© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Vom Nudelladen zur Weltspitze
Industriegiganten: Der Aufstieg von Samsung verdrängt die europäische und japanische Elektronik-Konkurrenz
Albrecht Rothacher

Vor 75 Jahren gründete der 28jährige Großgrundbesitzersohn Lee Byung-chull in der damals zum Japanischen Kaiserreich gehörenden Stadt Taikyu ein mittelständisches Handelsunternehmen namens Samsung, das eigene Nudeln herstellte und bald international tätig wurde. Noch bevor aus der Provinz Chosen die Republik Korea hervorging, verlegte Lee 1947 den Firmensitz nach Seoul, wo der Aufstieg trotz des Koreakrieges rasant weiterging.

Heute ist Samsung ein Industriekonglomerat, das mit 344.000 Mitarbeitern ein Fünftel der südkoreanischen Wirtschaftsleistung und des Außenhandels erbringt. Die 1969 gegründete Elektronik-Tochter sitzt mit 160 Milliarden Dollar Jahresumsatz auf einem Bargeldschatz von zehn Milliarden und entthronte bei Mobiltelefonen Nokia und Motorola, bei Smartphones Apple und bei Fernsehern Sony als Weltmarktführer. Das Samsung-Konglomerat (koreanisch: Chaebol) besteht aus 78 Einzelfirmen, die vom Schiffbau und der Schwerindustrie bis zu Küchengeräten, optischen Instrumenten und Halbleitern fast alles herstellen. Mit der Bauwirtschaft, Finanzgeschäften oder Touristik sind zudem jede Menge Dienstleistungen im Angebot.

Kontrolliert wird die Konzerngruppe über eine komplizierte Konstruktion von der Samsung-Holding Everland, die eigentlich nur Freizeitparks betreibt. Im Ergebnis beherrscht die Gründerfamilie weiter den Konzern, obwohl ausländische Investoren an Samsung Electronics längst die formale Aktienmehrheit besitzen. Die absolute Macht liegt bei Lee Kun-hee (71), dem jüngsten Sohn des 1987 verstorbenen Firmengründers. Formal ist der reichste Mann Koreas Konzernvorstand, er trifft alle wesentlichen Entscheidungen, obwohl er an Everland nur noch 3,7 Prozent besitzt.

Als Nachfolger hat er seinen Sohn Lee Jae-jong (41) aufgebaut, der vor zwei Jahren Konzernvize wurde und seit 20 Jahren bei Samsung Electronics ist. Lee junior schloß kürzlich eine Kooperation mit Li Ka-shing ab, dem Hongkonger Telefonmogul, der als reichster Chinese beim Mannesmann-Vodafone-Drama 2000 mitmischte und nun Samsungs Chancen im Duell mit Apple auf dem entscheidenden chinesischen Markt weiter verbessern dürfte. Thronfolger Lee hat wie sein Vater in Japan und den USA studiert. Die Entwicklung der Galaxy-Telefone, von denen pro Quartal 100 Millionen Stück verkauft werden, wird ihm zugeschrieben.

In Südkorea gibt es acht weitere solcher Konzerngruppen: Hyundai (Autos, Schwerindustrie), LG (Haushaltsgeräte, Chemie), Posco (Stahl), Hanjin (Luft- und Schiffahrt), Hanwa (Solarenergie, Chemie), SK (Energie, Telekom), Doosan (Kraftwerke, Bauwirtschaft), und das nach Goethes Werther benannte und 1948 in Tokio gegründete Chaebol Lotte (Nahrungsmittel, Kaufhäuser). Sie stellen zwei Drittel der Wirtschaftsleitung, 84 Prozent der Exporte und die Hälfte des Börsenwertes Südkoreas dar. Anders als in Deutschland gibt es kaum einen Mittelstand, fast alle Innovationen werden von den Chaebol-Ingenieuren gemacht, von den Firmenpatriarchen entschieden und dann mit aller Macht durchgesetzt. Nicht immer gelingt alles. So ging 1999 der erst 1967 gegründete überaggressive Daewoo-Konzern mit 80 Milliarden Dollar Schulden pleite.

Mit einem Durchschnittseinkommen von 30.000 Dollar im Jahr ist Südkorea kein Armenhaus, aber angesichts der hohen Importbarrieren und Preise, die die Chaebol auf dem Binnenmarkt schützen, glauben viele Koreaner, daß die Auslandsgewinne nicht ihnen, sondern nur reichen Konzernfamilien zugute kommen. So überschlagen sich Politiker in Anti-Chaebol-Rhetorik, doch wenn wirklich gegen die Bosse wegen Steuerbetrug oder Korruption vorgegangen wird, sind sie milder Richter gewiss: So amnestierte der scheidende Präsident Lee Myung-bak, der einst bei Hyundai gewesen war, zahlreiche Wirtschaftsführer.

Die Chaebol wurden immer staatlich gefördert, vor allem von Militärdiktator Park Chung-hee. Der General war bis 1945 unter dem Namen Takaki Masao japanischer Offizier gewesen. Der Absolvent der Tokioter Heereshochschule nahm sich die japanische Industriepolitik mit ihren verflochtenen „Keiretsu“-Konzerngruppen zum Vorbild. Der Erfolg gab ihm recht – und seine Tochter, Park Geun-hye, trat am Montag ihr Amt als Präsidentin Südkoreas an. Ihr „mitfühlender Konservatismus“ wird an der Chaebol-Macht sicher nicht viel ändern.

Als Park 1961 putschte, war Samsung-Chef Lee gerade in Japan – und in seiner Heimat drohte ihm Ungemach. Aber man verständigte sich, und der Aufstieg von Samsung ging weiter. Doch auch nach dem Tod des Gründers 1987 deutete noch nichts auf die künftige Weltrolle Samsungs hin, da die meisten Produkte nur aufgrund niedriger Löhne und überlanger Arbeitszeiten wettbewerbsfähig waren. Lee ließ die Dinge weiter treiben, bis er 1993 seinen verdutzten Angestellten eine Radikalkur verordnete: Sie sollten alles ändern, außer Frau und Kindern. Produkte mit niedriger Wertschöpfung wie Textilien und Radios wurden eingestellt. Kosten, Qualität und Design standen plötzlich im Mittelpunkt. Sony wurde das Vorbild für Samsung Electronics. In Schaukästen wurde das eigene Billig- dem edlen Japan-Produkt gegenübergestellt. Milliarden flossen in Werbung und Sponsoring. Lee befahl eine Fünftagewoche, einen frühen Arbeitsbeginn und ein Arbeitsende um 16 Uhr. Die allabendlichen Kollegen-Zechgelage wurden verboten.

In der Asienkrise 1997 ließ Lee Verlustbringer schließen, 40 Prozent der Mitarbeiter wurden entlassen, die Managementstruktur wurde verschlankt und Schulden abbezahlt. Technologisch folgt Samsung, so wie früher die AEG oder Matsushita (Panasonic), der Devise, andere die Forschung betreiben zu lassen und dann blitzartig mit verbesserten Versionen auf den Markt zu kommen. Samsung nutzte den Wechsel zur Digitaltechnologie, um sich von japanischer Technik aus zweiter Hand unabhängig zu machen. Dabei deckt Samsung die gesamte Breite von Speicherchips bis Großbildschirmen ab. So steht Samsung zyklische Preis- und Absatzkrisen leichter durch, während Wettbewerber wie Siemens die Nerven verlieren. Die Produktionskosten werden niedrig gehalten (vieles ist längst „Made in China“), um bei Krisen länger profitabel zu bleiben. Im Aufschwung werden Profite maximiert, und nicht wie in Japan Marktanteile.

Der chinesische Markt, in den ein Viertel der südkoreanischen Exporte geht, spielt eine Hauptrolle: Samsung ist dort schneller mit preisgünstigen Neuentwicklungen präsent, während andere ausländische Wettbewerber dort Ladenhüter billig losschlagen und so ihren Firmennamen schädigen. Gleichzeitig verlangt der Wettbewerb mit China eine Positionierung bei höherpreisigen Produkten. Ein Großteil der Gewinne wird in neue Fertigungsanlagen und die Produktentwicklung reinvestiert – unabhängig davon, ob dies ausländischen Miteigentümern und ihren Fondsmanagern gefällt oder nicht.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Asienexperte. Sein Buch über „Demokratie und Herrschaft in Japan – Ein Machtkartell im Umbruch“ erschien 2010 im Iudicium-Verlag.

 

Machtwechsel im Elektronikmarkt

Als Weltmarktführer bei Fernsehern, Videokameras, Smartphones, Flüssigkristallbildschirmen und Speicherchips liegt Samsung derzeit am besten im Rennen: Der aktuell erwartete Jahresgewinn von Samsung Electronics liegt bei 3,4 Milliarden Euro. Davon werden gerade einmal sechs Prozent als Dividende verteilt. Deutsche Firmen spielen in der Unterhaltungselektronik seit der Grundig-Pleite 2003 und dem Siemens-Ausstieg bei Mobiltelefonen 2005 nur noch eine Nebenrolle. Der finnische Nokia-Konzern sucht Rettung beim US-Giganten Microsoft, Philips aus den Niederlanden übergab 2012 seine kriselnde TV-Sparte an den Hongkonger Elektronikhersteller TPV. Japanische Flaggschiffe wie Sony oder Panasonic fahren Milliardenverluste ein, Sharp kämpft sogar um seine Existenz. In den USA glänzt allein Apple mit iPhone und iPad – einstige Branchenriesen wie Dell und HP kriseln. Und IBM verkaufte seine PC-Sparte schon 2004 an den derzeitigen Weltmarktfüher Lenovo. 2011 ging auch die Computersparte des japanischen NEC-Konzerns an den chinesischen Lenovo-Konzern.

Foto: Samsung-Werbung: Gewinne werden reinvestiert – egal ob dies ausländischen Miteigentümern und Fondsmanagern gefällt oder nicht

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