© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

„Wir müssen raus aus dem Internet“
Identitäre: Mit ungewöhnlichen Aktionsformen sorgt eine neue „rechte“ Jugendbewegung europaweit für Aufsehen
Henning Hoffgaard

Wir wollten irgendwann nicht mehr nur lesen, sondern auch handeln“, sagt Alexander Markovics. Gesagt, getan. Anfang Februar besetzte Markovics zusammen mit einigen anderen Mitgliedern der Identitären Bewegung Österreichs die von protestierenden Asylbewerbern in Beschlag genommene Wiener Votivkirche. „Besetzung der Besetzung“, nannten sie das. Kurz darauf sind die österreichischen Medien voll. Von „rechten Aktivisten“ ist die Rede, Wiens Kulturstadtrat veröffentlicht eine empörte Pressemitteilung, und die üblichen „Rechtsextremismus-Experten“ melden sich aufgeregt zu Wort. Ein paar Stunden dauerte die Aktion in der Kirche. Flugblätter wurden verteilt, dann setzte man sich ins Kirchenschiff.

Noch während die Besetzung läuft, nehmen die knapp zehn Identitären ein „Bekennervideo“ auf und persiflieren die Forderungen der Asylanten. „Wir wollten einfach ein Signal setzen“, sagt Markovics. Als erster Gruppe sei ihnen das gelungen. „95 Prozent der Reaktionen von den normalen Leuten waren positiv.“ Die Identitären sorgen seit einigen Monaten für Aufregung. Besonders in Frankreich. Dort besetzten mehrere Dutzend Mitglieder der Bewegung im vergangenen Jahr eine Moschee in Poitiers, um gegen die Überfremdung ihres Landes zu demonstrieren. Die Identitären wollen, kurz gesagt, die eigene Identität gegen den Zeitgeist, Islamisierung und Kulturrelativismus verteidigen. Auch in Deutschland gewinnt die Bewegung weitere Anhänger.

Nils ist einer von ihnen. Ein ganz normaler Jugendlicher. Er ärgert sich über Lehrer, manchmal auch über seine Eltern und überlegt, was er nach dem Abitur machen soll. Jeans, Mütze und lockerer Pulli. Der 18jährige fällt unter seinen Mitschülern wahrscheinlich gar nicht auf. Und doch gibt es da einen kleinen Unterschied zu seinen Altersgenossen: das Symbol auf seinem Pullover. Der griechische Buchstabe Lambda, umgeben von einem gelben Kreis. Schon die Spartaner sollen es bei ihrem Kampf gegen die Perser getragen haben. Heute ist es das Zeichen der Identitären Bewegung. Besonders die Frage „Wie kann man in Deutschland etwas ändern?“ treibt den 18jährigen um. Nun hat er die Antwort für sich gefunden. Mit den etablierten Parteien geht das nicht, sagt er nachdenklich. Als er dann im Internet das Video „Die Kriegserklärung der Identitären Generation“ sieht, besteht für ihn kein Zweifel mehr: „Da muß ich mitmachen.“ Es bricht nur so aus dem 18jährigen heraus. Die Augen seien ihm geöffnet worden, sagt er enthusiastisch. „Dieses Gefühl. Es sprach mir einfach aus der Seele.“

In dem knapp zweieinhalb Minuten langen Schwarzweißfilm sprechen junge Franzosen, untermalt mit hymnischer Musik, über die Entfremdung ihrer Heimat. Es ist nicht mehr ihr Frankreich. „Wir haben entdeckt, daß wir Wurzeln und Vorfahren haben“, sagt eine Frau. Jetzt dürfe nicht aufgegeben werden. Die alte Generation muß abtreten, heißt es. Nils lehnt sich etwas zurück und lächelt: „Es ist genau das, was ich denke.“ Eine Flucht ins Private und ins Unpolitische, wie es viele seiner Mitschüler machen, komme für ihn nicht in Frage.

Ihren Ursprung hat die Jugendbewegung im 2003 in Frankreich gegründeten „Bloc Identitaire“ (siehe Seite 3). Der wollte zu Beginn vor allem auf die Islamisierung der Gesellschaft aufmerksam machen, ist jedoch mit der Zeit zu einer Vordenkerorganisation für andere europäische Gruppen geworden. Aus ihm ging auch die „Génération Identitaire“ hervor, die sich in den vergangenen Wochen auch nach Italien, Deutschland, Großbritannien, Österreich und sogar bis nach Rußland ausgebreitet hat. In Frankreich sind es mittlerweile einige tausend Anhänger. Zum letzten Kongreß in Orange kamen 500 Gäste aus ganz Europa.

In Deutschland stecken die Identitären noch in den Kinderschuhen und sind vor allem im Internet präsent. Auf Facebook hat die „Identitäre Bewegung Deutschland“ knapp 3.000 Sympathisanten. Zum harten Kern, der auch außerhalb des Internets aktiv wird, zählen wohl 50 bis 80 Personen. Auch Lars (Name von der Redaktion geändert), Leiter der Berliner Gruppe, ist über das Internet auf die Bewegung gestoßen. Zuerst nimmt er an einigen formlosen Treffen teil, dann will er intensiver mitarbeiten und organisieren. Nur, wofür stehen die Identitären?

„Wir grenzen uns eindeutig von allen Ideologien des 20. Jahrhunderts ab. Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus. Damit wollen wir nichts zu tun haben.“ Jede Ethnie habe ihre eigene Identität, die es zu bewahren gelte. Mit Grenzen und Nationen habe das wenig zu tun, ist er sich sicher. „Kultur, Sprache, Religion und Sitten“, darum gehe es. Zwar gebe es auch in Deutschland unterschiedliche regionale Identitäten bei Bayern, Westfalen oder Friesen, die Gemeinsamkeiten überwögen jedoch. Diese übergeordnete Identität will der Berliner Identitären-Chef bewahren. Dabei könnten natürlich auch Einwanderer mitmachen, sofern ihnen etwas an der deutschen Identität liegt. Auch Moslems. „Wir unterscheiden schon zwischen Islamisierung, die wir ablehnen, und dem Islam.“ Wichtig ist ihm, daß die Jugendbewegung überparteilich und überkonfessionell bleibt.

Zur islamkritischen „German Defence League“ soll genauso Distanz gehalten werden wie zur NPD. Deren Anhänger versuchen gezielt, in die Bewegung einzusickern. Lars achtet genau darauf, daß sich unter den Neuinteressenten keine Anhänger von „extremistischen Gruppen“ befinden. Wer dabeisein will, muß sich mit den Zielen der Identitären identifizieren.

Ortsgruppen, die die Voraussetzungen erfüllen, werden auf der zentralen Internetseite eingetragen. Dort finden sich auch zahlreiche Flugblätter, Aufkleber und natürlich ein Programm. „Das Ziel der Identitären Bewegung ist die totale Umwälzung und Auslüftung dieser stickigen, giftigen Atmosphäre. Wir wollen eine kulturell-geistige Revolution, die Werte wie Tradition, Heimat, Familie, Kultur, Volk, Staat, Ordnung, Schönheit und vieles mehr wieder zu positiven, erstrebenswerten Begriffen, statt zum Gegenstand für das Kabarett und die PC-Inquisitoren macht.“ Auf dem bekanntesten Flugblatt steht „100 Prozent Identität, 0 Prozent Rassismus“. In der Form greift man ganz gezielt Elemente der Popkultur auf. Bunte Collagen, freche Videos, coole Sprüche. „Damit wollen wir vor allem unpolitische Jugendliche gewinnen“, sagt Lars. In Berlin gab es bisher einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt: Ende Dezember versammelten sich 14 Mitglieder mit Fahnen und Schilden vor dem Brandenburger Tor und forderten ein „Ende der multikulturalistischen Ideologie und eine neue Vision für Europas Völker“. Bei den Linken heißt so etwas „Flashmob“.

Mittlerweile macht bei den Berlinern sogar ein Amerikaner mit. Chris (Name von der Redaktion geändert) hat einige Zeit in Deutschland studiert und sich bereits mit 16 Jahren für deutsche Literatur interessiert. Bei den Linken fühlte er sich nie wohl. „Konservative sind einfach ehrlicher“, erzählt er. „Die sagen einem, was ihnen an den USA nicht gefällt und dann ist gut.“ Es sei wichtig, daß die Deutschen ihre Kultur wieder schätzten. Um festere Strukturen zu etablieren, soll demnächst ein Verein gegründet werden. Mit Satzung und allem, was dazugehört. „Die Deutschen sind eben Vereinsmeier“, scherzt Lars schulterzuckend.

Organisiert sind die Identitären in Deutschland vor allem in derzeit 34 regionalen Gruppen. Zwar besteht eine schwache hierarchische Struktur, die sich auf einem Vernetzungstreffen Anfang Dezember vergangenen Jahres in Frankfurt herausgebildet hat, dennoch sind es vor allem Basisgruppen, die Aktionen planen und durchführen. „Ein Austausch findet natürlich trotzdem statt“, bekräftigt Lars. „Basisdemokratie ist uns wichtig.“

Weniger Spaß bereitet ihm derzeit vor allem die Medienberichterstattung. Dort werden die Identitären als „rechtsextreme Gruppierung“ bezeichnet. Mitglieder kommen nicht zu Wort. Auch einige Verfassungsschutzbehörden haben sich bereits eingeschaltet. „Im Auge“ wolle man die Bewegung behalten, ließ etwa die Bremer Zweigstelle mitteilen. An harten Fakten mangelt es den Verfassungsschützern allerdings. „Mutmaßlich“, „angeblich“, „soll“ und „vielleicht“. Auch linke Gruppen und Politiker machen mobil und fordern Facebook-Nutzer dazu auf, die Seiten der Identitären zu „melden“. Aus dem Konzept wollen die sich dadurch nicht bringen lassen. Nun sollen erst einmal die Kontakte untereinander und zu den Österreichern verbessert werden.

Hier haben sich die Identitären bereits im vergangenen Jahr etabliert. Während es in Deutschland an einem agilen konservativen Großmilieu mangelt und vor allem unpolitische Jugendliche umworben werden, kann der österreichische Ableger auf eine größere Gruppe bereits politisierter Studenten und Schüler zurückgreifen.

Angefangen hatte alles mit Lesezirkeln und lockeren Gesprächsrunden an Universitäten, erzählt Markovics, Sprecher der Wiener Identitären. Dabei sei man schließlich auf den Publizisten Alain de Benoist gestoßen. Obwohl es in Österreich mit der FPÖ eine starke rechte Partei im Parlament – samt politischen Vorfeldorganisationen – gibt, spricht der Wiener von „einem brachliegenden Unruhepotential“, das von der Partei nicht genutzt werde. In diese Lücke wollen die Identitären stoßen. Auch eine „kurzfristige Kooperation“ ist denkbar, sagt Markovics und betont dabei das Wort „kurzfristig“. Die FPÖ hält sich dagegen noch bedeckt und will offenbar die weitere Entwicklung der Identitären abwarten.

Grundsätzlich geht es um die „Eroberung der politischen und kulturellen Hegemonie“, macht Markovics deutlich. Dazu soll es schon bald eine „Aktionswoche der Identität“ geben. Den Deutschen gibt der Wiener auf den Weg, sich nicht mehr nur auf das Internet zu konzentrieren, damit es auch in der Bundesrepublik ein „Erweckungserlebnis“ wie die Kirchenbesetzung gibt.

Die Botschaft ist auch in Berlin angekommen. „Wir müssen weg von Facebook“, sagt Lars. „Wir brauchen Aktionen, um die Leute zu emotionalisieren.“ Dann bestehe die Chance, zu einem wirklichen „Massenphänomen“ zu werden. Auch Nils will auf jeden Fall weitermachen. „Wir sind die Guten“, sagt er zum Abschluß. Jetzt will er allerdings erst einmal die Biologie-Klausur schaffen. „Dann geht es weiter.“

Video: „Kriegserklärung“ der Identitären. QR-Code für Smartphone (mit entsprechender App scannen).

 

Identitäre Bewegung

Die Identitäre Bewegung geht auf den 2003 in Frankreich gegründeten „Bloc Identitaire“ zurück. Die Gruppe setzt sich für die Bewahrung der eigenen Identität ein und verfolgt das Konzept des „Ethnopluralismus“. Nach einigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben sich auch in Deutschland, Österreich, Italien und Rußland Ableger der „Génération Identitaire“ gegründet. Im deutschsprachigen Raum ist die Identitäre Bewegung bisher vor allem in den sozialen Netzwerken aktiv und hat einige tausend Sympathisanten. In den Kernpunkten des Programms lehnen die Identitären Islamisierung und Massenzuwanderung ab. Sie sprechen sich gegen Rassismus und für mehr direkte Demokratie aus. Ziel ist langfristig die Schaffung einer europäischen Bewegung. In Deutschland und Österreich sollen sich demnächst Vereine gründen, um eine feste Organisationsstruktur zu schaffen. Während in der Bundesrepublik vor allem unpolitische Jugendliche angesprochen werden sollen, wenden sich die österreichischen Identitären an das von der FPÖ bereits politisierte Milieu.

 

Chronik:

6. April 2003: In Frankreich gründet sich der „Bloc Identitaire“.

November 2009: Gründung der „Autre Jeunesse“.

März 2012: In Österreich bildet sich die Identitäre Bewegung Wiens.

September 2012: Konstituierung der „Génération Identitaire“.

9. Oktober 2012: Video der „Kriegserklärung“ der „Génération Identitaire“. Der Film erreicht schnell eine hohe Popularität.

20. Oktober 2012: In Frankreich besetzen Dutzende Identitäre eine Moschee in Poitiers.

3. und 4. November 2012: Kongreß der Identitären im französischen Orange.

1. Dezember 2012: Erstes Treffen der Identitären Bewegung Deutschlands in Frankfurt am Main.

21. Dezember 2102: Aktion vor dem Brandenburger Tor (Bild links).

10. Februar 2012: Besetzung der von Asylbewerbern besetzten Wiener Votivkirche.

Foto: Symbol der Identitären: Überparteilich und auf Distanz zur extremen Rechten

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