© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Symbolik und Weckruf zugleich
Vor 200 Jahren stiftete der preußische König Friedrich Wilhelm III. das Eiserne Kreuz / Klassenloses Symbol für den Kampf um Deutschlands Befreiung von der napoleonischen Tyrannei
Guntram Schulze-Wegener

Wie kein anderes Medium ermöglicht das Internet prompten Zugriff auf den aktuellen Geisteszustand unserer Republik. Wer etwa „Eisernes Kreuz“ eingibt, der findet neben einigen mehr oder minder sachorientierten Erläuterungen auch Fragen dieser Art: „Bedeutet das er ist rechtsradikal oder hat das Eiserne Kreuz eine komplett andere Bedeutung als das Hakenkreuz?“, will ein „User“ wissen. Ein anderer, der Historiker Dieter Pohl vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, schwadroniert in einem älteren Artikel der Zeit über das Eiserne Kreuz als „Orden für Massenmord“ – eine ebenso blödsinnige wie griffige Formel, die das umtriebige „Netz gegen Nazis“ umgehend aufnahm und für sein Publikum fast werbend um die Botschaft ergänzte: „Auch heute noch bei Neonazis Kult“.

So unterschiedlich die Motivation dieser und anderer krauser Offenbarungen sein mag, eines ist ihnen allen gemeinsam: Unwissenheit. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung unserer Tage findet die lange 200jährige Geschichte des Eisernen Kreuzes (mit Wurzeln im Mittelalter, notabene) tatsächlich zwischen 1939 und 1945 statt. In einer Mischung aus historischer Ignoranz und politisch korrektem Deutungswahn ist dieser wirkungsmächtigste aller deutschen Orden zu einem bösartigen Symbol des Dritten Reiches verkommen. Schlimmer geht Geschichtsklitterung nicht, die dem alles einigenden Motto folgt, es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Fakt ist, daß das 1813 gestiftete Eiserne Kreuz ein zunächst preußischer, dann deutscher Tapferkeitsorden war, der in seiner Schlichtheit unter Verwendung einfacher Materialien zu einem volkskulturellen Monument mit höchstem ideellen Wert und internationaler Reputation aufstieg.

Als der preußische König Friedrich Wilhelm III. in einer auf den 10. März 1813 zurückdatierten Kabinettsorder – seine drei Jahre zuvor verstorbene, vom Volk geschätzte und hochgeehrte Gemahlin Luise wäre an diesem Tag 37 Jahre alt geworden – das Eiserne Kreuz als neue preußische Auszeichnung stiftete, nahm er bewußt das traditionsreiche Zeichen des mittelalterlichen Deutschen Ordens zum Vorbild. Preußen stand damals in einem schicksalhaften Überlebenskampf gegen die französische Fremdherrschaft, und folgt man dem Dichter Theodor Körner, war dies „kein Krieg, von dem die Kronen wissen, es ist ein Kreuzzug, ’s ist ein heil’ger Krieg“.

Friedrich Wilhelms Rückgriff auf eben diese Kreuzzüge des Mittelalters war Symbolik und Weckruf zugleich, eine Besinnung auf Altes, Überkommenes, aber vor allem Berufung auf eine höhere christliche Werteordnung, die in dem Eisernen Kreuz von 1813 ihre Wiederbelebung finden sollte. Daß kein anderer als der französische Kaiser Napoleon 1809 die Auflösung des altehrwürdigen Deutschen Ordens verfügte, schürte zusätzlich den Haß in der Bevölkerung und beförderte die Entscheidung Friedrich Wilhelms III., sich in der Gestaltung einer neuen preußischen Dekoration Insignien des Deutschen Ordens zu bedienen. Weder der preußische, vorwiegend Offizieren vorbehaltene Pour le Mérite noch der Orden vom Schwarzen oder Roten Adler besaßen einen unmittelbaren Gottesbezug.

Wenn diese auch eine reiche Zusammenstellung kostbarer Bestandteile aufwiesen – unter anderem edle Metalle, Emaille, Gold und Blau, aus denen Adler, Schwerter, Krone und Wappen gefertigt waren –, so drückten sie nicht aus, was Friedrich Wilhelm III., Mentalitäten der Zeit geschickt nutzend, im Sinn hatte: Gottesfurcht statt säkular-profanem Prunk, Einfachheit statt Exklusivität, sparsame statt teure Materialien für eine Auszeichnung, die für Adel und Volk, höchste Repräsentanten des Staates, niedere Bürger und erstmals auch für Frauen gleichermaßen gelten und so als ideelles Bindeglied der Gesellschaft fungieren sollte. In der überdauernden Version des Deutsch-Ordens-Zeichens gründet die Urform des Eisernen Kreuzes, dessen Einführung bereits 1811 Generalmajor August Neidhardt von Gneisenau für die ausgehobenen Milizen auf Lebenszeit als schwarz-weiße Wollschärpe vorgeschlagen hatte, die der König jedoch ablehnte.

Weshalb die Umsetzung eines spezifisch preußischen und prinzipiell für jeden erhältlichen Kampf- und Tapferkeitsabzeichens vorerst nicht realisiert wurde, ist nicht bekannt. Fest steht, daß Friedrich Wilhelm III. am 18. Januar 1810 eine „Erweiterungs-Urkunde für die Preußischen Orden und Ehrenzeichen“ erlassen hatte, die das Ordenswesen bis auf weiteres festschrieb. Konkreten Handlungsbedarf sah er aber offenbar noch nicht. Anders 1813, als Preußen seine gesamte Volkskraft entfalten konnte. Mit einer Opferbereitschaft, die den König veranlaßte, erwiesene persönliche Tapferkeit der Kämpfer zu würdigen, was mit den bestehenden preußischen Auszeichnungen nicht möglich war, da Ordensverleihungen sich in der Mehrzahl auf Angehörige des Adelsstandes beschränkten.

Der König beauftragte Ende 1812 oder Anfang 1813 das Geheime Kabinett mit einer Entwurfsbearbeitung, über deren theoretische Grundlagen keine schriftlichen Nachweise vorliegen. Am 27. Februar 1813 ging ein Schreiben des Bergrates Ferdinand Graf von Einsiedel nebst Skizze und Wachs-modell ein. Den recht ausdruckslosen, mit Jahreszahl, königlicher Krone und Initialen sowie vier Eichenzweigen gezierten Entwurf wies der Monarch zurück und griff selbst zur Feder. Er überließ einige Ideen – zwei rechtwinklig übereinander gelegte, gleich lange Stücke des schwarz-weißen Bandes der preußischen Verdienstmedaille – dem Berliner Geheimen Oberbauassessor Karl Friedrich Schinkel zur weiteren Ästhetisierung. Der damals modernste „Designer“ und bedeutendste Architekt Preußens gestaltete innerhalb nur einer Woche die attraktive Dekoration mit sicherer Hand. Nach geringfügigen, gleichwohl gekonnten Abänderungen, die der Auszeichnung nun einen formvollendeten, ernsthaft-schlichten, durch die geschweiften Arme vom allzu strengen klassizistischen Stil aber abweichenden, etwas üppigeren Gesamteindruck verliehen, betraute Friedrich Wilhelm III. Schinkel mit dem Ablauf der Produktion.

Mit der Stiftungsurkunde vom 10. März 1813 war eine Auszeichnung ins Leben gerufen, die höchster Ausdruck soldatischer Pflichterfüllung vieler Generationen werden sollte. Eine Besonderheit war die sparsame Ausgabe, die in der Tatsache gründet, daß das Eiserne Kreuz im wahrsten Sinne des Wortes verliehen wurde, also eine „Leihgabe“ des Staates Preußen bis zum Tod des Geehrten war. So haben nur rund 9.000 Eiserne Kreuze die Anwärter unmittelbar erreicht, alle anderen mußten warten, bis durch Tod oder anderweitige Rückgabe entsprechende Stückzahlen wieder zur Verfügung standen. Die II. Klasse erreichte insgesamt 15.439 Personen, die I. Klasse 668 – beide am schwarzen Band mit weißer Einfassung als Zeichen für militärische Tapferkeit vor dem Feind. Ein Ehrensold verband sich mit der Beleihung – noch – nicht. Größte Anerkennung ergab sich aus der Tatsache selbst, und die damit verbundene Nennung unter anderem im Kirchenregister galt als außerordentliche Wertschätzung. Doch inoffiziell, sozusagen gesellschaftsintern, werden die Geehrten andere Vorzüge genossen haben: „eine freie Mahlzeit hier, einen Humpen Bier dort“, Großkreuze und der sogenannte Blücherstern (Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher für seinen epochalen Sieg bei Waterloo 1815 verliehen) waren Sonderklassen.

Das Eiserne Kreuz wurde fortan immer dann erneuert, wenn ein Kampf um die staatliche Existenz des Landes bevorstand. So erklärt sich, weshalb 1864 (Deutsch-Dänischer Krieg), 1866 (Preußisch-Österreichischer Krieg), 1900 (Boxer-Aufstand), 1904 (Herero-Aufstand) oder auch nach dem 11. September 2001 (Verschärfung der asymmetrischen Kriegführung) auf die Wiederbelebung dieser zunächst preußischen, seit der Erneuerung durch Wilhelm II. zu Beginn des Ersten Weltkrieges gesamtdeutschen Auszeichnung verzichtet wurde. Nach 1870 war dies die zweite Erneuerung von Eisernem Kreuz und seinen höheren Klassen Großkreuz und Stern. Am 1. September 1939 setzte Adolf Hitler das Ordensstatut letztmalig in Kraft, und mit dem Ritterkreuz und seinen Varianten stiftete der Oberbefehlshaber der Wehrmacht die höchste Stufe. Das Großkreuz wurde nur einmal verliehen: an Hermann Göring bei seiner Ernennung zum Reichsmarschall am 19. Juli 1940.

Nach dem Zweiten Weltkrieg in der entnazifizierten Version (ohne Hakenkreuz) erlaubt, behielt das Eiserne Kreuz zwar als nationales Erkennungszeichen der Bundeswehr seine Bedeutung, aber nicht mehr als Orden. Die Stiftung des „Ehrenkreuzes für Tapferkeit“ am 10. Oktober 2008, der eine lebhafte Diskussion um die Wiedereinsetzung des Eisernen Kreuzes vorangegangen war, folgte ausschließlich politischen Vorgaben. Dessen ungeachtet wird das Eiserne Kreuz als Symbol deutschen Selbstverständnisses und militärischer Leistungsfähigkeit erhalten bleiben, denn es ist seine alles überdauernde Beharrungskraft, die dieses Traditionszeichen einmalig macht. Da kann im Internet halluzinieren, wer und wie er will.

Guntram Schulze-Wegener: Das Eiserne Kreuz in der deutschen Geschichte. Ares Verlag, Graz 2012, gebunden, 174 Seiten, 29,90 Euro

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