© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Pankraz,
Giovanni Pico und die Menschenwürde

Vor 550 Jahren, am 24. Februar 1463, wurde Pico della Mirandola geboren, „der jugendliche Komet der Renaissance“ (Jacob Burckhardt), der im Jahre 1486 dem Vatikan in Rom seine Rede „Über die Würde des Menschen“ vorlegte und darüber beinahe auf den Scheiterhaufen gekommen wäre. Wahrscheinlich hätte Pankraz nicht über ihn geschrieben, hätte etwas „Aktuelleres“ bevorzugt, aber der Rücktritt des Papstes und die sich daran anschließenden Diskussionen haben die „Affäre Pico“ irgendwie aktuell gemacht. Es lohnt sich, sich etwas ausführlicher an sie zu erinnern.

Giovanni Pico war ein Grafensohn aus Mirandola, einem Nest in der Emilia nahe Modena, das voriges Jahr bei dem großen Erdbeben schwer getroffen wurde. Giovanni studierte schon mit vierzehn Jahren eifrig Theologie und Philosophie in Bologna und Padua und fand durch die Vermittling des großen Ficinus bald Aufnahme in den Gelehrtenkreis Lorenzos des Prächtigen in Florenz. Sein Gedächtnis, seine Formulierkraft und sein Lerneifer waren phänomenal und erregten höchste Bewunderung. Das Porträt von ihm in den Uffizien zeigt einen schönen Jüngling, dem die Unternehmungslust buchstäblich aus den Augen funkelt.

Mit Anfang Zwanzig machte er sich auf den Weg zum Papst nach Rom, um ihm allen Ernstes die Einberufung eines „Weltkongresses über Wissen und Glaube“ vorzuschlagen, der in aller Öffentlichkeit stattfinden sollte. Unterwegs freilich verliebte er sich in eine verheiratete Frau, floh mit ihr vor dem Ehemann. Dieser jedoch verfolgte das Pärchen, es kam zum Degenkampf, die Frau wurde zurückgebracht, Pico erlitt schlimme Verletzungen und mußte sich monatelang verstecken. Einzig der Einspruch Lorenzos des Prächtigen schützte ihn vor der Verhaftung und ermöglichte ihm schließlich die Weiterreise.

In Rom angekommen, trug Pico Papst Innozenz VIII. sein Anliegen vor und legte ihm den Text der Eröffnungsrede vor, welche er dabei halten wollte. Innozenz aber verhärtete sich und hätte den jungen Spund am liebsten gleich der Inquisition übergeben. Eine sechzehnköpfige Kommission wurde gebildet, die Picos Thesen auf ihre „Rechtgläubigkeit“ prüfen sollte. Pico war nicht bereit, vor der Kommission zu erscheinen, und deren Urteil fiel gegen ihn aus. Der Papst erließ eine Bulle gegen ihn, und Pico floh zurück nach Florenz unter die mächtigen Fittiche der Medicis.

Seine Eröffnungsrede „Über die Würde des Menschen“ („De hominis dignitate“) erschien aber auch dort nicht, geisterte lediglich als Schloßgespenst im Kreis der Renaissance-Gelehrten umher, bis sie endlich (nach dem frühen Tod von Pico 1494 und nachdem ein neuer Papst, Alexander VI., alle von seinem Vorgänger gegen Pico verhängten Maßnahmen rückgängig gemacht hatte) gedruckt werden konnte. Der Eindruck war gewaltig und hat die Glaubens- und Wissenschaftsgesschichte des Abendlands entscheidend geprägt. Jacob Burckhardt nannte sie eines der edelsten Vermächtnisse der menschlichen Kulturgeschichte überhaupt.

Von den neueren Interpreten gefällt Pankraz vor allem Heinrich Reinhardt mit seinem Buch „Freiheit zu Gott“ von 1989. Eine ingeniöse deutsche Übersetzung lieferte 1968 Eugenio Garin. Den heutigen Leser erstaunt von Anfang an der „moderne“ anthropologische Ton, der in der Rede von A bis Z waltet. Pico wirft zunächst einen Blick auf die „niederen Lebewesen“ (Pflanzen und Tiere), die er originellerweise mit den „Engeln“ in eine Reihe stellt. Sowohl Tiere und Pflanzen wie Engel seien in ihren Charakterzügen und Bestimmungen vom Schöpfer festgelegt, einzig dem Menschen habe Gott Freiheit verliehen. „Daher ist der Mensch ein Werk von unbestimmter Gestalt.“

Alle übrigen Geschöpfe sind von Natur aus mit Eigenschaften ausgestattet, die ihr mögliches Verhalten auf einen bestimmten Rahmen begrenzen. Der Mensch hingegen ist „frei in die Mitte der Welt gestellt, damit er sich dort umschauen, alles Vorhandene erkunden und dann seine Wahl treffen kann“. Damit wird er auch zu seinem eigenen Gestalter, der nach seinem freien Willen selbst entscheidet, wie und wo er sein will. „Insofern ist er das leibhaftige Abbild Gottes“, und eben dies sei das Wunderbare seiner Natur und seine Würde, derer er ständig eingedenk bleiben müsse.

Der Mensch, fährt Pico fort, ist weder himmlisch noch irdisch. Er kann gemäß seiner Entscheidung zum Tier entarten oder pflanzenartig vegetieren, er kann aber auch seine Vernunftanlage so entwickeln, daß er „engelartig“ wird. Ihm am angemessensten ist indes, sich in das „Innerste seiner Einheit“ zurückzuziehen, wo er sich „in der abgeschiedenen Dunkelheit des Vaters“ mit der Gottheit wahrhaft vereint. Der Weg dorthin führt aber notwendig über die Wissenschaft, die den Geist „reinigt“, und über die Naturphilosophie, die ihn „erleuchtet“. Einen bieder-spontanen Zugang zum Höchsten gibt es nicht.

Jacob Burckhardt hat Picos Würderede als Manifest einer für die Renaissance typischen stolzen Selbstverherrlichung des Menschen gedeutet, welcher sich zum absoluten Herrn seines Schicksals gemacht habe. Bei Pico selbst geht’s interessanterweise einige Nummern kleiner. Er vergleicht den wahrhaft würdigen Menschen keineswegs mit Gott, sondern – mit einem Chamäleon! Des Menschen vielfältige Betätigungs- und Annäherungsmöglichkeiten machen ihn nicht zum Gott, sondern allenfalls zu einem – von oben gesehen – eher putzigen Tier, das suchend seine riesigen Augen rollt und dauernd die Farben wechselt.

Pankraz findet diese Pointe geradezu hinreißend. Speziell die Feststellung, daß die Menschenwürde nicht in schlichtweg postulierter „Gleichheit aller“ besteht, sondern im Gegenteil in der Vielfarbigkeit, daß es also genau das Bemühen um Differenz und Vielfältigkeit ist, das uns zu Menschen macht, leuchtet außerordentlich ein. Schade, daß der Inquisitionspapst Innozenz VIII. damals im Jahre 1487 nicht dem jungen Weisheitslehrer wohlwollend zuhörte. Die Geschichte Europas hätte sich vielleicht würdiger gestaltet.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen