© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Er wäre gern Stalin gewesen
Randexistenz: Eine Biographie des russischen Schriftstellers und Politikers Eduard Limonow
Karlheinz Weissmann

Um wen geht es? Das werden sich viele deutsche Leser fragen, wenn sie das Buch des französischen Autors Emmanuel Carrère über den russischen Schriftsteller und Politaktivisten Eduard Limonow in die Hand bekommen. Vor einigen Jahren wäre die Zahl der Ahnungslosen vielleicht kleiner gewesen. Denn Limonows Bestseller „Fuck off, Amerika“ führte auch in Deutschland zu Debatten. Die meisten Vorwürfe an die Adresse der USA und der globalen Coca-Kolonisierung kannte man schon, nur die Drastik der Sprache war neu. Die Person des Autors interessierte dabei kaum. Man wußte, daß Limonow Russe war, aufgrund seiner Ausreise im Jahr 1974 galt er als Dissident, und nun als einer, der – wie Solschenizyn oder Sinowjew – seine Undankbarkeit und seine Verachtung gegenüber dem Land zum Ausdruck brachte, das ihm Asyl gewährte.

Allerdings beruhte die Einschätzung, daß Limonow zur Dissidenz gehörte, auf einem Mißverständnis. Er hatte keine politischen, weltanschaulichen oder religiösen Gründe, die Sowjetunion zu verlassen, sondern persönliche: das kommunistische System versagte ihm die Anerkennung als Künstler und – schlimmer noch – jede Möglichkeit effektiver Selbstdarstellung.

1943 als Sohn eines kleinen KGB-Offiziers geboren, war Limonow im Geist der Kritiklosigkeit und absoluten Loyalität gegenüber dem Regime aufgewachsen. Daß er den klar vorgezeichneten Weg verließ, hatte mit einer gewissen Deklassierung seiner Eltern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und einem ursprünglich ziellosen Eigensinn zu tun. Der hätte durchaus in einer Verbrecherkarriere enden können. Aber stattdessen geriet Limonow in die sowjetische Boheme, eine teils oppositionelle, teils angepaßte, teils verfolgte, teils geduldete Gruppe von Dichtern, Komponisten, Bildhauern, Malern und Tagedieben, die unter erbärmlichen Umständen ihr Leben fristete. Er machte erste literarische Gehversuche, die aber wenig Resonanz fanden, und beantragte schließlich mit einunddreißig Jahren seine Ausreise, in der Annahme, daß Amerika die geeignetere Bühne für seine Ambitionen bieten werde.

Man könnte lapidar feststellen, daß auch das nur eine jener Fehleinschätzungen war, denen Limonow regelmäßig zum Opfer fiel. Aber so einfach ist es nicht, und der Gerechtigkeit halber sei gesagt, daß ihn weder Geld noch Freiheit noch Demokratie interessierten. Was ihn antrieb, war eine Mischung aus Egomanie und Informationsmangel. Das genügte aber zur Lebensbewältigung kaum, und das neue Land bot einem Mann ohne Ausbildung, ohne hinreichende Sprachkenntnis, ohne Verbindungen nur sehr begrenzte Möglichkeiten.

Limonow setzte also seine Randexistenz auf amerikanischem Boden fort, führte in den nächsten Jahren ein an Bizarrerien reiches Leben, dessen Details (vor allem die sexuellen) Carrère genußvoll schildert. Interessant ist dabei nur, daß Limonow trotz seiner bleibenden Erfolglosigkeit ein Überlegenheitsgefühl kultivierte, dessen Kern seine sehr extravagante Auffassung des Stalinismus bildete. Aus seinem Blickwinkel war der Stalinismus weniger Goldenes Zeitalter oder nationales Projekt oder konsequenteste Form des Totalitarismus, sondern eine extreme Form von Selbstverwirklichung. Limonow wäre gern Stalin gewesen.

Das genügt zusammen mit der Menge an Enttäuschungen, um den pathologischen Haß Limonows auf sein Exil zu erklären (der ihm in Gestalt des autobiographischen „Fuck off“ endlich den ersehnten schriftstellerischen Erfolg brachte), und dann die Reihe der folgenden Entscheidungen, die er nach dem Zusammenbruch des Kommunismus traf: für die Rückkehr in die Sowjetunion und gegen den Verbleib in Paris, wo er zwischenzeitlich gelandet war, für die alte Ordnung und gegen Gorbatschow, für die Solidarität mit dem slawischen „Brudervolk“ der Serben und gegen den Westen, für den Nationalbolschewismus und gegen alles, was irgendwie liberal erschien.

Während sich für seine literarische Produktion kaum noch jemand interessierte und die Teilnahme am Bürgerkrieg auf dem Balkan selbst diejenigen verstörte, die sonst jede seiner Eskapaden gutgeheißen hatten, geriet Limonow 1995 im Zusammenhang mit der Gründung seiner Nationalbolschewistischen Partei noch einmal in die Berichterstattung der internationalen Presse. Dabei wurde das Spiel mit stalinistischen, aber auch faschistischen oder nationalsozialistischen Chiffren prompt wesentlich weniger tolerant aufgenommen als unflätige Äußerungen über Amerika. Immerhin paßte der „Nazbol“ Limonow gut in das neue Rußlandbild der tonangebenden Medien, die das eigene Versagen in der Ära vor 1989 auch vergessen machen wollten, indem sie Kommunismus und Faschismus identifizierten (was vorher strikt verboten war) und der „rot-braunen Gefahr“ das leuchtende Bild eigener Zivilisiertheit entgegenstellten. Limonow erschien jetzt als der Gottseibeiuns, taugte allerdings wegen der notorischen Erfolglosigkeit seiner Bewegung, der sich vor allem jugendliche Desperados anschlossen, nur für ein angenehmes Gruseln. Nicht einmal das innenpolitische Chaos der Ära Jelzin bot die Möglichkeit einer nationalbolschewistischen Machtergreifung.

Limonow wäre gern Lenin gewesen. Aber auch dazu hatte er nicht das Zeug. Es bleibt wenig mehr als diese Feststellung. Denn trotz seiner zwischenzeitlichen Verhaftung und Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen Bildung einer bewaffneten Organisation, der massiven Unterdrückung der Nationalbolschewisten durch das System Putin – die Partei wurde 2005 verboten – und der wenigstens zeitweiligen Zusammenarbeit mit anderen Kräften der Opposition steht zuletzt nur das Bild eines gealterten, wenn auch drahtigen Mannes vor Augen, der das Pathos der Entschlossenheit liebt, sich aber im Zweifel treiben läßt, der einer merkwürdigen Leidenschaft für andere (vor allem Frauen) oder Ideen fähig ist, aber dann doch nur Interesse an der eigenen Person nimmt, der kein Mittel als den Skandal gefunden hat, um auf sich aufmerksam zu machen, und der auch nach eigener Einschätzung mit allem scheitert, was er anstrebt.

Lohnt sich also ein Buch über Limonow? Nicht, wenn man hofft, hier das Leben eines bedeutenden oder doch außerordentlichen Charakters vorgeführt zu bekommen. Aber doch, wenn man sich für das „Rätsel Rußland“ interessiert, dessen Vorhandensein eben nicht hinreichend erklärbar ist durch die Devastation, die der Kommunismus bedeutete, sondern auch zu tun hat mit einer Tiefenschicht, auf die man in der Beschäftigung mit Außenseitern wie Limonow stößt, irritierende, faszinierende und abstoßende Menschen, vor allem abstoßende.

Emmanuel Carrère: Limonow. Matthes & Seitz, Berlin 2012, gebunden, 414 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Eduard Limonow während einer Konferenz zur Historie der Linken in Sankt Petersburg: Vier Jahre Haft wegen Bildung einer bewaffneten Organisation

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