© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Englisch für Eliten, Deutsch für Dumme?
Ein prominenter Sammelband zur Zukunft von Deutsch als Wissenschaftssprache
Thomas Paulwitz

English only? Eine Reihe von Wissenschaftlern lehnt es ab, daß das Deutsche als Wissenschaftssprache weiter abgewertet wird. Bislang nimmt die Politik diese Stimmen zu wenig wahr und folgt statt dessen eher den Forderungen aus der internationalen Wirtschaft. Der Freistaat Bayern in der Person des Wissenschaftsministers Wolfgang Heubisch (FDP) hört etwa lieber auf einen sogenannten „Zukunftsrat“. Dieser beanstandete im Jahre 2010, daß „die wichtigsten Hürden des Hochschulsystems bei der Gewinnung talentierter Studierender aus dem Ausland (…) in der deutschen Unterrichtssprache“ lägen. Mit einem Programm zur Internationalisierung der Hochschulen drängte daraufhin die bayerische Staatsregierung 2012 Deutsch als Wissenschaftssprache weiter zurück.

Heinrich Oberreuter, der ehemalige Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, beklagt, daß „eine argumentative Beziehung zwischen dem wissenschaftlichen und politischen Kurs“ derzeit „kaum erkennbar“ sei. Abhilfe soll nun ein von Oberreuter und anderen herausgegebener Sammelband schaffen, der den Titel „Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs“ trägt. Er vereinigt eine große Zahl an Autoren aus Politik und Wissenschaft, die sich der Frage widmen, ob Deutsch als Wissenschaftssprache eine Zukunft hat. Den Anlaß zu diesem Sammelband gab eine von der Volkswagenstiftung finanzierte Tagung über „Deutsch in der Wissenschaft“. Im Januar 2011 fand dieses Gespräch zwischen Politikern und Wissenschaftlern an der Akademie in Tutzing statt. Der Sammelband folgt dem Tagungsverlauf, indem er die zum Teil überarbeiteten und ergänzten Beiträge aneinanderreiht.

Ein vorab den Tagungsteilnehmern zugegangenes Thesenpapier von Hans Joachim Meyer und Konrad Ehlich bildete den Ausgangspunkt der Erörterungen. Die beiden Wissenschaftler beklagen, daß nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Geistes- und Wirtschaftswissenschaften Englisch die deutsche Sprache ersetze, selbst bei der Kommunikation im eigenen Land. Dies werde durch Entscheidungen der Wissenschaftspolitik stark gefördert: „Weithin fehlt ein kritisches Gespür für die fortlaufende Statusminderung der deutschen Sprache durch das sprachliche Verhalten von Angehörigen der deutschen Eliten.“ Es müsse daher einen Bewußtseinswandel geben. Ein sprachlich beschränktes Englisch tauge vielleicht zum internationalen Wissens-austausch auf Konferenzen, könne jedoch „niemals die Sprache erkenntnis-orientierter Forschung und forschungsorientierter Lehre sein“. Wer dies glaube, „verbannt sich selbst an den Katzentisch der englischsprachigen Wissenschaft“. Die Sprachgeschichte sei untrennbar mit der Geistes- und Kulturgeschichte verbunden.

Welche Antworten geben Politiker? Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert, Deutsch im Grundgesetz zu verankern, um die Mitverantwortung der Politik kenntlich zu machen, in welche Richtung sich eine Sprache entwickelt. Sein Stellvertreter Wolfgang Thierse stimmt ihm dabei zu. Auch Monika Grütters, die dem Kulturausschuß des Deutschen Bundestags vorsitzt, verficht den Verfassungsrang der deutschen Sprache und setzt einen Schwerpunkt auf die Förderung der Mehrsprachigkeit.

Dort setzt dann auch die Erklärung mehrerer Wissenschaftler an, die sie als Schlußfolgerung aus der Tagung ziehen. Ein wichtiger Schritt zur wissenschaftlichen Mehrsprachigkeit in Europa sei etwa die Erarbeitung europäischer Zitationsindizes, um die Monopolstellung des US-amerikanischen Citation Indexes zu brechen. „Für die letzten Jahre muß leider festgestellt werden, daß die deutsche Wissenschaftspolitik und die deutschen Wissenschaftsorganisationen sowie die Repräsentanten der deutschen Hochschulen durch ihr Handeln nicht selten die Situation der deutschen Sprache zugunsten des Englischen verschlechtert haben.“ Die Politik müsse daher die öffentliche Debatte stärker beachten.

Angesichts der Vielzahl der Beiträger ist es nicht verwunderlich, wenn der Sammelband auch weniger Geistreiches enthält; etwa wenn Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die geplante Einführung von Englisch als weiterer Gerichtssprache als „Form von Mehrsprachigkeit“ würdigt. Damit übersieht sie, daß es hier nicht um Mehrsprachigkeit geht, sondern um einen Sprachwechsel, nämlich das Bestreben, vor Gericht in internationalen Handelssachen die deutsche Sprache durch Englisch zu ersetzen.

Heubisch äußerte sich ebenfalls in Tutzing. Sein Vortrag ist allerdings nicht in diesem Sammelband zu finden. Das liegt wahrscheinlich daran, daß der Wissenschaftsminister dort wenig Verständnis für das Anliegen zeigte, Deutsch als Wissenschaftssprache zu stärken. Er erklärte nämlich: „Freilich hat die Wissenschaft inzwischen bei der Internationalisierung eine Dynamik entwickelt, die sich wohl kaum noch durch politische Restriktionen aufhalten läßt und die wir auch gar nicht aufhalten wollen.“ Die Tagungsteilnehmer dürften wenig begeistert davon gewesen sein, solche Worte zu hören.

Wie weit sich Volk und Wissenschaft mittlerweile voneinander entfernt haben, verdeutlichen etwa wissenschaftliche Fernsehdokumentationen, die zwar in Deutschland hergestellt werden, aber in denen sich deutsche Wissenschaftler auf englisch äußern und ins Deutsche synchronisiert werden müssen. Solche Fälle sind leider keine Ausnahme mehr. Immer deutlicher bildet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft heraus, in der gilt: Englisch für die Eliten, Deutsch für die Dummen. Wer als hochgebildet gelten will, gibt die deutsche Sprache auf und wendet sich dem Englischen zu. Es bleibt zu hoffen, daß dieser wertvolle Sammelband einen Anstoß geben wird, diese Fehlentwicklung abzubrechen.

Thomas Paulwitz ist Chefredakteur der „Deutschen Sprachwelt“.

www.deutsche-sprachwelt.de

Heinrich Oberreuter, Wilhelm Krull, Hans Joachim Meyer, Konrad Ehlich (Hrsg.): Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs. Olzog-Verlag, München 2012, gebunden, 288 Seiten, 29,90 Euro

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