© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Teherans Fuß in der Tür
Syrien: Besorgte Blicke des Westens und der sunnitischen Welt auf einen möglichen Einflußzuwachs des Irans
Günther Deschner

Endzeitstimmung um Syrien! „Das Land bricht vor aller Augen Stück für Stück auseinander.“ Mit diesen Worten brachte der UN-Syriengesandte Lakhdar Brahimi vor zwei Wochen nach einer Sitzung des Weltsicherheitsrats den aktuellen Stand der syrischen Tragödie auf den Punkt. „Und die Schuld daran tragen beide Konfliktparteien“, sagte er. „Objektiv gesehen arbeiten sie zusammen daran, Syrien zu zerstören.“ Und damit brächten sie „die ganze Region in eine extrem schlechte Situation, extrem folgenreich auch für die ganze Welt“.

Der Orientexperte Paul Salem, der das Beiruter Büro der Carnegie-Stiftung leitet, kommt in einer dieser Tage veröffentlichten Studie gar zu dem Schluß, es werde in diesem Krieg überhaupt keinen Sieger geben. Am Ende des syrischen Konflikts werde wohl „ein zweiter, größerer Libanon“ stehen, so sein Fazit. Der seit fast zwei Jahren tobende Krieg werde Syrien ähnlich aufspalten und in einen „Dauerkonflikt aller gegen alle“ stürzen, wie es vor drei Jahrzehnten im Libanon der Fall gewesen war: „Was wir in Syrien beobachten“, schreibt er, „ist kein Übergangs-, sondern ein Zersetzungsprozeß.“ Weder die Rebellen würden es „in absehbarer Zeit schaffen, das Regime zu bezwingen, noch das Regime die Rebellen“, der Konflikt werde sich hinziehen und „Haß und Mißtrauen“ würden sich „immer tiefer und unheilbar einfressen“.

Selbst Rußland und Iran, Assads Verbündete, scheinen von der Ahnung einer „Endzeitstimmung“ für Syrien gestreift zu sein. Moskau hat Vorsorge für die Evakuierung von russischen Staatsangehörigen getroffen und einige Andeutungen darüber fallenlassen, daß auch in seinen Augen Verhandlungen über eine politische Lösung sinnvoll sein könnten, weil eine kriegerische im Sinne der Regierung nicht (mehr) erreichbar scheint.

Daß vor allem Teheran die Lage in Syrien als äußerst kritisch für Baschar al-Assad einschätzt, machte ein aufsehenerregender Beitrag in der Washington Post deutlich. Unter Berufung auf amerikanische und arabische Diplomaten berichtete das Blatt, Iran stelle „eine rund 50.000 Kämpfer umfassende Miliz in Syrien“ auf, um dort nach dem Machtverlust von Präsident Assad loyale Partner zu haben. Den Kern dieser proiranischen Kampfgruppen bilde eine Allianz syrischer Schiiten und Alawiten namens „Jaysh al-Sha‘bi“ („Armee des Heiligen“), die an der Seite von Assads Truppen kämpfe. Sie bekomme Geld, Waffen, Ausbilder und militärische Führung sowohl von der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah als auch von den iranischen Revolutionsgarden.

„Jaysh ist im Grunde ein Gemeinschaftsunternehmen von Hisbollah und Iran“, wird der als „Experte für Terrorfinanzierung“ bezeichnete Staatssekretär im US-Finanzministerium, David Cohen, zitiert. Aus diesem Grund hätten die USA Jaysh al-Sha‘bi bereits im Dezember mit Sanktionen belegt. „Die vorrangige Absicht scheint es zu sein, das syrische Regime zu unterstützen. Aber für Iran ist es wichtig, in Syrien Truppen zu haben, auf die sich das Land auch nach einem möglichen Ende Assads verlassen kann“, zitiert ihn die Zeitung weiter. Eine andere Quelle, „ein hochrangiger Beamter aus dem arabischen Raum“, soll dem Blatt gesagt haben: „Das Nahziel Teherans ist vorerst, al-Assad bis zum letzten zu unterstützen und seinen Sturz zu verhindern, Teheran schafft sich damit aber auch loyale Kräfte für die Zeit nach dem Zerfall des syrischen Nationalstaates.“

Als dann vergangene Woche bekannt wurde, daß ein hochrangiger Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, General Hussam Choschnewis, unter bisher ungeklärten Umständen auf der Fahrt von Aleppo zur libanesischen Grenze von Aufständischen gestellt und erschossen worden war, wurden die Spekulationen, Iran sei sogar mit „Elitetruppen“ in Syrien aktiv, weiter angeheizt.

Die Meldung der libanesischen Zeitung Al Safir, Choschnewis sei in Syrien gewesen, „um Pläne für den Wiederaufbau des stark zerstörten Wirtschaftszentrums Aleppo zu prüfen“, fand in diesem Klima wenig Glauben.

Foto: Protest in der Provinz Idlib (Nordsyrien): Präsident Assad, Ajatollah Khamenei (Iran) und Hisbollah-Chef Nasrallah als „Drahtzieher der Luftschläge“

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