© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Der Flaneur
Moderne Helden
Ellen Kositza

Ob M. und C. ahnen, wie sehr sie die mittelgroße Feiergesellschaft polarisiert haben? M. ist jetzt in Elternzeit. Ein ganzes Jahr läßt er seine Arbeit ruhen, damit C. Fuß fassen kann in der Kanzlei. Sauwohl fühlen sich die beiden. Ja, sie genieße es in vollen Zügen, sich mal in die Arbeit stürzen zu können, lacht C. die anwesenden (weiblichen) Bedenkenträger aus, während M. im Nebenraum das Kind hinlegt und das Babyphon installiert. Nein, versichert M. später den (mehrheitlich männlichen) Skeptikern, langweilig sei es durchaus nicht, im Haushalt das Zepter zu schwingen. Er lerne viel!

Als die beiden sich gegen Mitternacht zurückgezogen haben, beginnt der Tratsch. Die machen sich doch was vor, munkeln die Frauen einerseits und sticheln andererseits gegen ihre Männer: Man könne nicht leugnen, daß M. einen verantwortungsvollen Job ruhen lasse. Scheinbar geht’s aber, wenn Mann nur will! Mißgunst, Ressentiment und Frust bahnen sich kleine Kanäle, subkutan zwar und nicht mehr als Hauptthema, aber es ist klar: Hier wurde ein Ton angeschlagen, der so bald nicht verklingen wird unter den Paaren.

Als später das Kind von S. und A. schreit, schickt S. demonstrativ ihren Liebsten zur nächtlichen Tröstung. Wir sehen A. erst am Morgen wieder. S. hat ihm zum Frühstück den Kleinen auf den Schoß gesetzt. Soll er mal machen. Ab Montag ist sie ja wieder dran!

Unterdessen ist das Bad eine Etage höher besetzt, dreifach. Drinnen quäkt ein Kind, zwei streiten sich. Stimmengewirr, ein Wort gibt das andere. Es dauert. Die Flaneurin gibt den Warteposten vor der Tür bald auf. Später hört sie die Toilettentür sich öffnen, hört M. herausrauschen, anscheinend mit dem Kind auf dem Arm. Hört ihn zischen: „Daß du das nicht respektieren kannst, daß deine ganze Art einen so was von ankotzen kann!“ Das Türschloß wird wieder gedreht. C. braucht noch ein bißchen.

Am Frühstückstisch fehlt sie noch länger. M. setzt sich lächelnd mit dem Säugling. S. flüstert: „Irgendwie hat er doch die Aura eines modernen Helden.“

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