© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Ein Rebell im Glauben
Dokumentation: Der Film „Marcel Lefebvre – Ein Erzbischof im Sturm“ folgt den Spuren des Gründers der Priesterbruderschaft St. Pius X.
Leonhard Lauterstein

An ihm scheiden sich die Geister. Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. am Donnerstag dieser Woche scheint eine abschließende Bewertung des vielschichtigen Phänomens der traditionstreuen Piusbruderschaft und ihres Gründers Marcel Lefebvre in ungewisse Ferne gerückt.

Wer war dieser Mann eigentlich? Ein unbeugsamer Kirchenrebell, der jedes Maß für Objektivität verloren hat, als er die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil einsetzenden Veränderungen wie die Liturgiereform als „Revolution in der Kirche“ empfand und diese zum Anlaß nahm, ein Priesterseminar im Sinne der katholischen Tradition zu gründen und sogar kraft seiner Autorität Bischöfe zu weihen, was ihn im Vatikan letztlich in Ungnade fallen ließ? Oder ein gütiger und stets liebenswürdiger Mann des Gebets, dem die Zukunft der Kirche und seiner Gläubigen so wichtig war, daß er persönliche Unbill auf sich nahm. Ohne dessen beharrlichen Einsatz der überlieferte katholische Glaube keine Überlebenschance gehabt hätte und ohne den der traditionelle Meßritus, wie er von Benedikt XVI. für den allgemeinen Gebrauch erst seit 2007 offiziell wieder zugelassen ist, längst ausgestorben wäre?

„Marcel Lefebvre – Ein Erzbischof im Sturm“, am vergangenen Samstag in mehreren Kinos in der Bundesrepublik gezeigt und nun auf DVD erhältlich, beruht auf der Biographie, deren Autor einst von Lefebvre zum Bischof geweiht worden war. Professionell produziert, kommt der Kinofilm im Stil einer Fernsehdokumentation daher. Historisches Filmmaterial wechselt sich mit den Berichten von Zeitgenossen Lefebvres ab, wobei es gelungen ist, seltene Szenen mit interessanten Interviewpartnern zutage zu fördern. In kurzen Einspielern erlebt man den Konzilsbeobachter und Dialogpartner mehrerer Päpste, Jean Guitton, ebenso wie den Schriftsteller Julien Green und Kardinal Ottaviani sowie zahlreiche weitere Zeitzeugen – Familienmitglieder, priesterliche Weggefährten und einfache Gläubige.

Der Film beginnt mit einem Paukenschlag – mit dem Zitat aus einer zeitgenössischen TV-Nachrichtensendung von 1988: „Erzbischof Lefebvre hat sich selbst exkommuniziert.“

Danach wird in chronologischer Reihenfolge von Lefebvres Aufwachsen in einer „heilen Welt“ in einer tiefreligiösen Umgebung erzählt – die Eltern haben acht Kinder, die fünf ältesten werden Priester oder schließen sich einem Orden an –, von seinem Eintritt ins konservative französische Priesterseminar in Rom, und schließlich von seiner Berufung zum Missionar. Zunächst in Gabun, dann in Dakar tätig, widmet er sich dreißig Jahre lang der erfolgreichen Evangelisierung weiter Teile afrikanischer Missionsgebiete, er baut Kirchen, Krankenhäuser, Schulen. Papst Pius XII. ernennt ihn zum Apostolischen Delegaten für die französischsprachigen Gebiete Afrikas und zum Erzbischof von Dakar. Lefebvre leitet vier Bischofskonferenzen auf dem Schwarzen Kontinent. 1962 wird er wieder nach Frankreich zurückbeordert und predigt dort gegen die in seiner Heimat – auch in der Kirche – Fuß fassenden modernistischen Trends.

Das Zweite Vatikanische Konzil erlebt Lefebvre als Bruch. Immer wieder setzt er es mit einer Metapher gleich: „Das ist die Französische Revolution!“ So etwa, wenn er auf die durch Konzilsdokumente beschlossene Religionsfreiheit sowie die Kollegialität der Bischöfe anspielt, womit für ihn die Revolutionsideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ vordergründig in die Tat umgesetzt worden sind.

1971 gründet er in Ecône im schweizerischen Wallis die Priesterbruderschaft St. Pius X., die nach einer Apostolischen Visitation 1975 offiziell aufgelöst wird. Lefebvre macht weiter, zu groß ist der Andrang auf sein Seminar, zu groß der Andrang der Gläubigen, die nach der „Tridentinischen Messe“ verlangen, die zu dieser Zeit nur noch er und seine Priester feiern, denn seit 1969 gibt es einen neuen Meßritus.

Das „Weltgebetstreffen für den Frieden“, ein interreligiöses Treffen von Geistlichen verschiedener Religionen, das 1986 erstmals in Assisi stattfindet, wird für ihn erneut zu einem Paradigmenwechsel. 1988 weiht er, aus Sorge um seine Nachfolge, vier Bischöfe, nachdem es in dieser Frage zu keiner Einigung mit Rom gekommen war. Er und die von ihm Geweihten werden zur Strafe exkommuniziert. Unter dem Eindruck von Verhandlungen, die der Vatikan seit einiger Zeit wieder führt, werden die Exkommunikationen 2009 von Papst Benedikt wieder aufgehoben.

1991 stirbt Lefebvre mit 85 Jahren und hinterläßt eine Bruderschaft mit fast 300 Priestern.

Die Dokumentation fesselt den Zuschauer mit einer eindrucksvollen Fülle an Informationen, trotz der manchmal unübersehbaren apologetischen Züge. Denn Erzbischof Lefebvre war nicht nur der milde Mann des Ausgleichs. In der Auseinandersetzung mit Rom beherrschte er sprachlich nicht nur das feine Florett, sondern auch den Säbel.

Der Film ist zweifellos geeignet, zur Beschäftigung sowohl mit Lefebvre und seiner Bewegung als auch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im allgemeinen anzuregen.

DVD: Marcel Lefebvre – Ein Erzbischof im Sturm. Sarto Verlag, Bobingen 2013, Laufzeit etwa 110 Minuten, 12 Euro

Foto: Erzbischof Marcel Lefebvre (1901–1991): Das II. Vaticanum erlebte er als Bruch mit der Tradition

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