© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Spanisches Orakel
Euro-Krise I: Der Rettungsfonds ESM sammelt zweifelhafte Milliardenforderungen / Deutsche Staatsschuld viel zu niedrig ausgewiesen
Wolfgang Philipp

Schillers Höllenschlund, der schließlich den vom König teuflisch verlockten Taucher-Jüngling verschlingt, kommt ebenso in den Sinn wie die Klage seiner Kassandra, wenn man betrachtet, was sich gegenwärtig in Europa abspielt: „Dein Orakel zu verkünden, warum warfest Du mich hin in die Stadt der ewigen Blinden, mit dem aufgeschlossenen Sinn? Warum gabst Du mir zu sehen, was ich doch nicht wenden kann? Das Verhängte muß geschehen, das Gefürchtete muß nahen.“

Wie die Harald Hau (Uni Genf) und Hans-Werner Sinn (Ifo-Institut München) analysierten, betragen die Schulden der Banken in den sechs Euro-Krisenstaaten 9,4 Billionen Euro (Ifo-Standpunkt 143/13). Dazu kommen 3,5 Billionen Euro Schulden dieser Staaten, unter denen sich auch Spanien befindet. Hau und Sinn sehen die Bankensysteme „am Rande der Pleite“ – und daß deren Gläubiger ihr Geld nicht zurückbekommen, wenn man nicht andere Leute findet, die anstelle der Banken zurückzahlen.

Schon im Herbst 2012 betrug die Summe fauler Kredite spanischer Banken 182 Milliarden Euro , meist aus der Finanzierung unverkäuflicher Wohnungen. Die spanische Wirtschaft ist am Boden, die Politik ist von Korruptionsskandalen erschüttert, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 55 Prozent, soziale Unruhen drohen. Aber keine Sorge: Wie die von Troja (scheinbar) abgezogenen Griechen stellen die EU-„Freunde“ das Pferd vor die Stadt, die spanische Regierung zieht es hinein: Spanien tritt dem ESM, dem „dauerhaften europäischen Rettungsfonds“ bei und zeichnet eine Stammeinlage von 83 Milliarden Euro. Dieser Betrag ist auf Anforderung an den ESM zu zahlen. Die dazu auch noch durch hochverzinsliche Kreditaufnahmen zu refinanzierende spanische Staatsschuld erhöht sich allein dadurch – plus Zinsen. Das sind rechtlich wie Kontokorrentkredite täglich fällige Gelder, weil sie jederzeit einziehbar und nicht mit festen Fristen gestundet sind. In Deutschland sind es rund 190 Milliarden Euro , die Wolfgang Schäuble aber im Haushalt unterschlägt, weil die Bundesregierung bei wahrheitsgemäßem Ausweis einer Neuverschuldung dieser Größenordnung sofort stürzen würde. Dem Volk wird erzählt, abgesehen von tatsächlich eingezahlten 8,6 Milliarden Euro sei das keine Neuverschuldung sondern nur um eine Art „Garantie“.

Im Dezember 2012 hat der ESM angeblich 40 Milliarden Euro bereitgestellt, um spanische Banken durch „Rekapitalisierung“ zu retten. Der ESM hatte aber kaum Geld: Weder waren damals die Milliarden eingezahlt noch zur Refinanzierung am Kapitalmarkt aufgenommen worden. Der ESM erschaffte sich Geld wie eine Notenbank, indem er selbst ungedeckte Schatzwechsel und eine Art Pfandbriefe druckte und diese ohne Gegenleistung an den spanischen Staat weitergab. Ungedeckt sind diese Papiere schon deshalb, weil man den ESM weder verklagen noch seine Vermögenswerte pfänden kann.

Der spanische Staat überließ durch eine ihm gehörende Gesellschaft (FROB) diese Papiere zur Rekapitalisierung vier spanischen Banken. Als „Gegenleistung“ erhöhten diese mit dem „Geld“, das gar keines war, sondern nur in ungeprüften Sacheinlagen (zweifelhafte Forderungen gegen den ESM) bestand, ihr Kapital und übergaben dem FROB die entstehenden jungen Aktien. Diese waren aber die 40 Milliarden Euro nicht wert, sondern glichen in erster Linie Verluste der Banken aus, sie sind fast wertlos.

Der spanische Staat hat nichts in der Hand, schuldet aber dem ESM die 40 Milliarden Euro plus Kosten, um diesen von seinen eigenen zum Teil kurzfristigen Verpflichtungen aus den „Papieren“ zu befreien. Gelingt das nicht, muß der ESM bei den Gesellschafterstaaten weitere Einzahlungen fordern, um seinen eigenen Verpflichtungen aus den Papieren nachkommen zu können. Stolzes Rettungsschirmergebnis: Der spanische Staat schuldet dem ESM jetzt insgesamt 125 Milliarden Euro. Je mehr Banken so „saniert“ werden, desto größer wird die spanische Staatsschuld. Die Schulden werden von den allein hier begünstigten Banken nur auf den Heimatstaat überwälzt. In Griechenland läuft es genauso. Der ESM rettet gar nichts, sondern erweist sich als das Trojanische Pferd, das alles erst richtig in die Katastrophe treibt. Die gezeichneten Einlagen an den ESM muß Spanien ebenso wie die anderen Krisenstaaten bezahlen, eine Notlage befreit sie (anders als noch nach dem Vorgängerfonds EFSF) nicht, bei Zahlungsverzug verlieren sie ihr Stimmrecht im ESM. Das ist Schillers „strudelnder Trichter“, in den die Euro-Staaten jetzt erst richtig hineingezogen werden: „Es kommen, es kommen die Wasser all, sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, den Jüngling bringt keines wieder.“

Ifo-Standpunkt 143/13 über „Die gefährliche Dimension der Bankenunion“: www.cesifo-group.de

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