© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Abschied vom Schleppnetz
Marcus Schmidt

Die Aufgabe von Nachrichtendiensten ist es, möglichst viele Informationen zu sammeln. Doch die besten Erkenntnisse sind wertlos, wenn sie nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt und schließlich an andere Behörden weitergeleitet werden.

Die bisherige Aufklärung möglicher Verfehlungen der Behörden im Zusammenhang mit der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Mordserie hat hier eklatante Mängel zutage gefördert. So haben die Verfassungsschützer in Bund und Ländern teilweise wahllos Informationen gesammelt, diese dann aber nur lückenhaft ausgewertet und – was sich als verhängnisvoll erwies – teilweise nur unvollständig oder überhaupt nicht an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Nun hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, den Startschuß für eine Reform gegeben, mit der diese Fehler im System korrigiert werden sollen. Im Bundesamt will man sich auf das Wesentliche konzentrieren: Künftig wollen die Verfassungsschützer bei ihrer Arbeit vor allem „gewaltorientierte Bestrebungen und Personen“ in den Blick nehmen. Im Klartext bedeutet das: Die 2.800 Mitarbeiter des Bundesamtes sollen weniger Gesinnungsschnüffelei in Hinterzimmerzirkeln betreiben als sich vielmehr um die wirklich gefährlichen weil gewaltbereiten Personen kümmern.

Gleichzeitig wird mit dem bisherigen Prinzip gebrochen, die Beschaffung und die Auswertung von Informationen strikt voneinander zu trennen. Das Konzept sieht nun eine „engere Verzahnung“ vor mit dem Ziel einer verbesserten Informationsgewinnung und -aufbereitung, „die auch den Strafverfolgungsbehörden zugute kommen soll“. Damit reagiert der Verfassungsschutz direkt auf Erkenntnisse, daß vor allem in Thüringen viele wichtige Informationen über die untergetauchten NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die womöglich zu deren Ergreifung hätten führen können, vom Verfassungsschutz nicht an die Polizei weitergeleitet wurden.

Überhaupt soll es künftig mit der Zusammenarbeit mit den anderen Sicherheitsbehörden besser klappen. Das Reformkonzept verweist dabei auf das bereits im November eingerichtete Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, in dem Bundes- und Landesbehörden zusammenarbeiten. Zudem sollen die parlamentarischen Kontrollgremien, die für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständig sind, künftig „proaktiv“ unterrichtet werden.

Der Opposition gehen die Reformen nicht weit genug. „Die angestoßenen Änderungen waren überfällig. Sie sind nur ein erster notwendiger Schritt“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, den Kieler Nachrichten. Er lobte indes das Umdenken beim Verfassungsschutz hin zu klareren Regeln und mehr parlamentarischer Kontrolle: „Die Zeiten, in denen im Verborgenen ziellos mit dem großen Schleppnetz gefischt wurde, sind hoffentlich vorbei“, sagte Hartmann.

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