernd auf deren Gefallene geblickt haben – keiner wies eine Wunde im Rücken auf.

„‘Ich bin bereit für Rußland zu sterben.’“ (zitiert nach einem Bericht über russische Kadettinnen, in GEOlino. Das Erlebnisheft)

Bildungsbericht in loser Folge XXXV: In Hamburg ist es schon abgeschafft, in Baden-Württemberg auch, jetzt will Niedersachsen folgen. Das Sitzenbleiben, jener letzte Rest schwarzer Pädagogik soll verschwinden, wobei die Verantwortlichen den Eindruck erwecken, als ob es sich nur um die letzte Konsequenz jenes Fortschritts handele, der mit der Aufhebung des Züchtigungsrechts der Lehrer seinen Anfang nahm. Dabei wird nicht nur übersehen, daß die systematische Absenkung des Anforderungsniveaus, die schon vollzogene Beseitigung der traditionellen Kriterien für eine Klassenwiederholung („Ungenügend“ in einem oder „Mangelhaft“ in zwei Fächern) und die Einführung aller möglichen Sonderklauseln die Zahl der Sitzenbleiber auf einen unrealistisch niedrigen Stand gesenkt haben. Man ignoriert auch, daß die alternative „individuelle Förderung“ nicht nur nicht finanzierbar, sondern auch sinnlos ist. Bleibt also nur die Hoffnung, daß ausnahmsweise die laut Umfrageergebnis 85 Prozent der Schülerschaft, die am Sitzenbleiben festhalten wollen, sich durchsetzen, und nicht die Menge der Achtundsechziger im Rentenalter, deren Verblendungszusammenhang weiter vollständig ist oder die der üblichen Großelternsentimentalität anheimfallen und deshalb die „Ehrenrunde“ abgeschafft wissen möchten, um die sensiblen Enkel zu schonen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 29. März in der JF-Ausgabe 14/13.

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