© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Eindimensionales Geschichtsbild
Hamburg: Eine Tagung der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft beschäftigt sich mit den Langzeitfolgen der Politischen Korrektheit
Werner Becker

Man habe sich „unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet“: Unter Rückgriff auf dieses Zitat des Philosophen Peter Sloterdijk hat der stellvertretende Vorsitzende der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (SWG), Manfred Backerra, am vergangenen Sonnabend gut 200 Besucher in Hamburg zu einem Seminartag begrüßt. Dabei stand der Einfluß der „Politischen Korrektheit“ auf unser Geschichtsbild, auf die Medien sowie die deutsche Rechtsprechung auf dem Programm.

Der Historiker Stefan Scheil zog in seinem faktenreichen Eingangsvortrag die historischen Linien aus. Schon unmittelbar nach der „Stunde Null“ 1945 hatten vor allem die Amerikaner damit begonnen, Einfluß auf die Geschichtsvermittlung in deutschen Schulbüchern zu nehmen. Auf der Liste der zu streichenden (positiven) Bezüge gehörte etwa die Schlacht im Teutoburger Wald. Weil sie sich auf das marxistische Geschichtsverständnis bezog, kam die DDR weitestgehend ohne die Rede von der „deutschen Schuld“ aus. Scheil verwies des weiteren auf einen grundlegenden Wandel oder besser: auf eine Verstümmelung der deutschen Nationalgeschichte, die sich gerade in der Ausklammerung des Mittelalters zeigt. Die Folgen sind durchaus zeitgeschichtlich-politisch: Wer die Ostkolonisation verschweigt, muß auch die Vertreibung und den Verlust der „Ostgebiete“ nicht erläutern.

In diesem gewünschten eindimensionalen Geschichtsbild repräsentiert „der Westen“ eine einzige politisch-ökonomische Erfolgsgeschichte, während seine früheren Kriegsgegner sozusagen historisch im Unrecht waren. Nahezu vollständig ausgeblendet wird mittlerweile der erhebliche deutsche Anteil an der Geschichte bürgerlicher Emanzipation, etwa mit dem Sachsenspiegel, der Reformation oder dem Idealismus.

Apropos bürgerlich: Karl Albrecht Schachtschneider, emeritierter Verfassungsrechtler, kam in seiner anspruchsvollen rechtstheoretischen Tour d‘ horizon zu einer alarmierenden Schlußfolgerung: ein politisch-korrektes Recht hindere den Bürger an seinem Bürgersein. Formen solcher Einflußnahme sieht er beispielsweise im aktuellen Urteil zur Sukzessivadoption für gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder im neuen Gesetz zur Beschneidung, das unvereinbar mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit sei. Schachtschneider forderte die Zuhörer auf, sich solchen Entwicklungen entgegenzustellen. „Denn jeder Widerspruch verhindert die Entstehung von Gewohnheitsrecht.“

Die Auswirkungen der „Political Correctness“ (PC) im Medienbetrieb beleuchtete Christian Vollradt, Redakteur dieser Zeitung. PC schränke die Meinungsvielfalt und -freiheit ein, wer gegen die Tabus verstößt, kann aus seinem sozialen Umfeld verbannt werden, seine berufliche Position verlieren, so seine anhand verschiedener Beispiele belegte Darstellung. Besonders negativ sei es, wenn Journalisten politisch korrekt Tatsachen entstellten, Fakten verheimlichten und dadurch – anstatt zu informieren – ihre Leser eher desinformierten.

www.swg-hamburg.de

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