© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Pankraz,
der Hofnarr und die Macht der Clowns

Nachdem der Kanzlerkandidat der SPD Peer Steinbrück die Sieger der italienischen Parlamentswahl, Silvio Berlusconi und Beppe Grillo, verächtlich als politische Clowns verspottet hatte, gab es zwei hochprominente öffentliche Reaktionen. Beide waren zornig gegen Steinbrück gerichtet, konnten aber unterschiedlicher nicht sein.

Italiens Staatspräsident Napolitano monierte, man dürfe zwei demokratisch gewählte Politiker eines befreundeten Landes nicht als Clowns „abtun“, und lud Steinbrück aus einem verabredeten Gespräch wieder aus. Bernhard Paul, Gründer und Chefclown vom Circus Roncalli, wetterte hingegen, man dürfe Zirkusclowns nicht auf eine Stufe mit Politikern à la Berlusconi stellen. „Clown ist ein ehrenwerter, ganz schwieriger, sensibler, künstlerischer Beruf. Er bringt die Menschen zum Lachen, ohne sie dabei zu Opfern zu machen.“

Man sieht, die wechselseitige Abneigung der beiden Berufssparten ist beträchtlich. Kein moderner Politiker will sich als Clown bezeichnen lassen, allenfalls bezeichnet er seinerseits andere, konkurrierende Politiker als Clowns, um sie lächerlich zu machen und ihre Wählbarkeit anzuzweifeln. Politik hat in seiner Sicht nicht das geringste mit Komik zu tun, sie ist ein von vorn bis hinten ernstes, ja todernstes Geschäft, und wenn er selbst einmal in den Zeitungen karikiert wird, protestiert er nur deshalb nicht dagegen, weil die gesetzlich verbürgte Meinungsfreiheit ihm das gebietet.

Bei den Clowns liegen die Dinge verzwickter. Ihre innerste Überzeugung ist es, daß – gerade in der Politik – einzig sie die wahre Lage richtig einzuschätzen und zu formulieren wissen, und diese Überzeugung wird gespeist aus glorreichen Erinnerungen an monarchische Zeiten, als die sprichwörtlichen „Hofnarren“, damals hier und da auch „künstliche Narren“ genannt, die engsten und ehrlichsten Berater der jeweiligen Monarchen waren, weil sie eben „Narrenfreiheit“ besaßen und ausgiebig davon Gebrauch machten.

Außer ihrer Beratertätigkeit hatten sie in der Regel auch die Aufgabe, durch gute Scherze, komische körperliche Artistik und deftige Anekdoten für Unterhaltung zu sorgen. Sie waren Politiker und Spaßmacher in einem und erlangten
just in dieser Doppelung oft beträchtlichen Einfluß. Man denke nur an Kunz von der Rosen (1470–1519), den legendären Oberclown und Arbiter am Insbrucker Hof Kaiser Maximilians I., oder an Professor Jacob Paul Freiherr von Gundling im Tabakskollegium des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. oder an Joseph Fröhlich, den österreichischen Clown-Import Augusts des Starken von Sachsen.

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts, mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters, ist das Regime der Hofnarren offiziell aus der Mode gekommen. Die Clowns wurden in den Zirkus abgeschoben, statt ihrer gewannen allmählich „Berufspolitiker“, beziehungsweise „Kabarettisten“ (heute „Comedians“ genannt) Zuständigkeit. Politik und Spaßmacherei wurden institutionell strikt voneinander getrennt. Für viele professionelle Spaßmacher kamen recht harte Zeiten, da selbst die großen staatlichen Bühnen in erster Linie mit gewaltigen Tragödien aufwarteten und die „künstlichen Narren“ in den zweiten Rang verwiesen.

Die Zirkusclowns freilich behaupteten ihre Stellung souverän. Bald gaben sie nicht mehr nur den harmlosen Pausenfüller zwischen den einzelnen Artisten- und Tiernummern, sondern spielten sich regelrecht zu Herren der Manege auf, kritisierten und parodierten ungeniert die Direktoren und Dresseure, und das Publikum, vor allem die vielen Kinder unter ihm, spendete enthusiastisch Beifall. Einige Zirkusclowns, Grock zum Beispiel, Charlie Rivel, die drei Fratellinis, der gewaltige Oleg Popow aus Moskau, kamen zu Weltruhm. Keiner der aktuellen „Comedians“ wird je an sie heranreichen, auch Georg Schramm nicht.

Wie sagte Bernhard Paul vom Circus Roncalli in seiner Suada gegen Steinbrück? „Der Clown ist eine tröstliche Figur, er spendet Trost.“ Aber man muß es leider sagen: Deutschlands aktuelle mediengestützte „Comedian“-Garde spendet nicht den geringsten Trost, sie veräppelt die Politik nicht, sondern führt sich selber als Politiker auf, ihre Auftritte gleichen immer öfter schlechten politologischen Seminaren. Sie wollen Kunz von der Rosen oder wenigstens Professor Gundling sein – und sind in Wahrheit allerbestenfalls ein Professor Unrat, der die Politik im Stil von Beppo Grillo mit Gossenjargon überzieht.

Immerhin, Grillo in Italien hat den Einzug in den Senat glorios geschafft, allerdings nicht wegen seines Jargons, sondern weil er in vielen Dingen die schlichte Wahrheit gesagt hat. Die gegenwärtige europäische Politik, sagt Grillo, ist einfach nicht mehr ernst zu nehmen, auch wenn sie sich selber noch so ernst nimmt. Sie ist nicht einmal mehr eine richtig schöne „commedia dell’arte“ aus der Hofnarrenzeit, sie ist nur noch Schmierenkomödie, ein hinterhältiges Bubenstück mit falschen Versprechungen, feigen Abgängen nach protzigen Auftritten und mit einer Personnage, über die man nicht einmal lachen kann.

„Lieber echte Clowns an die Macht, als diese Bagage weiter ertragen“, sagt sich der Wähler in Rom und anderswo. Das läßt sich gut verstehen, nur bleibt die Frage, wieviel Komödie eine gute oder zumindest aushaltbare Politik wirklich erfordert und ob man sie wirklich zur Gänze den Spezialisten des komischen Gewerbes überlassen darf. Politik ist ein hochkompliziertes Geschäft, das eine Menge weiterer Spezialisten erfordert. Die klassischen Hofnarren wußten genau, daß sie ein festes Widerlager für ihre Spaßwahrheiten und Wahrheitsspäße benötigten, um nicht den Kopf zu verlieren, in jeder Bedeutung des Wortes.

Kunz von der Rosen soll sinngemäß gesagt haben: „Ich kann meine Späße nicht selber ernst nehmen, und bloßes Gelächter hilft mir nicht. Ich brauche Bestätigung durch den Handschlag meines Königs.“ Das war keineswegs Untertanengeist, das war stolze Demut.

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