© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Absturz am Rio de la Plata
Argentinien: Wirtschaftsflaute, Inflation und Kriminalität setzen dem ehemals florierenden Staat zu
Michael Ludwig

Während in Südamerika Chile und Brasilien durch ein hohes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum glänzen und Investoren aus der ganzen Welt anlocken, gerät ihr Nachbar Argentinien in eine bedenkliche Abwärtsspirale. Von 2003 bis 2011 konnte Buenos Aires mit seinen beiden schärfsten Konkurrenten noch mühelos mithalten – das Bruttoinlandsprodukt stieg im Durchschnitt um satte 7,5 Prozent, doch in den letzten zwölf Monaten stürzte es von 8,9 auf verheerende zwei Prozent ab.

Der Niedergang der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird begleitet von einer Inflation, die selbst auf dem südamerikanischen Kontinent derzeit ihresgleichen sucht. Die offiziellen Zahlen des Instituto Nacional de Estadistica y Censos (Indec) weisen für das letzte Jahr einen Kaufkraftverlust von 10,8 Prozent aus. Doch in Argentinien glaubt niemand daran, daß diese Zahl korrekt ist, sondern vielmehr auf Geheiß der Regierung schöngerechnet wurde. Nach Angaben privater Institute galoppierte die Inflation mit über 26 Prozent durch die vergangenen zwölf Monate, und eine Verbesserung der Lage ist keineswegs abzusehen. Die spanische Tageszeitung El Pais beschrieb die Situation ziemlich mitleidlos so: „Die Geldentwertung ging ab wie ein Motorrad, aber die Löhne schossen in die Höhe wie Raketen.“

Zum ersten Mal in seiner 69jährigen Geschichte hat der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Mitgliedsland wegen fehlender Glaubwürdigkeit seiner statistischen Daten gerügt. Argentinien müsse bis November korrekte Zahlen vorlegen, tue es das nicht, seien Sanktionen nicht auszuschließen, hieß es vom IWF.

Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner, die durch einen ebenso extravaganten wie chaotischen Regierungsstil ihre Landsleute in Atem hält, versucht derzeit alles, die wirtschaftlichen Probleme kleinzureden. Während einer Veranstaltung an der nordamerikanischen Harvard-Universität erklärte sie: „Wer durch Buenos Aires geht, sieht vollbesetzte Restaurants, die Shopping-Malls sind genauso gut besucht, und die Leute konsumieren nach Herzens Lust. Wenn die Inflation tatsächlich bei 26 Prozent läge, würde das Land explodieren.“

Das Land explodiert derzeit noch nicht, aber die Menetekel sind an den Häuserwänden in Buenos Aires und in der Provinz durchaus abzulesen. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres zogen Menschen plündernd durch die Straßen mehrerer Städte. Zwei Personen starben, über 500 wurden festgenommen. In den Straßen von Buenos Aires versammelten sich über 700.000 Demonstranten, vor allem Angehörige der gebeutelten Mittelklasse, um gegen den wirtschaftlichen Niedergang und die immer weiter ausufernde Kriminalität zu protestieren. Gewerkschaften, die bis vor kurzem zu den Verbündeten der Regierung gehörten, riefen zum Generalstreik auf. Sie fordern Lohnerhöhungen zwischen 25 und 30 Prozent.

Um die Lage zu entschärfen, traf sich der Staatssekretär im Handelsministerium, Guillermo Moreno, mit Vertretern der wichtigsten Handelsketten für Lebensmittel und Elektrogeräte. Man vereinbarte, die Preise zwei Monate lang einzufrieren. Der Regierung liegt viel daran, die wirtschaftliche Talfahrt wenigstens vorübergehend zu verlangsamen, denn im Oktober finden Teilwahlen zum Kongreß statt.

Foto: Protestzug in Buenos Aires: Vor allem die arg gebeutelte Mittelklasse Argentiniens geht auf die Barrikaden

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